Überparteiliche Allianz fordert: Femizide verhindern, Abtreibungen legalisieren

Längst liegen Entwürfe für ein Gewalthilfeschutzgesetz sowie für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruches außerhalb des Strafgesetzbuches vor, doch auf Regierungsebene geschieht wenig. Nun macht sich ein breites Bündnis feministischer Organisationen für die Umsetzung gleichstellungspolitischen Maßnahmen stark.

„Es ist 5 vor 12 hier in Deutschland“ – mit diesen Worten läutete die Aktivistin Kristina Lunz eine Pressekonferenz kurz vor dem Mittag in Berlin-Mitte ein. Die Co-Gründerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) ist gemeinsam mit ihrer Organisation Teil einer überparteilichen Allianz, die auf die fehlenden gleichstellungspolitischen Maßnahmen der Politik aufmerksam machte. Im Fokus der Pressekonferenz standen die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland und die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes.

„Schwangerschaftsabbrüche zu kriminalisieren, ist ein Akt geschlechtsspezifischer Gewalt. Und wenn wir schon von geschlechtsspezifischer Gewalt sprechen, müssen wir auch auf aktuelle Zahlen schauen von Gewalt gegen Frauen“, erklärte eine der Aktivistinnen am prominent und voll besetzten Pressetisch die Intention, diese beiden dringlichen Themen miteinander zu verknüpfen.

Kristina Lunz und ihre Co-Organisatorin Düzen Tekkal, die mit ihrer Organisation Hawar Help vertreten war, widmen sich in ihrer Arbeit oftmals außenpolitisch-feministischen Anliegen. Am 21. Oktober 2024 aber haben die beiden Frauen zahlreiche Aktivist*innen, Organisationen und Verbände wie den Deutschen Juristinnenbund, den Deutschen Frauenrat, das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung sowie Amnesty International versammelt, um auf die innenpolitische Lage von Mädchen, Frauen, inter, trans und nicht-binären Personen aufmerksam zu machen. Und hier sieht es in Sachen Gleichberechtigung nicht sonderlich gut aus.

Aktivistinnen vor blauem Hintergrund mit Schriftzug: Wir alle für Frauenrechte!
Foto: Anne-Kathrin Heier | EDITION F

Maßnahmen für mehr Schutz und Sicherheit

Jeden zweiten Tag wird in Deutschland eine Frau von einem (Ex-)Partner getötet, männliche Gewalt gegen Frauen nimmt zu, und die Verurteilungsraten für geschlechtsspezifische Gewalt bleiben erschreckend niedrig. Der Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen ist aufgrund der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Paragraf 218 StGB weiterhin nicht gewährleistet und die Versorgungslage wird immer schlechter. Hinzu kommt, dass die Räume für Frauen, in denen sie sich öffentlich äußern können, angesichts des anti-feministischen Gegendwinds immer enger werden.

Frauenhass im Netz, der auch Auswirkungen auf ihre Bewegungsfreiheit im analogen Raum hat, nimmt ein besorgniserregendes Ausmaß an. Immer mehr Frauen wagen es nicht mehr, sich zu politischen oder gesellschaftlichen Themen zu äußern. Und dies aus Angst zur Zielscheibe von Männern zu werden, die nicht etwa ein Problem mit ihren Positionen haben, sondern es nicht ertragen, dass Frauen ihre Stimme erheben und mitbestimmen wollen.

„Angesichts des zunehmenden Rechtsrucks in Deutschland könnte dies für viele Jahre unsere letzte Chance sein, wirkungsvolle Maßnahmen für mehr Schutz und Sicherheit durchzusetzen“, schreiben die Organisator*innen der Pressekonferenz. Sie fordern, dass die „Fortschritts-Koalition“ (Anm. d. Red. gemeint ist die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP) ihren Versprechen nachkommen und Frauen im Sinne des Koalitionsvertrages besser schützen und unterstützen solle. „Wir dürfen nicht länger zusehen, wie (wir) Frauen getötet, bedroht und in die Verzweiflung getrieben werden.“

Schallverstärker

Düzen Tekkal betonte zu Beginn, dass sich die Organisator*innen – darunter zahlreiche prominente Frauen – als „Schallverstärker*innen für Personen, die Räume brauchen“ verstehen würden. „Wir sind nicht nur ein Chor des Schmerzes, sondern auch ein Chor der Wut“, sagte die Schauspielerin Natalia Wörner. Ihre Branchenkollegin und Autorin Ursula Karven verlieh der Forderung an die Politik, die verbleibende Legislaturperiode zu nutzen, um die Rechte von Mädchen und Frauen zu stärken, Nachdruck: „Wir wollen, dass die Regierung ihr Versprechen einlöst, ihr Wort hält, Gewalt zu verhindern und Betroffene zu schützen. Die Zeit ist jetzt.“

Vor Ort war auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die – wie bereits rund eine Woche zuvor beim FFF DAY 2024 – der Forderung nach der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung von Frauen Nachdruck verlieh. Mit Blick auf das fehlende Gewaltschutzgesetz und den Paragrafen 218 sagte Baerbock: „Frauenrechte sind der Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Als liberale Demokratie sollten wir deutlich machen: Was für Männer gilt, selbstbestimmt über den eigenen Körper zu entscheiden, gilt auch für Frauen.“

Die Probleme sind bekannt, Lösungen längst erarbeitet, verstauben jedoch in den Schubladen der Minister oder werden mit Verweis auf fehlende finanzielle Mittel blockiert – was also tun, um nicht am Stillstand zu verzweifeln? Neben Lautstärke und Öffentlichkeit, wie sie die Allianz feministischer Aktivist*innen an diesem Montag generiert hat, gibt es zahlreiche Petitionen, mit denen den Forderungen für ein gleichberechtigtes Leben aller Nachdruck verliehen werden kann. Es folgt eine Auswahl an Ideen, was du jetzt tun kannst:

Petitionen unterschreiben

„Brandbrief: Stoppt Gewalt gegen Frauen – JETZT! Die Ampel darf ihr Versprechen nicht brechen.“ Petition hier unterschreiben.

„Legal, einfach, fair: Für eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland!“Petition hier unterschreiben.

„Demokratie stärken, Gleichberechtigung fördern! Brücken in eine gerechtere Zukunft bauen!“Petition von FUNKE und EDITION F hier unterschreiben.

„Gewaltschutz ist kein Luxus: Frauenhausplätze kostenfrei zur Verfügung stellen!“ Petition hier unterschreiben.

„Pflegegeld für behinderte Kinder auch bei stationärem Aufenthalt über 28 Tage! #MehrAls28Tage“Petition hier unterschreiben.

Informieren und ins Gespräch gehen

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