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Wieso unsere Facebook-Posts nicht reichen und wir alle viel mehr bewegen müssen

Heute morgen hatte ich fünf Minuten nach dem Aufstehen einen Kloß im Hals. Terroranschlag in Brüssel. An dem Ort an dem ich vor drei Tagen noch stand. Mein erster Impuls: Ich muss etwas posten. Doch mein Facebook-Post wird nichts verändern. Wir alle sind zu klug, um es dabei zu belassen. Lasst uns aktiv werden.

Ganz ganz nah

Seit Samstag bin ich im Urlaub. Ich sitze in einer traumhaften Finca ziemlich weit weg vom Ballermann-Alltag auf einem Fleckchen Himmel auf Mallorca. Noch am Donnerstagabend sagte ich zu Susann, dass wir um Geld zu sparen über Brüssel nach Mallorca fliegen. Ryan Air. Fünf Stunden Aufenthalt.

Als wir am Samstag in Brüssel den mehrstündigen Aufenthalt am Flughafen verbrahchten, haben wir entschieden, nicht in die Stadt zu fahren. Bis zu dem Zeitpunkt als wir die Sicherheitskontrollen passierten, hatte ich ein komisches Gefühl.

Letzten Herbst noch waren wir in Istanbul. Da hatte das Auswärtige Amt gerade erste Reisewarnungen herausgegeben. Derzeit würde ich nicht nach Istanbul fliegen. Als in meiner Heimatstadt Hannover kurz nach den Anschlägen von Paris Terrorgefahr war, habe ich am Abend drei Stunden damit verbracht, alle engen Menschen angerufen und darauf bestanden, dass der Mann meiner Mama sie aus der Kneipe abholt, weil ich sie nicht erreichen konnte. Und ich bin offen gestanden auch schon mal in Berlin aus der U-Bahn ausgestiegen, als mir eine Situation komisch vor kam und ich während des Studiums zu viele AlQaida-Texte studiert hatte.

Ich möchte mir selbst jedoch gern sagen, dass alle Angst nichts bringt. Denn sie ist das, was Terroristen wollen.

Ich will meine Anteilnahme äußern. Ich liege im Bett der Finca und denke darüber nach, was ich bei Facebook posten könnte.

Und ist ein Post überhaupt richtig? Diese Diskussion nimmt bei Facebook oft mehr Raum ein, als die Inhalte.

Auch ich frage mich immer wieder, wieso wir dann etwas posten, wenn etwas näher an uns dran ist. Denn jeden Tag sterben Menschen an Terror, Hunger oder wegen Verfolgung. Überall auf der Welt. Und jeder dieser Menschen ist dasselbe wert. Ich will glauben, dass wir alle das so sehen.

Da wo es ohnehin immer schon schlimm war, da wo es vermeintlich weit weg scheint, sind wir geschockt, aber wir fühlen uns selbst weniger betroffen – unsere Vorstellungskraft erreicht nur ein bestimmtes Level. Auch das ist ganz logisch. Wenn auch nicht richtig. Wenn ein Stück weit unsere Gedanken wahrscheinlich täglich während der Nachrichten bei den Menschen in Syrien, bei den Geflüchteten in der Türkei, im Südsudan, in Afghanistan oder im Jemen sind. Oder eben in Paris, Brüssel oder New York. Meine Gedanken sind wie immer bei den Familien und Opfern.

Ich bin umgeben von klugen Menschen. Mein Facebook-Stream ist voll von klugen Thesen, interessanten Blicken und wahren Worten. Noch nie ging es in meinem Umfeld so viel um Politik wie heute. Und ich habe früh angefangen mich mit Politik zu beschäftigen.

Mit elf gab es für mich nicht Schöneres als krank zu sein, weil ich dann auf Phoenix den ganzen Tag Bundestagsdebatten live anschauen konnte, mit 13 organisierte ich Demos gegen Rechts nachdem Sally Perel einen Vortrag in der Schule gehalten hatte, mit 15 machte ich ein Praktikum im Landtag, nach 9/11, da war ich 16, war ich mir ziemlich sicher, dass ich Kriegsberichterstatterin werden will. Dann studierte ich Politik, Journalismus und Islamwissenschaften. Während des Studiums gründete ich einen Verein.

Doch heute geht mein politisches Engagement nicht weit genug. Oft nicht weiter als einen Post bei Facebook oder eine heftige Diskussion mit Freunden. Nicht mal einen Artikel bringe ich seit Jahren zu politischen Themen aufs Papier. Und dafür schäme ich mich. Und das will ich ab heute ändern. Auch wenn ich kein Patentrezept habe. ich will mich aktiv beteiligen. Mit dem, was ich gut kann.

Wir sind politischer geworden

Unsere Welt hat sich verändert. So fühlt es sich an. Der Terror ist ganz nah. Positionen, die vor zwei Jahren noch als rechts galten, sind mittlerweile normal. Und die alten Volksparteien freuen sich, dass sie in einem Bundesland keine Prozentpunkte verloren haben. Keine offene Analyse. Bewegen tut das nichts. Die Parteien müssen sich auch für Quereinsteiger öffnen. Das halte ich für ganz wichtig.

Wir sollten wir bleiben. Wir sollten für eine offene Gesellschaft stehen und für sie eintreten.

Und wir können aus der Repolitisierung unserer Gesellschaft, die derzeit statt findet und die nicht nur negativ ist, etwas Gutes ziehen.

Wenn es solche Menschen, wie sie derzeit in der AfD unterwegs sind, in die Politik schaffen und gehört werden, schaffen dass 100 Prozent meiner Facebook-Kontakte mit sehr viel klügeren Thesen auch. Also wieso nicht doch Politiker werden, sich engagieren, sich entschlossenen für oder gegen etwas stellen. Oder im kleinen: Die Diskussion suchen, zuhören, lernen, überzeugen. Etwas tun. Die Facebook-Posts dürfen natürlich bleiben.

Ich glaube, wir alle können einen kleinen Beitrag leisten. Oder einen großen.

Und ich habe größten Respekt für alle, die schon etwas machen.

Wir alle sollten darüber nachdenken, was wir im Kleinen oder Großen tun können. Neben einem Post bei Facebook.

Ich freue mich von euch zu hören, was ihr schon macht, was ihr nicht macht und wieso? Vielleicht dauert es etwas länger bis ich zurück schreibe (wegen Mallorca und so). Aber Hauptsache, wir fangen an nachzudenken und etwas zu tun.

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