Foto: Armin Linnartz | Wikimedia | CC BY-SA 3.0 DE

Angela Merkel gibt den Parteivorsitz ab – wird sie uns fehlen?

Am 29. Oktober machte Angela Merkel es offiziell: Sie wird im Dezember nicht mehr für den Parteivorsitz der CDU kandidieren. Werden wir sie vermissen?

 

Angela Merkel zieht sich langsam zurück

Seit gestern, 29. Oktober 2018,  ist es offiziell: Angela Merkel tritt nicht zur Wiederwahl für den Parteivorsitz an. Nach 18 Jahren wird sie das Amt im Dezember abgeben, wird zudem nicht mehr als Kanzlerin kandidieren – und auch keine anderen politischen Ämter anstreben. Spätestens 2021, nach ihrer vierten Amtszeit als Kanzlerin, wird Schluss sein. Damit reagiert sie frühzeitig auf die schlechten Ergebnisse der letzten Wahlen in Bayern und Hessen, die Kritik an der Großen Koalition und immer lauter werdenden Stimmen in den eigenen Reihen. Mit ihrem Entschluss dennoch weiter Kanzlerin zu bleiben, widerspricht sie ihrer eigenen Maxime, dass Parteivorsitz und Kanzler*innenschaft zusammengehören. Sie ist sich dieser Problematik bewusst. Und unsicher ist sowieso, ob ihre Amtsperiode tatsächlich bis 2021 dauern wird oder ob die Große Koalition früher zerbricht und es zu Neuwahlen kommen wird.

Dennoch hat sie einen Abgang verhindert, vor dem sie immer Angst hatte. Sie wollte nicht irgendwann wie Helmut Kohl mit den Füßen zuerst aus dem Kanzleramt getragen werden. Sie geht, das war auch auf ihrer Pressekonferenz
gestern zu beobachten, in Würde. Das liest man gerade quer durch die Reihen der Medien, politischen Verbündeten und Kolleg*innen anderer Parteiein.

Wie feministisch und weltoffen war und ist diese Kanzlerin?

Wie aber soll man den Abgang einer Kanzlerin, zu der man aus feministischer Sicht ein recht ambivalentes Verhältnis haben kann, bewerten? Angela Merkel war die erste Kanzlerin der Bundesrepublik. Sie hat die berühmte gläserne Decke durchbrochen. Sie hat dafür gesorgt, dass gerade jüngere Menschen sich kaum noch einen Mann für das Amt der Bundeskanzlerin vorstellen können. Sonst hat sie allerdings wenig für Fragen der Gleichberechtigung getan. Als Feministin hat sie sich selbst nie bezeichnet. Und das wohl zu Recht, auch wenn sie durchaus immer wieder feministisch gehandelt hat. Dann aber oft unbewusst, still, fast aus Versehen. Ein Beispiel dafür in den letzten Jahren: die Ehe für Alle. Merkel hat sich aber auch nie aktiv für Themen wie die Abschaffung des Ehegattensplitings oder eine Quote im Bundestag eingesetzt. Sie ist als Frau an der Spitze eine Symbolfigur, aber das alleine verändert für Frauen in diesem Land nicht wirklich etwas.

Und auch wenn es um nicht explizit feministische Themen geht, war ihre politische Haltung ambivalent: 2015 hat sie die Grenzen nicht geschlossen und damit eine Geflüchtetenpolitik möglich gemacht, die erst einmal als „Willkommenskultur” bezeichnet werden konnte. Auf der anderen Seite hat sie die Abschottungspolitik an den Europäischen Außengrenzen unterstützt und damit wissentlich in Kauf genommen, dass jeden Tag Menschen im Mittelmeer ertinken.

Und was kommt jetzt?

Angela Merkel taugt nicht zur Heldin. Und aus feministischer Perspektive muss man auf diese*diesen, dass wird erschreckend deutlich, wenn man ihre möglichen Nachfolger*innen betrachtet, wohl noch eine ganze Weile warten. Beworben haben sich gleich nach ihrer Ankündigung am 29. Oktober offiziell der amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn und die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Darüber hinaus sind Friedrich Merz (seit 2009 nicht mehr Teil der Bundestagsfraktion der CDU/CSU) und Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, der eine mögliche Kandidatur bisher weder bestätigt noch dementieren wollte, im Gespräch.

Zur Erinnerung: Jens Spahn hat die Pille danach mit Smarties verglichen. Annegret Kramp-Karrenbauer die Ehe für Alle mit einer Ehe unter Geschwistern. Friedrich Merz ist in den letzten Jahren vor allem eins: durch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt sehr reich geworden. In einer Kanzlei, die sich Cum Ex Deals beteiligte. Diese Deals wiederum, so zeigte eine große Recherche unter anderem von Correctiv und Zeit Online, sind dafür verantwortlich, dass insgesamt 55,2 Milliarden Euro Steuern hinterzogen werden konnten, unter anderem auch in Deutschland. Auch wollte Merz vor Jahren eine Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt und damit vor allem Reiche entlasten. Und Armin Laschet ist ein weiterer alter, weißer Mann, der sich gegen die Ehe für Alle ausspricht und gehört klar zum konservativen Flügel der CDU.

Der langsame Rücktritt Angela Merkels wirft Fragen auf. Zum Beispiel: Wie stellt sich die Union nun auf? Was passiert mit der Großen Koalition? Und was macht die AfD, wenn Merkel nun wirklich weg ist? Antworten werden die nächsten Wochen bringen. Zur Stunde ist nur klar: So kritisch man Angela Merkels Amtszeit also auch aus einer feministischen Perspektive betrachten muss, desto deutlicher wird mit ihrem Abgang, dass sie vielleicht keine Vorreiterin für Gleichberechtigung war, aber doch eine, die den Fortschritt immer mal wieder zugelassen hat. Was auf sie folgt, ist wohl eher ein Rückschritt. Insofern wird noch während Merkel gar nicht wirklich weg ist deutlich, dass stimmt, was Georg Löwisch in der taz geschrieben hat: Wir werden sie noch vermissen.

Titelbild: Armin Linnartz | Wikimedia | CC BY-SA 3.0 DE

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