Judith und Hermann haben eine App erfunden, mit der man ganz einfach Trips ins Grüne planen kann – und dabei richtig viel CO2 einsparen kann.
Ohne Auto einfach ins Grüne finden
Naturtrip.org ermöglicht es den Nutzern, schnell Trips ins Grüne zu planen – und das ganz ohne Auto! Die beiden Erfinder Hermann Weiß und Judith Kammerer sprachen mit unserem Partner The Changer über die Funktionen dieser App, wie man auf diese Art und Weise ganz viel CO2 einsparen kann und warum es ein Vorurteil ist, dass mit dem Auto fahren schneller geht und bequemer sei.
Was war eure Motivation dahinter, Naturtrip.org zu starten und wie funktioniert die App?
Hermann: „Ausflüge mit Öffis zu planen, ist bisher viel zu kompliziert. Man hat frei, die Sonne scheint, man will rausfahren ins Grüne mit Freunden oder der Familie und wenn man kein Auto hat, dann googelt man sich den Wolf, bis man ein Ziel gefunden hat, das gut mit der Bahn oder Öffis zu erreichen ist. Bis man loskommt, ist die Sonne weg.“
Judith: „Wir sagen, bei Ausflügen weiß man meist nicht, wo man genau hinwill. Man weiß nur, dass man Paddeln, Klettern, Ziegen streicheln oder in einen lauschigen Biergarten am See oder in eine Therme will. Wo die ist und wie die heißt, ist ziemlich egal. Hauptsache, es ist schön dort und ich komm einfach hin. Mit den Öffis.“
Hermann: „Bei uns sucht man deshalb nicht von A nach B, sondern man gibt man nur den eigenen Standort ein und die Fahrtzeit, also wie lang man höchstens unterwegs sein will, und dann ploppen auf der Map genau die Streichelzoos, Kletterfelsen, Kanuverleihe, Biergärten oder Thermen auf, die gerade gut mit Bahn, Bus oder Fahrrad zu erreichen sind.“
Mit Naturtrip.org kann man leicht tolle Trips ins Grüne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln planen. Geht das für alle Städte in Deutschland und plant ihr das Projekt auch über die Landesgrenze hinaus auszuweiten?
Hermann: „Wir können Naturtrip.org bisher erst in Berlin und Brandenburg anbieten. Für das spezielle Erreichbarkeits-Routing machen unsere Entwickler von Motion Intelligence superschnelle Big-Data-Abfragen, dafür brauchen wir die Rohdaten der Verkehrsbetriebe. Und die hat bisher erst der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg freigegeben – als erster in Deutschland. Dickes Danke an den VBB! Deutschland hinkt da hinterher. Skandinavien, die Schweiz, Israel oder die USA sind da schon weiter, dort sind alle Fahrplandaten als Open Data freigegeben.
Berlin und Brandenburg ist aber ein guter Startplatz, in Berlin haben 41 Prozent der Haushalte gar kein Auto und jene, die ein Auto haben, benutzen trotzdem Öffis. Weils einfach praktisch ist. Und mit Naturtrip.org kann man das Auto auch für Ausflüge ins Grüne in der Garage lassen. Oder ganz abschaffen.“
Judith: „Wir führen gerade Gespräche mit Niedersachen/Bremen, Sachsen und Nordhessen, von überall dort kamen Anfragen, die Natutrip.org auch gern bei sich hätten, aber es hapert oft mit Open Data. Aber Niedersachen/Bremen ist am weitesten gediehen, dorthin werden wir wohl als nächstes expandieren.
Es braucht einen Kulturwandel bei den Verkehrsbetrieben und bei der Deutschen Bahn, die ihre Daten meist recht eifersüchtig hüten. Und dabei übersehen, dass sie extrem profieren würden von vielen lustigen, nützlichen und innovativen Apps, die mit den freigegeben Daten wie von selbst entstehen würden und so viel mehr Leute zum Umsteigen vom Auto zu den Öffis bewegen würden. Und auch dem ÖPNV (schreckliches Wort!) ein neues Image geben würden, weg vom pragmatischen Alltagsverkehrsmittel, hin zum sonnigen Freizeit- und Natur-Provider.“
Hermann: „Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl: Wer Naturtrip in seiner Region haben will, sollte eine Mail an seinen Verkehrsverbund schreiben, dass die Fahrplandaten freigegeben werden sollen, dann kann es sehr schnell gehen, dass wir Naturtrip auch anderswo anbieten können.“
Wie finanziert ihr euch und wie sammelt ihr eure Tripangebote?
Judith: „Wir haben das Glück, dass wir als Projekt der Nationalen Klimaschutz Initiative NKI des Bundesumweltministeriums ausgewählt wurden. Damit können wir die aufwändige Routing-Entwicklung und die Content-Erstellung finanzieren. Der Deal ist: Wir helfen der Regierung, ihre Klimaschutzziele zu erreichen. Mit Naturtrip.org wollen wir jährlich 170.000 Tonnen CO2 einsparen, wenn wir deutschlandweit operieren können. Die Einsparung kommt daher, dass die Leute immer öfter ihr Auto stehen lassen. Langfristig haben wir ein Business-Modell, mit dem wir bei nachhaltigen Freizeit- und Urlaubsangeboten mitverdienen wollen und auch beim Zug-Ticket via Affilate Marketing.“
Hermann: „Die Freizeit-Tipps kommen immer öfter von den touristischen Betrieben selbst, und auch die Nutzer können jetzt schon selbst Fotos und Texte hochladen. Unsere Redaktion prüft die dann und gibt die Tipps dann frei. Wir haben aber auch Kooperationen mit dem Reisebuchverlag terra press und immer mehr touristischen Regionen in Brandenburg, die Fotos liefern. Gute, aussagekräftige Fotos sind für uns sehr wichtig. Man will sehen, dass der Tipp schön ist und das Hinfahren lohnt, denn ohne Auto kann man nicht so einfach weiterfahren.“
Habt ihr konkrete Ziele in Bezug auf die Einsparung von Emissionen und arbeitet ihr mit Umweltschutzorganisationen zusammen?
Hermann: „Wir kommunizieren nicht: Tut doch was für das Klima und fahrt mit Öffis oder Fahrrad. Sondern wir machen es mit Naturtrip.org endlich einfach, mit Öffis in die Natur zu fahren. Naturtrip.org benutzt man nicht, weil man das Klima schützen will, sondern weil man eine gute Zeit in der Natur haben will und das dank Naturtrip.org jetzt mit Öffis am stressfreiesten zu machen ist. Den Leuten fällt es also im Zweifelsfall gar nicht auf, dass sie gerade was für die Umwelt tun.
Umweltbewusst sein und umweltverträglich handeln sind zwei verschiedene Stiefel. Ich kann noch so umweltbewusst sein – wenn ich erst mal zwei Stunden googeln muss, um ein Ausflugsziel für Öffis zu finden und die Kinder quengeln, weil sie raus wollen, dann pfeife ich auf das Erdklima und steige einfach ins Auto, damit komme ich bequem überall hin. Wir machen aus den zwei Stunden Google.com drei Sekunden Naturtrip.org und dann ist es schlicht einfacher, umweltbewusst zu handeln.
Wir sind ein bisschen stolz, als Kooperationspartner viele Umweltverbände dabei zu haben, wie BUND Berlin, VCD, Allianz pro Schiene, DNR, Naturfreunde oder Grüne Liga. Sie unterstützen unsere Idee ganz großartig, wir dürfen mit deren Logo werben und sie machen PR für uns in ihren Kommunikationskanälen.
Viele Menschen glauben, mit dem Auto zu fahren sei praktischer und ginge schneller. Was meint ihr dazu?
Judith: „Es gibt da eine Studie, die hat herausgefunden, dass die Fahrtzeit bei Ausflügen mit ÖPNV um etwa ein Drittel zu lang geschätzt wird. Das hat wohl damit zu tun, dass einem die Anfahrt mit Bus und Bahn so kompliziert vorkommt. Bei unserem sehr visuellen Routing sieht man gleich, wie einfach und schnell die Anfahrt oft ist. Aber eben nur zu bestimmten Zielen und die findet unsere superschlaue Software für jeden Standort immer im Nu heraus.
Tatsächlich ist man bei 77 Prozent der Ausflugsziele in Brandenburg von Berlin aus schneller mit Öffis dort als mit dem Auto. Übrigens: Die Anreise mit dem Auto wird um durchschnittlich zehn Prozent unterschätzt. Tatsächlich braucht man fast immer länger mit dem Auto.“
Welche Learnings würdet ihr anderen Gründern, die ebenfalls ihre eigene Idee in die Tat umsetzen möchten, mit auf den Weg geben?
Judith: „Sucht euch Verbündete, jedes Startup braucht Freunde. Wir haben die bei unseren Kooperationspartnern und den tollen Leuten beim Umweltministerium gefunden, die wirklich was verändern wollen.“
Hermann: „Die Idee ist nichts, die Umsetzung ist alles. Macht euch gefasst darauf, dass alles zehnmal so lang dauert wie ihr gedacht habt und 20-mal so aufwändig wird, wie es anfangs aussieht.
Und wenn eure Idee darauf baut, dass Leute etwas für eine bessere Welt machen wollen, dann richtet euch schon mal in der Nische ein. Wenn ihr den Mainstream erreichen wollt und somit einen echten Impact für die Gesellschaft, dann entwickelt Ideen, die vielen Leuten das Leben schöner, einfacher oder großartiger machen. Die wichtigere Triebfeder, ein nachhaltiges Produkt zu kaufen, ist nicht die Nachhaltigkeit. Sondern das Produkt.“
Was macht euch zu Changern?
Beide: „Wir machen Autos noch ein bisschen überflüssiger, als sie jetzt schon sind.“
Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Partner The Changer. The Changer ist ein Berliner Sozialunternehmen und bieten seit April 2014 Jobs, Events, News und Informationen, die ,Gutes tun’ einfacher machen sollen.
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