Unser Verdauungssystem bestimmt mit darüber, ob wir uns gut oder schlecht fühlen. Verantwortlich dafür sind das Nervengeflecht in und um unseren Darm und seine Verbindungen zum Gehirn. Die klinische Psychoneuroimmunologie macht sich das Wissen um diese Signalpfade zu Nutze, wenn es um die Unterstützung und Behandlung von z.B. seelischen Belastungen oder Verdauungsbeschwerden geht.
Ein wenig Volksmund und Anatomie
Jeder
von uns kennt Redewendungen wie „etwas aus dem Bauch heraus
entscheiden“ oder „man hat die Hose voll“. Aber auch Aussagen wie „ich
habe ein gutes Bauchgefühl“ kennt der Volksmund schon lange. Die
medizinische Forschung erkennt immer detaillierter wie Bauch und Gehirn
miteinander verknüpft sind.
Unsere Darmtätigkeit wird von
hunderten von Millionen Nervenzellen gesteuert. Zusammen bilden Sie das
sogenannte „enterische Nervensystem“. Es bildet die größte Anzahl von
Nervenzellen außerhalb des zentralen Nervensystems.Dabei regelt es die
Kontraktionen die der Darm macht um seinen Inhalt weiterzubefördern,
sorgt für den Austausch der Nährstoffe durch die Darmschleimhaut und
regelt die Durchblutung der Darmwand. Das enterische Nervensystem zählt
zum autonomen, also selbstständig arbeitenden Nervensystem. Es besitzt
sensorische Neurone für die Weiterleitung von Reizen, Interneurone als
eine Art Zwischenstation für andere Nervenzellen und Motorneurone die
Bewegungen des Organs auslösen. Es geht also immer um
Informationsweiterleitung innerhalb des Körpers.
Autobahn zwischen Bauch und Kopf
Es
gibt zahlreiche Nervenverbindungen zwischen dem Darm und dem Gehirn.
Dabei führen 90 Prozent des Informationsflusses aufwärts zum Gehirn hin.
Diese Informationen aus dem Verdauungssystem nehmen wir meist nicht
bewusst wahr, aber sie erzeugen eine Art Hintergrundrauschen welches
sich positiv wie negativ darstellen kann. Wir haben dann so ein
„Bauchgefühl“ oder „Schmetterlinge im Bauch“. Natürlich verlaufen auch
in umgekehrter Richtung, also vom Kopf zum Bauch Nervenverbindungen.
Obwohl der Darm autonom gesteuert wird, kann emotionaler Stress oder ein
traumatisches Ereignis zu Übelkeit, Krämpfen, Durchfall oder auch
Erbrechen führen.
Bei Angststörungen kommt es häufig zu
Durchfällen, während Menschen mit Depressionen eher zur Verstopfung
neigen. Es verändert sich also aufgrund der emotionalen Lage der
Informationsfluss bzw. Gehalt in Richtung Verdauungsorgane.
In
einer Versuchsreihe des Center for Gastroenterological Research in
Löwen/Belgien wurde untersucht wie sich Stress auf die Nahrungsaufnahme
auswirkt. Die Wissenschaftler zeigten gesunden Versuchsteilnehmern die
gerade eine Mahlzeit zu sich nahmen, verschiedene Gesichtsausdrücke und
dazu neutrale oder angsteinflößende Tonaufnahmen. Zeitgleich wurde bei
den Probanden die Ausdehnung des Magens gemessen.
Das Ergebnis:
Die Teilnehmer, die unter Stress gesetzt wurden, hatten eine geringere
Ausdehnung des Magens als Personen, die entspannt essen konnten. Ganz
nach dem Motto „ich habe es satt“ wurde also bei belastenden Situationen
ein früheres Sättigungsgefühl erreicht.
Nun ist dieser Umstand
dem sportlichen Training ähnlich – je häufiger wir ihn trainieren, desto
konstanter und stärker wird dieser Zustand. Denken Sie an Kinder, die
ständig unter Bauchschmerzen leiden. Möglicherweise sind soziale
Spannungen am Esstisch die Ursache. Auch Besprechungen und Meetings zum
Mittagessen gehören dazu. Über ein frühzeitiges Sättigungsgefühl,
Schmerzen oder Spannungen klagen Menschen mit sogenannten funktionellen
Oberbauchbeschwerden. Dabei kann der Arzt organisch nichts feststellen,
aber die Funktion läuft nur eingeschränkt ab.
Früher war alles besser
Das
Stress unsere Verdauung beeinflusst hat einen evolutionären Sinn. In
einer akuten Situation sollten wir Flüchten oder kämpfen können. Unter
Stress muss unser Körper soviel Energie wie möglich in so kurzer Zeit
wie unbedingt nötig mobilisieren. In dieser Situation wird also die
Energiezufuhr für die Verdauungsorgane unterbrochen und z.B. der
Skelettmuskulatur zur Verfügung gestellt. Es ist auch unnötig auf der
Flucht Ballast mit sich herum zu schleppen. Daher neigen wir dazu rasch
und häufig Blase und Darm zu entleeren. Denken Sie einmal an Ihr
Haustier das zum Tierarzt muss oder an das Schulkind das heute eine
Klassenarbeit in seinem schlechtesten Fach schreibt.
Bei diesem
„Stress-Vorgang“ schüttet ein Teil des Gehirns ein Hormon mit der
Bezeichnung Cortico-Releasing-Hormon (CRH) aus. Diese Ausschüttung kann
je nach Stressempfinden und Dauer des Stressors unterschiedlich intensiv
geschehen. Die CRH Moleküle docken nun an Verbindungsstellen des
Magen-Darm-Traktes an. Das veranlasst nun Zellen der körpereigenen
Abwehr wiederum Informationsaustausch zu betreiben und so reagiert unser
enterisches Nervensystem mit Durchfall, Erbrechen oder bsw. Übelkeit.
Evolutionär ist das durchaus sinnvoll. Denn schädliche Substanzen durch
z.B. verdorbenes Essen oder natürliche Pflanzengifte können so schnell
ausgeschieden werden.
In unseren obigen Beispielen sind jedoch
keine Toxine sondern die Daueraktivierung des Stresssystems durch
psychische Belastungen das Problem. Die genannten Zellen der
Körperabwehr konnten aber auch bei den gleichen Belastungen in der
Schleimhaut der Speiseröhre in verstärkter Konzentration nachgewiesen
werden. Dort erweitern sie die Zwischenräume der Schleimhaut. Der saure
Verdauungssaft kann dann ungehindert hindurchtreten und das darunter
liegende Gewebe reizen. Das erklärt warum wir unter Stress Sodbrennen
bekommen können oder „sauer“ sind. Das CRF sorgt ebenfalls dafür das die
Darmschleimhaut, die als Schutzbarriere dienen sollte, durchlässig
wird. Körperfremde Substanzen (z.B. Gluten) und Bakterien können so
leichter in den Organismus eindringen und so zu Entzündungsgeschehen
führen. Diese sorgen nun für ein Sickness-Behavior. Der Körper
unternimmt alles um Energie zu sparen. Damit singt die Motivation,
Entscheidungsfreudigkeit und Stimmung.
Mechanische Dehnungsreize
auf die Darmwand (z.B. bei Blähungen, Verstopfung) aktivieren das
limbische System in dem Gefühle verarbeitet werden und hier insbesondere
das Angstempfinden.
Auch eine Frage des Baustoffs
Wenn
wir nun von einer nicht optimalen Verdauung ausgehen, müssen wir uns
auch um die Aufnahmefähigkeit von Nahrungsinhaltssstoffen wie Fett,
Protein, Kohlenhydraten (Makronährstoffe) und von Mineralstoffen/
Elektrolyten (Mikronährstoffen) Gedanken machen. Kann bspw. Fett nicht
ausreichend resorbiert werden, sinkt die Membranflexibilität von Zellen
und damit auch der Kommunikationsaustausch zwischen ihnen. Eine gereizte
Magenschleimhaut produziert kaum noch Intrinsic Faktor für die Aufnahme
von Vitamin B12. Dieses Vitamin ist aber nötig für die Bildung der
Schutzschicht um unsere Nervenfasern und spielt eine große Rolle als
Co-Faktor in der Produktion von Serotonin.
Was uns happy macht
Interessanterweise
wirken Antidepressiva bei Magen-Darm-Beschwerden wie einem
Reizdarmsyndrom (Blähung, Bauchdruck, Übelkeit, Verstopfung und/ oder
Durchfall) sehr gut. Diese Medikamente wirken auf den Serotonin-Spiegel.
Serotonin ist ein Hormon welches Übersetzt werden kann mit der
Information: wohl fühlen, glücklich sein. Ist der wirksame Spiegel an
Serotonin zu niedrig kann dies die Stimmung aber eben auch den
Verdauungstrakt beeinflussen. Serotonin wirkt im Gehirn, aber über 70%
werden im enterischen Nervensystem, also im Bauch hergestellt.
Aber
was ist nun der Stimmungsmacher schlechthin, der sich auch positiv auf
meine Verdaung auswirkt? Bewegung! Und am besten in einer Umgebung, die
Freude macht, unser Immunsystem dort fordert, wo es benötigt wird, und
das in Kombination mit lösungsorientierten Ansätzen – ob mental oder
ernährungsbezogen.
Nun haben Sie einen Einblick in die Thematik
erhalten und können selbst entscheiden, wie Sie mit Ihrer Gesundheit
umgehen möchten. Vielleicht sind Sie selbst nicht betroffen. Dann
herzlichen Glückwunsch und erhalten Sie sich dieses Privileg!
Timo Bartel/ Gesundheitscoach
www.spielraum-bewegt.de
Erschienen am 13.12.2013 auf http://www.spielraum-bewegt.de/blog/aus-der-koerpermitte/