Wer „New Work“ hört, denkt oft an Startups. Doch hier hapert es oft an der guten Unternehmenskultur. Die Arbeitswissenschaftlerin Ursula Vranken erklärt, was für New Work wirklich entscheidend ist und mit welchen Maßnahmen sie gelingt.
„Eine tägliche Bühne für Jungen-Clubs“
Herzlich willkommen bei „New Work“, der wunderbaren neuen Art zu arbeiten. Menschlich, gleichberechtigt, mit einer einzigartigen Balance aus „Work“ und „Life“?
Denkste! Denn „New Work“ hält eine Vielzahl von Märchen bereit — unter anderem jenes, dass Frauen davon profitieren würden. Zeit, mit den „New Work“-Fantastereien einmal aufzuräumen und der Idee eine Unternehmenskultur entgegenzusetzen, die dem Anspruch wirklich gerecht wird.
Schauen wir kurz zurück: Die Arbeitswelt erfährt seit einigen Jahren einen grundlegenden und strukturellen Wandel. Unsere Gesellschaft befindet sich in der Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft: Unternehmensstrukturen verändern sich, Arbeitsräume – auch die Grenzen von Berufs- und Privatleben – verschieben sich.
„New Work“ steht als Begriff für diese Entwicklung und ist zum Megatrend geworden. Alle reden von dieser neuen digitalen Arbeitswelt. Es gibt Power-Point-Präsentationen, in denen – ganz wichtig – immer der Mensch im Mittelpunkt des neuen Arbeitens steht. Doch „New Work“, so wie wir es heute tatsächlich erleben, ist keineswegs ein Garant für bessere Arbeitsbedingungen.
Die Arbeitswelt wird komplexer
Auch wenn man uns mit der ewigen Duzerei weismachen will, dass im Job alles einfacher wird, handelt es sich um einen Trugschluss: Denn die Sprache kaschiert, dass die Arbeitswelt in Wahrheit viel komplexer geworden ist.
Offen gesagt: Ich habe nichts gegen „New Work“, wenn es mehr wäre als ein bisschen Anspruch und ganz viel Verpackung. Aus meiner Beratungspraxis in Unternehmen weiß ich, dass es oft nur eine leere Worthülse ist, die weder den Mitarbeiter*innen noch der Wertschöpfung nützt. Leider. Dabei sind die zentralen Werte des Konzepts wie Selbstständigkeit, Freiheit und die Teilhabe an der Gemeinschaft absolut wünschenswert. Doch was nützt die beste Theorie, wenn sie in der Praxis oft nur durch einen Tischkicker und einen Kühlschrank mit Rhabarber-Schorle im Büro mit Leben erfüllt wird?
Machen wir uns an die Fehleranalyse. Um echtes „New Work“ zu ermöglichen, müssen wir zunächst die sieben Märchen enttarnen:
1. Märchen: „New Work“ begünstigt Frauen.
Das Gegenteil ist der Fall! Gerade „New Work“, wo ständig in agilen Teams und Gruppen diskutiert wird, ist eine tägliche Bühne für Jungen-Clubs. Für Frauen bedeutet das: Wer sich nicht jeden Tag brachial in Szene setzt, ist tatsächlich Verlierer von New Work.
2. Märchen: Open Space schafft mehr Kommunikation.
Es gibt immer mehr Mitarbeiter*innen, die sich mit dicken Kopfhörern abschotten, um sich zu konzentrieren. Dabei müssen sich Teams auch inhaltlich miteinander austauschen, sonst bleibt es beim Nebeneinander oder ohrenbetäubendem Lärm.
3. Märchen: Flexible Desk macht flexibel.
Flexibilität fängt im Kopf an und wird nicht durch den Entzug des Schreibtisches erzeugt. Viele stationäre Mitarbeiter*innen reservieren sich mittlerweile wie im Mallorca-Urlaub Standplätze für ihren Desk und legen etwas darauf, um sich den Platz zu sichern.
4. Märchen: New Work ist neu.
Dass Arbeit Spaß machen soll und motivierte Mitarbeiter*innen besser sind als frustrierte, ist keine Erfindung von „New Work“. In Familienunternehmen ist es gang und gäbe, dass sich das Unternehmen auch um das gesamte Wohl der Mitarbeiter*innen kümmert.
5. Märchen: Sneaker-Chef*innen sind besser.
Informelles Aussehen hat nichts mit innerer Haltung zu tun. Und so hat auch echte Wertschätzung nichts mit der Frage „Jeans oder Anzug“ zu tun. Es gibt viele „Wölfe im Schafspelz“, die per Du und in lässiger Kleidung härtere Kritik austeilen können als vermeintliche Old-School-Chef*innen.
6. Märchen: Selbstorganisation löst alle Probleme.
Leider stimmt das nicht. Die Übernahme von Selbstverantwortung will gelernt sein und ist der Generation Y und Z nicht in die Wiege gelegt.
7. Märchen: Geld spielt keine Rolle.
Das ist nun wirklich Unsinn! Wer heute in der Großstadt wohnt, mit Kindern, eigenem Haus oder exorbitanten Mietpreisen, braucht Geld. Wer sich zu zweit abrackert und dafür Kinder und Job organisiert, will für die Extra-Meile auch heute noch den Extra-Bonus. Gute und faire Bezahlung bleibt relevant.
Mein Appell für echte „New Work“
Lasst uns echtes „New Work“ versuchen. Mit einer neuen Unternehmenskultur. „New Work“ muss oben beginnen: Die Chef*innen müssen ihr hierarchisches Gehabe ablegen und den neuen Geist der Arbeit vorleben. Das ist mehr als ein „Du“.
Sofortmaßnahmen für echtes „New Work“ in Unternehmen
1. Schafft eine Kultur der Kommunikation und Partizipation. Eigenverantwortung entsteht nur, wenn Mitarbeiter*innen auch echte Entscheidungs- und Handlungsspielräume haben.
2. Entschlackt das Unternehmen und schafft alle überflüssigen und bürokratischen Prozesse und Prozedere ab. Verschlankt die Führungsstrukturen, gebt Macht an die Macher*innen (vor Ort) ab.
3. Schafft Raum für Neues und Experimente. „Einfach machen“ ist die neue Losung, begebt euch auf die Reise. Erst dadurch entsteht die Lust auf Innovation. Dabei muss klar sein: Es dürfen auch Fehler passieren.
4. Nutzt die Moderation! Lebendige Gespräche und Ideen müssen strukturiert werden. So können aus chaotischen Gruppenmeetings ergebnisorientierte Sessions werden.
5. Vorleben ist wichtig – alle Experimente und neue Büros nützen nichts, wenn die Führungsetage nicht mitmacht. Statt sich in Meetings mit anderen Führungskräften zu verschanzen, sollte man in die Teams gehen und hören, was dort zum Beispiel über über Wünsche und Beschwerden von Kund*innen berichtet wird.
6. Entlasst die Mitarbeiter*innen schrittweise in die Freiheit. Eigenverantwortung braucht Übung. Delegiert nicht alles sofort, sondern führt die Angestellten Schritt für Schritt an ihre Aufgaben heran.
7. Fangt heute an und beteiligt alle Mitarbeiter*innen an der Gestaltung der Zukunft. Nutzt Mitmach-Formate wie „Working Out Loud“ (WOL).
8. Sorgt für Know-how. Wer nicht weiß, wovon er redet, kann sich auch nicht selbst organisieren. Kontinuierliche Schulungen für die Mitarbeiter*innen sind Pflicht.
Titelbild: Depositphotos.com
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