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Dieses fiese Bauchgefühl, während du in der U-Bahn sitzt oder am Bahnsteig wartest

Zu selten spricht man darüber, zu oft denkt man es passiere sowieso nur den anderen, zu oft sagt man sich, mir kann das nicht passieren. Bis es passiert: Ein wildfremder Mann fasste mich an.

 

Ist das reale Angst oder eine Überreaktion?

Ich dachte eigentlich ich sei emanzipiert, ich dachte  ich sei stark und mutig. Ich dachte, ich lebe in einer Gesellschaft in der Mann und Frau mittlerweile gleichgestellt sind, in der man keine Angst vor Übergriffen haben sollte und in gut besuchten, städtische Gegenden auch nicht haben muss. Ich dachte, ich lebe in einer Gesellschaft in der Frauen genauso Mensch sind, wie Mann und weder als Objekt noch als Tier angesehen werden. Diese Zeiten gehören schließlich der Vergangenheit an sollte man meinen. 

Falsch gedacht. Schon oft war ich unterwegs und geriet in eine Situation, ob abends oder am Tage, ob in Berlin oder Barcelona, wo ich dieses eine bestimmte Gefühl in der Magengegend bekam. Jedes Mal bin ich bisher davon gekommen, habe mir am Ende gesagt: Ist ja nichts passiert, du hast die Situation sicher nur falsch eingeschätzt und überbewertet. Dieses Gefühl nennt sich Angst und äußert sich in Unbehagen. Es bedeutet sich für einen Moment komplett allein zu fühlen, als hätte die Welt einen im Stich gelassen. Alles um einen herum verschwimmt und man konzentriert sich nur auf eins. Den Mann. Den Täter?

Auf den Mann, der einen beobachtet, mit seinen Blicken verfolgt, mich zu einem Opfer werden lässt. Mich von einer emanzipierten, selbstbewussten, jungen Frau in ein kleines, hilfloses Wesen verwandelt. In Barcelona war es nur ein junger Taxifahrer, der dieses Gefühl von Ekel in mir auslöste. Auf dem Weg zur Uni war es der ältere Mann, der eine Woche lang jeden Tag am gleichen Gleis und plötzlich eines Tages in der Mensa hinter mir stand. Jedes mal bin ich davon gekommen und habe mir gesagt, dass bildest du dir nur ein. Sagte mir, in einer wirklich bedrohlichen Situation würde ich schon richtig reagieren, mich zur Wehr setzen können – ich gehe schließlich boxen, bin nicht gerade introvertiert und groß. Heute allerdings war der Moment, mit dem sich alles änderte.

Und auf einmal wurde ich selbst zum Opfer

Ich stand am Bahngleis, in einem Mantel, mit dickem Schal, nicht in Hotpants oder mit Absatzschuhen. Und da war es wieder dieses Bauchgefühl. Ich beobachte einen Mann, er war klein, winzig, ein Obdachloser dachte ich, der mich gleich um Geld fragen wird. Er ging vorbei, zum Glück, dachte ich. Und dann nahm ich wahr, wie er mich ansah. Der eine Blick, dieser eine kurze Blick, der reichte um meinem Unterbewusstsein mitzuteilen, du bist die Auserwählte. Dann hoffte ich nur. Vergebens.

Plötzlich stand er neben mir, wollte er vielleicht doch nur meine Tasche? Und dann realisierte ich, was ich nicht wahr haben wollte. Es ist passiert. Ein wildfremder, ekliger, kleiner Mann fasst mich an, grinst dabei, genießt es und ergötzt sich daran. Es war nur eine Sekunde, doch diese reichte aus, um vollkommen aus der Verfassung gebracht zu werden. Ich ging weg, versuchte zu realisieren was da gerade passierte. Suchte Schutz bei einer Frau, die das Ganze beobachtet hatte. Er verschwand. Ich blieb. Fassungslos. Hilflos, zitternd. 

Warum habe ich mich nicht verteidigt?

Wo war nun mein selbstbewusstes Ich? Warum habe ich nicht geschrien? Warum habe ich mich nicht verteidigt? Es dauerte einige Momente, bis ich mich ein paar U-Bahnstationen weiter weinend am Telefon wieder fand. Am anderen Ende meine Mama. Du musst Anzeige erstatten sagte sie, den muss man kriegen. Ich an deiner Stelle hätte ja laut Randale gemacht, in einer Sicherheitsschulung lernte sie, man solle laut rufen und zielgerichtet Leute um Hilfe bitten. Hätte sie? Hat der Mann, der ihr den Tipp und die Schulung gegeben hatte, das selbst mal so erlebt und spricht aus Erfahrung?

Ich habe bisher noch nie erlebt, dass eine Frau, oder ein Mann in einer U-Bahn laut um Hilfe geschrien hat, als man ihr oder ihm zu nahe kam. Wohl aber habe ich es selbst schon oft beobachtet, wie Frauen oder Mädchen von Männern belästigt wurden, mit ihren Blicken etwas Widerliches suggerierten. Hatte ich die Beobachterrolle, war ich stark, fühlte mich stark und stand den Frauen bei. Doch jetzt, als es um mich selbst ging, war all das weg. Zum Glück gab es die andere Frau, die Beobachterin, die für mich stark war und in dem Moment die Initiative ergriff und mir beistand.

Wieso bin ich es, die sich schämt?

Seit ich klein bin lerne ich wie ich mich im Fall der Fälle zu verhalten hätte: bloß nicht schüchtern sein, heißt es dann immer. Doch heute habe ich feststellen müssen, dass in einer Situation wie dieser meine eigene Scham, meine Hemmungen davor in der Öffentlichkeit plötzlich im Mittelpunkt zu stehen wegen einer Sache, für dich ich mich schämte größer waren als all das was ich gelernt hatte. Dabei war ich das Opfer. Ich sollte mich nicht schämen. Und doch bin ich es, die dieses ekelige Gefühl mit nach Hause nehmen muss, sich dreckig fühlt. Ich kenne kaum eine Freundin, die nicht auch schon in einer solchen oder noch schlimmeren Situation war. Ist das nicht traurig? Mädels und Frauen, die bewusst keine kurzen Röcke in der Stadt tragen und vorsichtig im Umgang mit roten Lippenstiften sind. Und trotzdem passiert es.

Ich möchte nicht mehr, dass wir Frauen immer diese Opferrolle einnehmen müssen. Ich will das wir frei sind, das wir keine Angst haben müssen abends U-Bahn zu fahren, keine Angst vor Männern haben sollten, die mit ihren sexuellen Bedürfnissen anscheinend nicht umgehen können. Keine Scham mehr verspüren sollten zu sagen, was einen stört. Wo fängt Belästigung an? Es reicht ein Blick, ein Blick der in einem dieses bestimmte Gefühl in der Magengegend auslöst, ein Geräusch, dass einen schauern lässt. Muss eigentlich immer erst etwas Schlimmes passieren, bevor der jemand eingreift? Man kann mir sagen was man will, aber wer einmal so etwas macht, der macht das immer wieder. Ich will das meine Freundinnen und meine Schwester selbst entscheiden von wem sie angefasst werden. Ich will, dass man sie als Mensch wahrnimmt, nicht als Tier. Ich will, dass sie nicht mit diesem Bauchgefühl U-Bahn fahren müssen. 

Falls man es übrigens schafft mutig zu sein und zur Polizei gehen möchte, darf man entweder eine Stunde auf der Wache warten, bevor das

Delikt protokolliert wird oder ein Onlineformular ausfüllen, bei dem man die Wahl hat zwischen

„Diebstahl“,

„rund ums Fahrrad“ oder

„andere Anzeigen“ – die Prioritäten scheinen hier klar zu sein. Am Ende wird man noch mal gefragt, wie hoch der finanzielle Schaden sei. Das Wort

„seelisch“ passte leider nicht in die Zeile, da das Formular nur Zahlen akzeptierte. In so einer Gesellschaft lebe ich also.

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