Foto: unsplash – Stephen Di Donato

Ein Jahr Unternehmerin: Sorgen müssen sein!

Claudia Lang hat sich mit 52 mit einem Startup selbstständig gemacht und dafür ihren Vorstandsposten aufgegeben. Bei uns zieht sie Bilanz darüber, was sie im ersten Jahr gelernt hat.

 

Das erste Jahr

Vor gut einem Jahr wurde einer meiner Träume wahr. Er bereitet mir seitdem ziemlich viel Arbeit ­– aber das ist völlig in Ordnung.

So klingt das natürlich etwas mysteriös. Die Auflösung: Vor drei Jahren habe ich mich, gemeinsam mit meinem Mann, selbständig gemacht. Wir haben unser eigenes Startup gegründet. Nach zwei Jahren Investorensuche und Produktentwicklung ging unser Produkt dann online – und wir waren nicht länger in der Gründungsphase, sondern wir waren am Markt.

Jetzt musste sich unsere Idee beweisen: Versicherungen online zu verkaufen, so einfach wie ein Einkauf bei Amazon – und zwar so einfach erklärt, dass jeder Kunde genau weiß, was er tut, und ohne Berater entscheiden kann. Man hat uns oft genug gesagt, das sei unmöglich. Selbst Menschen aus der Versicherungsbranche meinen, es sei gottgegeben, dass sich niemand mit ihren Produkten beschäftigen will. Wir verkaufen aber nur, wenn Menschen freiwillig auf unsere Website gehen. Für diese Vision hatten wir beide sichere und gut bezahlte Stellen aufgeben. War ich nervös? Oh ja, mit Sicherheit.

Sorgen hat man immer …

Auch in meinem alten Vorstandsjob hatte ich viel Verantwortung. Aber es ist etwas anderes, wenn man über das eigene Unternehmen entscheidet. Ich bin jetzt Chefin, gemeinsam mit meinem Mann, und jede Entscheidung bestimmt über Wohl und Wehe des Unternehmens und unserer Mitarbeiter. Vor einem Jahr waren es zehn, heute sind es zwanzig. Ein paar unserer Entscheidungen müssen also richtig gewesen sein.

Es ist inzwischen meine Überzeugung: Sorgen macht man sich immer. Manche Menschen müssen um ihr Leben fürchten. Andere sorgen sich um Familie, Arbeit oder Zukunft. Und wer mit all diesen Dingen kein Problem hat, den treibt vielleicht um, wie man die Löwenzahnplage auf dem englischen Rasen bekämpft. Meine Devise ist daher: Wenn ich mir sowieso Sorgen mache, dann doch bitte um eine Sache, die es wert ist!

… und Sorgen müssen sein!

Anlässe dafür hat man als Unternehmer sowieso genug. Ein großes Problem ist die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern insbesondere aus der IT. Als kleines Startup weiß man wirklich nicht, wo man gute Leute finden soll. Wir konnten nun zwei Entwickler aus Tunesien und Aserbaidschan für uns gewinnen. Darüber freuen wir uns sehr. Allerdings stehen wir nun wieder vor dem nächsten Hindernis – den Behörden. Wir möchten die neuen Mitarbeiter schnell nach Deutschland holen, damit sie zeitnah anfangen können.

Zum Glück gehören zum Unternehmertum aber nicht nur Probleme, sondern auch Erfolge. Wir haben immer wieder Anlass, sehr zufrieden zu sein. In diesen Augenblicken macht das Unternehmertum richtig Freude! Die von uns entwickelten Produkte bekommen in Medien gute Beurteilungen. Wir haben unglaublich viele neue und vielfältige Kontakte geknüpft, die unsere Arbeit bereichern. Und wir bekommen viel positive und ermutigende Rückmeldungen: von Kunden, aus der Branche, und sogar von Wettbewerbern.

Was mich aber am meisten beeindruckt nach einem ersten Jahr, das ist der Teamgeist. Gut, jeder Unternehmer lobt seine Mitarbeiter – aber ich habe nun wirklich den Vergleich. Auch in meinem vorigen Job hatte ich ein gutes Team. Aber nun liegt die Unternehmenskultur vollständig in unserer eigenen Hand, und das möchte ich nicht mehr missen: Wir arbeiten alle Schulter an Schulter, eine ganz feste Einheit, die für die Sache fiebert. Und wir lachen unglaublich viel. Das hilft, die Perspektive zu bewahren, auch wenn es manchmal stressig wird. Ich empfinde die Kollegen oft als meine weitere Familie. Es soll ihnen immer gut gehen, ich freue mich sehr und bin stolz auf ihre Erfolge.

Feierabend machen ist eine Herausforderung

Wie sich allerdings zeigt, können Erfolge einen genauso aus der inneren Balance bringen wie Sorgen. Abends abzuschalten ist tatsächlich etwas, was ich erst einmal lernen musste. Wenn der eigene Ehemann auch der Geschäftspartner ist, mutiert das Abendessen schnell zum Planungsmeeting.

Wir haben inzwischen eine feste Regel gefunden. Nach 22 Uhr führen wir keine Gespräche mehr über die Firma. Das schützt mich jedoch nicht davor zu grübeln, wenn ich manchmal nachts aufwache. Aber auch dafür habe ich eine Lösung gefunden: Hörbücher. Wenn mir jemand etwas vorliest, fühle ich mich geborgen und schlafe schnell wieder ein. Das war in meiner Kindheit so, und das funktioniert auch heute noch. Ein guter Trick, um fit in den nächsten Tag zu starten.

Mache ich mir also viele Sorgen, seit ich mich selbständig gemacht habe? Ja, aber ich sorge mich um die richtigen Dinge. Ist es anstrengend? Ja. Ist es befriedigend? Meistens. 

Würde ich dieselbe Entscheidung noch einmal treffen?

Sofort.

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