„Du hast dich selbstständig gemacht? Warum das denn, bist du gekündigt worden?“ Die seltsamen Reaktionen meines Umfeldes auf meine berufliche Selbstständigkeit waren erst verletzend – bis ich etwas verstand.
Sicherheit als Top-Priorität
Geben wir es zu: Wir Deutschen sind nicht unbedingt für unsere
Risikobereitschaft bekannt. Für unseren Fleiß und unsere Pünktlichkeit, aber
nicht für unsere Risikobereitschaft. Und laut der einer Studie des Institutes für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2015 haben die Deutschen ein stark erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, speziell die Arbeitsplatzsicherheit
liegt ihnen ganz besonders am Herzen.
Informationen, die vollkommen nachvollziehbar und vielen von uns sicher nicht ganz neu sind. Informationen, die ich kannte; und ich
wusste, dass alle Menschen nach unterschiedlichen Werten lebten und mit diesen Werten als Grundlage ihr Leben gestalten.
Diese
Informationen betrafen mich weit mehr, als ich je geahnt hätte.
Blankes Entsetzen im Gesicht
Szenenwechsel: Einige Wochen zuvor, ein Café in Stuttgart, Mittagessen, die
Sonne scheint:
„Was? Du hast dich selbstständig gemacht, Nina? Warum? Bist du etwa
gekündigt worden? Von der Kündigung wusste ich ja gar nichts!“ Meine unmittelbare Antwort darauf (ich befinde
mich nun in einem Zustand vollkommener Verwirrtheit aufgrund diese höchst
unerwarteten Rückfrage): „Nein, natürlich nicht, warum sollte ich denn gekündigt
worden sein – ich habe gekündigt!“
Ich sah die immer größer werdenden Augen
meines Gegenübers, nun stand ihm das blanke Entsetzen im Gesicht: „Aber du
warst doch in ungekündigter Stellung! Super erfolgreich, du bist doch erst wieder
befördert worden, seit mehreren Jahren dabei…die hätten dich doch nie
gekündigt? Warum machst du so was?“
Ich war so perplex über diese erste Reaktion, dass ich mich selbst kurz
fragte: Ja, Nina: Warum machst du so was? Warum ich so was mache, warum andere
so was machen? Wir tun es aus den gleichen Gründen, aus ähnlichen Gründen und aus
vollkommen verschiedenen Gründen…
Doch dann schallten zwei Worte wieder und wieder an mein Ohr, die mich
aus meinem Gedanken heraus und zurück in das Café rissen: „ungekündigte Anstellung“
und „Firmenzugehörigkeit“. Ich war wieder auf dem Boden der Tatsachen. Nicht
meinen Tatsachen, den Tatsachen meines Gesprächspartners.
Seine nächsten Sätze
enthielten mindestens sechs Mal die Wörter ,ungekündigte Stellung’, ,Arbeitsplatzsicherheit’ und ,Firmenzugehörigkeit’. Nach nun vielen Jahren Karriere
im Human-Resources-Bereich kannte ich die Bedeutung dieser Wörter nur zu gut. Ich
war mir ihrer großen Wichtigkeit für Menschen und im Umkehrschluss auch für Unternehmen
bewusst und dennoch krümmte sich mein Magen zusammen, jedes Mal, wenn ich sie in
Bezug auf mich und meinen Job hörte.
Selbstständigkeit dank Hochzeit?
Kaum hatte ich versucht, dieses Mittagessen aus meinen Gedanken zu
verbannen, saß ich drei Tage später mit einer Freundin bei ihr zu Hause beim Abendessen.
Ich erzählte ihr, dass ich endlich meine geplante Selbstständigkeit umgesetzt
hatte; von meinen Plänen; von meinem Angebot; davon, dass ich jungen
Frauen helfen möchte, die Karriere und den Beruf ihrer Träume zu leben. Ich hatte definitiv das Gefühl, dass sie sich
schon für mich freute, als sie mich anlächelte und sagte: ,,Ach, das ist doch wirklich
eine nette Idee. Und jetzt, da du letztes Jahr geheiratet hast und ja nicht mehr
zwingend arbeiten musst, kannst du doch sowas auch mal ausprobieren!“
Damit war
die Thematik für sie abgeschlossen, und sie wechselte zu einem anderen Gesprächsthema. Ich versuchte, dem weiteren Gespräch zu folgen, während in meinem
Kopf eine aufgebrachte Stimme zickig schrie: „Entschuldige! Wie bitte? Sagtest
du gerade ,aus-pro-bieren?’ Ich habe mich selbstständig gemacht – mit einem
Unternehmen – ich sprach nicht davon, vor lauter verheirateter Freizeit mal auszuprobieren, ob mir Stricken als neues Hobby liegt!“
Irgendwann: gedämpfte Stimmung
In den folgenden Wochen folgten viele Gespräche mit Bekannten und
Freunden, ich war unbewusst jetzt schon zurückhaltender geworden, was die
Kommunikation zu meiner Firmengründung anging. Nur mein Mann, der mir schon dazu geraten hatte, meinem Entrepreneur-Bauchgefühl zu folgen, als wir uns kennenlernten, und der aufgrund seiner amerikanischen Nationalität wahrscheinlich generell schneller zu
begeistern ist, berichtete jedem davon, dass Nina sich endlich selbstständig gemacht
hatte und wie wunderbar das sei.
Wenn auch anders kommuniziert, stießen wir in dem
Fall nun beide auf andere, aber ähnliche Reaktionen: „Hast du dir das auch
gut überlegt?“; „Sowas sollte man wirklich detailliert planen, weißt du!“; „Sind denn die wirtschaftlichen Aussichten stabil
genug für Firmengründungen derzeit?”; „Die Leute stellen sich das ja immer so
einfach vor, ich habe schon so viele scheitern sehen.“ „Na klar, ich habe das null recherchiert, analysiert oder geplant, und
weil ich das so spontan und kopflos angehe, habe ich mir auch zwei Orgel
spielende Affen gekauft, die mich beim Firmenstart unterstützen!“ Mein unausgesprochener
Sarkasmus und Wut übernahmen langsam die innere Oberhand.
Suche nach Erklärungen
Es waren wieder einige Wochen vergangen. Ich lag nachts wach in meinem
Bett, während mein Mann tief und fest schlief. Ich machte das, was jede Frau, die mitten
in der Nacht nicht schlafen kann, in meiner Situation machen würde: Ich
rekonstruierte. Ich analysierte. Ich suchte nach Erklärungen für die
Reaktionen, die ich erhielt, wenn ich von meiner neu gestarteten Selbstständigkeit berichtete. Ich suchte nach Erklärungen für dieses in meinen Augen wirklich skurrile
Verhalten. Ich suchte nach Erklärungen bei den anderen und bei mir; ich
zweifelte…erst kurz, aber intensiv an den anderen, aber dann an mir. Und dann
machte dieser Zweifel sich breit:
„Habe ich die Information, dass ich mich selbstständig gemacht habe,
nicht gut genug verkauft? (Muss ich an meinem Wie-informiere-ich-meinen-Bekanntenkreis-über-meine-Selbstständigkeit-Elevator-Pitch
arbeiten?) Denken die, ich sei nicht in der Lage dazu? (…aber die wissen doch, dass ich wirklich erfolgreich war.) Oder bedeuten diese Reaktionen, dass die Selbstständigkeit eine
blöde Idee war? Ist es eine blöde Idee?”
Ich verschweige nicht, dass dieses Wachsein gefühlte Stunden andauerte, in
denen ich mir den Kopf zerbrach. Plötzlich, irgendwann mitten in dieser
schlaflosen Nacht, stellte sich glücklicherweise der klar denkende Teil meines Gehirns
wieder ein. Ganz von alleine. Der klar denkende Teil meines Gehirns war wieder da,
ohne gekränktes Selbstwertgefühl, ohne Zweifel, ohne Verurteilung. Ich lag mit seligem Gesicht und ruhigem Gemüt im Bett, mir war Folgendes bewusst geworden:
Genau betrachtet stammten alle beschriebenen Reaktionen von Menschen, für die im Vergleich zu mir die ständige Veränderung oder das Verlassen von Komfortzonen unangenehme und mit Angst besetzte Themen waren. Ihnen waren die Werte Sicherheit und Beständigkeit wesentlich wichtiger, als sie mir
jemals sein werden. Wunderbare Menschen, deren Welt und Träume aber schon immer
viel kleiner waren als die meinen. Menschen, für die weltweite Umzüge, neue Jobs,
ständige Komfortzonenerweiterung und berufliche Veränderung die
Horrorvorstellung schlechthin waren, während ich meine Lebensenergie aus diesen
Dingen zog.
Sie wussten nicht, wohin ich mich wieder verändern würde mit dieser
Selbstständigkeit, dieser Veränderung in meinen Leben. Menschen, die auch aus
Liebe wollten, dass alles so bleibt, wie sie es kannten. Ihre Antworten waren ihre
natürliche Reaktion auf unvorbereitete Veränderung, auf erhöhtes Risiko, niedrige Beständigkeit, auf meine in ihren Augen skurrile Aktion, einen Job zu kündigen und eine Firma zu eröffnen.
Lessons Learned
Ich lernte in dieser Nacht, dass auch ich als Multipassionate-Entrepeneur anscheinend das Bedürfnis
der Beständigkeit habe. Es manifestiert sich in meinem die Beständigkeit
lebenden und liebenden Umfeld an Freunden.
Ich lernte, dass ich Erwartungen an sie gestellt hatte, die sie niemals erfüllen
konnten, nämlich allesamt zu reagieren, wie es meinen Werten entsprach.
Und ich lernte wieder einmal, dass, wenn ich mich verändere, sich
auch ein Teil meines Umfeldes mit mir ändert. Ich brauchte kein neues Umfeld,
ich musste mein Umfeld aber erweitern. Erweitern um einen Kreis von Menschen, die tickten
wie ich. Die begeistert Gratulationen aussprechen, wenn jemand ihnen mitteilt,
dass er seine Träume verwirklicht, neue Wege geht oder sich selbstständig
macht. Menschen, die ihre Ideen in Pläne und Ziele umsetzen und stolz diese
neuen Wege gehen, was auch immer sie dort erwarten mag.
Was tat ich also? Ich freute und
freue mich über meine vorhandenen Freunde, die nur das Beste für mich wollen, aber ich habe mich bewusst auf die Suche begeben nach Menschen, deren wildes
Herz schlägt wie meins. Ich habe festgestellt, es gibt viele von uns da draußen.
Ich lernte, dass wir mit einer beruflichen Selbstständigkeit täglich viel
erfahren und lernen dürfen, und das am allermeisten über uns selbst.
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