Die Dokumentation „Gaza Surf Club“ zeigt ein anderes Gesicht des Gazastreifens – es geht nicht um Krieg, Politik oder die Hamas, sondern um Surfer und Surferinnen. Wir haben mit der einzigen Frau der Filmcrew gesprochen.
Gaza: mehr als Krieg und Hamas
Wenn man an den Gazastreifen denkt, ziehen vor allen Dingen die folgenden Bilder im Kopf vorbei: Krieg, Hamas und Ausweglosigkeit. Es ist kein Land, das man nicht mit so etwas Idyllischem wie einem Surfer-Hotspot verbinden würde und doch findet genau das an dessen Stränden statt. Um die Welt wissen zu lassen, dass Gaza von Menschen bewohnt wird, die mehr sind als Terroristen oder Opfer ihrer Situation, hat das Team rund um den Regisseur Philip Gnad, Gazas Surfer und ihre Familien für sechs Wochen begleitet.
Das Ergebnis ist ein Film, der mit Farben, Klischees und Bildern spielt. Sowohl derer Gazas als auch derer der USA. Denn ein Teil des Filmes spielt auf der zu den US-Staaten gehörenden Insel Hawaii und dessen Surferkultur. Die Kontraste könnten nicht größer sein.
Auf der einen Seite Frauen, denen es nach der Heirat nicht mehr gestattet ist zu surfen, auch nicht im Burkini, und die auch ansonsten selten im Straßenbild zu finden sind. Auf der anderen Seite Frauen, die sich halb nackt am Strand rekeln und grazil durch die Wellen reiten, das üppige Grün der Insel und die grellen Farben der Konsumgesellschaft, die auf das paradiesische, fast schon absurd türkise Meer treffen. Zusammengefasst zwei Länder, zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber mit der Liebe zum Surfen verbunden werden.
Frauen tragen Ehre, keinen Bikini
Dadurch, dass Frauen so einen geringen Teil des öffentlichen Lebens in Gaza einnehmen, liegt der Schwerpunkt des Films auf der Perspektive, der surfenden Männer in Gaza. Trotz oder gerade wegen ihrer raren Auftritte spielen Frauen in diesem Film eine wichtige Rolle. Besonders eine junge Frau verdeutlicht das: die 15-jährige Sabah. Ihr eigener Vater brachte ihr das Surfen und Schwimmen bei als sie noch ein Mädchen war und es deswegen noch niemanden anstößig fand. Mittlerweile trägt Sabah ein Kopftuch und die Männer starren, wenn sie sie im Meer sehen. Und doch ist ihr Drang nach Freiheit so groß, dass sie sich immer wieder in die Wellen stürzt.
Im Film bekommt man Einblicke in das Innenleben Sabahs und wie es sich tatsächlich für eine Frau anfühlt, in einem solch patriarchalen System zu leben. Er zeigt Frauen, denen es lieber ist, dass sie möglicherweise an ihrem Hijab im Meer ersticken als dass jemand ihre Haare sehen könnte. Frauen, die Männer heiraten müssen, weil sie ihnen versprochen waren und deren Leben vor allem im eigenen Haus stattfindet.
Dieser Einblick war überhaupt nur durch Stephanie Yamine möglich, dem einzigen weiblichen Filmmitglied. Die Co-Produzentin schaffte es das Vertrauen der Frauen als auch deren Ehemännern und Vätern zu gewinnen, so dass sie sich öffnen konnten. Wir haben mit ihr darüber gesprochen wie es als Frau im Gaza war und wie sie die Filmarbeiten empfunden hat.
Wie und wer kam auf Idee zum Film?
„Die Idee zum Film kam von Phillip, unserem Regisseur. Er kam sehr zufällig darauf. Er hat ein Sportmagazin durchgeblättert und dort er einen Artikel über Surfer in Gaza gefunden. Er fand dieses Thema sehr interessant und hat daraufhin einen Freund von ihm in Gaza angerufen und ihn über die Surfer ausgefragt. Der wusste allerdings nicht viel und hat deswegen versucht, Kontakte zwischen uns und Gaza aufzubauen. Und so kam mehr oder weniger die Idee zum Film. Daraufhin hat er meinen Cousin Micky Yamine kontaktiert und er hat wiederum mich mit ins Boot geholt. Ich kam vor allen Dingen dazu, da ich zu dieser Zeit im Libanon gewohnt habe und die zwei jemanden brauchten, der in einem arabischen Land wohnt.
Die erste Idee war auch eigentlich, dass wir einen Film über die Jugend allgemein in Gaza machen. Also nicht nur Surfer, sondern auch Breakdancer. Aber dann haben wir die Surfer getroffen, fanden sie sehr interessant und dachten uns, dass wir einen ganzen Film daraus machen können. Vor allen Dingen als Sabah dazu kam. Eigentlich werden Frauen nicht gefilmt. Aber dadurch, dass wir zu jedem Haus der im Film zu sehenden Männer gegangen sind, wir mit ihnen gegessen, den Alltag verbracht haben, haben wir auch die Frauen deutlich besser kennengelernt.“
Die Frauen in dem Film wirkten immer sehr offen, wenn du mit ihnen gesprochen hast.
„Es war sehr schwer Kontakt mit ihnen zu bekommen und auch, sie zu filmen. Besonders die Ehemänner wollten nicht, dass ihre Frauen gefilmt werden, da sie sie zu attraktiv und zu redselig fanden und das nicht mit der gesamten Welt durch einen Film teilen wollten. Außerdem waren die Frauen die meiste Zeit in der Küche. Wenn Fremde ins Haus kamen, haben sie sich entweder in der Küche oder im Schlafzimmer versteckt. Ich war dann die Einzige aus dem Team, die zu ihnen kommen durfte. Aber auch da haben sie sich mir nicht sofort geöffnet. Bei Sabah war es zum Beispiel so, dass sie erst zwei Wochen vor unserer Abfahrt offen mit mir und dann auch vor der Kamera gesprochen hat, obwohl wir sie von Anfang an kannten.
Allerdings waren die Frauen sehr neugierig. Sie haben mich Sachen gefragt, wie ob ich im Libanon einen Badeanzug oder kurze Hosen trage, ob ich verheiratet bin und all so was. Als ich ihnen mitteilte, dass ich nicht verheiratet bin, sondern einen festen Freund habe, waren sie ganz erstaunt als sie das Konzept eines festen Freundes verstanden haben. Am neugierigsten war die Abu Ghanem Familie, die Familie rund um Sabah. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Frauen dort selten das Haus verlassen.“
Was mich überrascht ist, dass viele der Dinge für mich als Europäer seltsam sind, aber anscheinend auch für dich als Ägypterin. Wo man doch meinen könnte, dass du diese Lebensweisen eher verstehst, da du aus einem islamisch geprägtem Land kommst.
„So eine Welt gibt es auch in Ägypten, in den konservativen Familien. Besonders im Norden des Landes, aber halt nicht überall und nicht in jeder Familie. In Gaza sind sie sehr religiös. Wenn man ihnen sagt, dass man Christ ist, fragen sie direkt, warum man kein Muslim ist. Sie sind halt eine sehr geschlossene Gesellschaft und haben nicht so viel Kontakt außerhalb ihrer eigenen Gesellschaft. Das betrifft vor allen Dingen die Muslime in Gaza, da sie die Mehrheit bilden und sie deswegen nicht zwangsweise Kontakt mit Christen haben müssen, wie es andersrum der Fall ist. Ich bin selber Christin. Viele dort hat es überrascht und sie haben mich auch gefragt, warum ich keine Muslima bin.“
Hast du dich in Gaza eigentlich verschleiert?
„Nein. Wenn man nicht Teil der Gesellschaft ist, also von außerhalb dorthin kommt, ist es nicht unbedingt nötig, sich zu verschleiern. Es ist nicht wie im Iran, dass es per Gesetz bestimmt ist, dass die Frauen sich zu verschleiern haben. In Gaza liegt dieser Zwang mehr in der Gesellschaft. Alle muslimischen Frauen verschleiern sich dort, also besteht da ein Druck auf die Frauen. Das heißt nicht, dass alle Frauen es gerne machen. Es gibt genügend Frauen, die gerne freier sein wollen, selber bestimmen wollen, was sie wann tragen und vor allen Dingen, ob sie es überhaupt tragen.“
Ein Film der Angst nimmt
Es ist ein Film, der durch seine Spielart mit den Klischees hilft, sie zu verringern. Er schafft es, dem Zuschauer die Angst oder Unsicherheit, die doch hin und wieder vor dem Gazastreifen und mehr und mehr auch vor der arabischen Kultur im Allgemeinen besteht, zu nehmen. Durch das Auslassen der Off-Stimme stehen die Charaktere und ihre Sichtweise und Gefühle im Zentrum. Durch die Arbeit mit Untertiteln statt Synchronstimmen verliert zudem das Arabische sein fremdes Bild und erhält etwas Alltägliches.
Der Dokumentarfilm „Gaza Surf Club“ kommt am 30.03.2017 in die Kinos. Hier könnt ihr euch schon mal den Trailer zum Film ansehen.
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