Jeder kennt sie, jeder hat sie, kaum einer steht zu ihnen: Guilty Pleasures im Leben. Ein Loblied auf unsere Liebe zu Trash-TV, Justin Bieber Songs und Partyhütchen.
Meine gesammelten Geschmacksverirrungen
Wenn ich putze, übertöne ich den Staubsauger mit Justin Biebers Gesang,
bei Wolfgang Petrys größten Hits bin ich besorgniserregend textsicher, alle 22
Folgen der ersten Staffel von Jane the Virgin habe ich in nicht mal zwei Tagen
durchgeschaut (zum Vergleich: Für die hochgelobte, neun Folgen kürzere erste Staffel von House of Cards brauchte ich drei Wochen und vom Serienhighlight Breaking Bad habe ich gerade mal fünf Folgen gesehen). Ich kenne Zitate aus dem Film Clueless für jede Lebenslage, aber keins von Shakespeare. Ach und ich habe mehr Bücher von Cecelia Ahern gelesen als von Ernest Hemingway.
Ziemlich peinlich? Finde ich auch.
Das ist also eine kleine Auswahl meiner sogenannten Guilty Pleasures. Mit dem Begriff, der wörtlich so viel bedeutet wie „Vergnügen mit Reue“, bezeichnet man meistens Geschmacksverfehlungen, an denen wir zu viel Freude haben, um von ihnen abzulassen und für die wir uns zu sehr schämen, um uns zu ihnen zu bekennen. Warum eigentlich? Ja, ich schäme mich für meine sogenannten Guilty Pleasures, gleichermaßen vor mir selbst und vor meinen Mitmenschen. Deswegen gebe ich mir die größte Mühe, alles belastende Beweismaterial meiner Unterhaltungsvergehen sofort wieder verschwinden zu lassen. Dann werden Bücher versteckt, Browserverläufe gelöscht und neuerdings müssen auch noch die verräterischen Algorithmen der Streaminganbieter meines Vertrauens ausgetrickst werden. Wäre ja auch ziemlich unangenehm von Netflix mit Filmempfehlungen basierend auf „Natürlich Blond“ begrüßt zu werden, wenn man eigentlich gerade vorhat, eine gesellschaftskritische Doku mit Freunden anzuschauen.
Und dem akuten Bedürfnis mich auf Spotify durch die größten Partyhits der 90er zu hören, gebe ich natürlich nicht hin ohne vorher den Privatmodus eingeschaltet zu haben und sicherzustellen, dass niemand meine Musikauswahl mitverfolgen kann. Wenn ich dann aber „Mr President” in der Liste meiner meistgehörten Lieder 2016 entdecken muss oder sich No Mercy in den Mix der Woche einschleichen, werde ich auch ohne Mitwissende knallrot. In mein Selbstverständnis als musikaffines und -bewandertes Wesen ist für solche Entgleisungen nämlich kein Platz.
Zusammen ist man weniger peinlich
Paradoxerweise sind unsere Guilty Pleasures nur so eine unangenehme Angelegenheit, wenn wir sie alleine pflegen. Mit mindestens einer weiteren Person (und gerne auch in Kombination mit Alkohol) ist es auf einmal kein Problem mehr, sich selbstironisch der niederen Bespaßung hinzugeben.
Jede Woche alleine die Bachelorette verfolgen? Traurig! Einen regelmäßigen Mädelsabend mit Wein und Pizza draus machen? Super Idee! Um den Geisteszustand von Menschen, die sich allein zuhause mit Whigfields „Saturday Night” in Partylaune bringen, macht man sich ernsthafte Sorgen. In einer geselligen Runde dagegen dient es als echter Stimmungsanheizer.
Teilt man die Guilty Pleasures mit anderen, entstehen daraus die lustigsten
Insider und Rituale. Jetzt mal ehrlich, jeder hat doch diesen einen lieben
Menschen in seinem Leben, mit dem er regelmäßig „What is Love” (oder die
Musiksünde eurer Wahl) auf voller Lautstärke hört und gebt es zu, ihr möchtet
es nicht missen …
Ich wage es übrigens zu bezweifeln, dass eine Arte-Dokumentationsreihe
über den Expressionismus sechs Freundinnen dazu bringen könnte, sich jeden
Mittwoch gemeinsam vor dem Fernseher zu versammeln. Genauso halte ich es für schwer möglich, dass die Musik von Philip Glass die kollektive Fröhlichkeit und Geselligkeit einer Gruppe beim Freitagabend-Bierchen fördert. Versteht mich nicht falsch, ich bin keineswegs gegen anspruchs- und wertvolle Hochkultur. Ich liebe es ins Theater oder Museum zu gehen, mir Art House Filme anzusehen und habe große Freude an Musik mit Inhalt und Substanz. Ebenso schätze ich Menschen, die das genauso sehen.
90 Prozent stilsicher, 10 Prozent stilbefreit – und stolz darauf
Trotzdem denke ich, dass wir dazu neigen, uns ein bisschen zu ernst zu nehmen und manchmal ein zu sehr über die Auswahl unserer kulturellen Genüsse definieren. Warum sonst würden wir unsere gelegentlichen Aussetzer wohl so peinlich finden? Wäre es nicht an der Zeit für ein bisschen mehr persönliche und gesellschaftliche Akzeptanz für sporadisch auftretenden schlechten Geschmack? Wenn es doch gemeinsam so herrlich lustig ist und auch alleine ziemlich viel Spaß macht, dann können wir doch auch dazu stehen, dass wir 90 Prozent stilsicher und 10 Prozent stilbefreit sind.
Unsere seltsamen Vorlieben machen uns doch genauso aus wie die vorzeigbaren. Ab und zu mal den Verstand bei leichter Kost
abzuschalten ist doch eigentlich auch eine sehr sympathische Eigenschaft. Zumindest deutlich sympathischer als so tun, als gäbe es keine Sekunde im Leben, in der man nicht geistig gefordert werden möchte. Vielleicht wäre ja ein besserer Begriff für unsere geschmacksverirrten Vergnügen schon der erste Schritt. Einer, der mehr Spaß und weniger Reue impliziert zum Beispiel. Habt ihr Ideen? Immer her damit!
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