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Im Dorf leben wie in der Stadt – ist das möglich?

Zu laut, zu teuer, zu schmutzig: Viele Menschen haben genug vom Stadtleben. Frederik Fischer möchte darum ein Dorf gründen und dabei die Vorteile von Stadt- und Landleben miteinander vereinen. Kann das gelingen?

Wohnen auf dem Land oder in der Stadt?

Für wenig Smalltalk-Themen lassen sich Menschen im Moment mehr begeistern als für Berichte über die Suche nach einer passenden Wohnung oder einem bezahlbaren Haus. Während die Mieten in der Stadt zum Teil ins Unermessliche steigen, stehen halbe Dörfer leer und werden nicht mehr von der Bahn angefahren. Wo führt das hin? In der Artikelreihe „Wie wir wohnen werden“ von unserem Partner ze.tt, fragt sich die Autorin Katharina Alexander, wie sich unsere Art zu leben in der Zukunft verändern könnte.

Das Leben in der Großstadt ist schön: lebhaft, aufregend, das kulturelle Angebot überragend. Es ist hier leichter einen Job zu finden als auf dem Land. Es gibt veganen Döner und mehr Bars, als man je besuchen könnte. All das wusste Frederik Fischer zu schätzen, als er 2007 das erste Mal nach Berlin zog. Aber mit der Zeit merkte der Journalist, der bereits in anderen Großstädten wie London und Amsterdam lebte, dass das Stadtleben auf Dauer auch viel Kraft kostet. Berlin, das heißt eben auch laut, schmutzig, teuer. Und ungesund: Laut der Europäischen Umweltagentur EEA starben im Jahr 2014 über 80.000 Menschen in Deutschland aufgrund von Luftverschmutzung. Die Grenzwerte des besonders schädlichen Stickstoffdioxids und Feinstaubs werden in Großstädten immer wieder überschritten. Dazu kommen Mietpreise, die dort seit 2011 konstant ansteigen, Mietpreisbremse hin oder her.

Suburbanisierung voraus?

Warum wollen trotzdem so viele in die Stadt? „Eigentlich ist die aktuelle Situation ein Kompliment an die Großstädte, die so lebenswert empfunden werden, dass sie sehr viele Menschen anziehen“, meint die Professorin Angela Million, die an der Technischen Universität Berlin das Institut für Stadt- und Regionalplanung leitet. Doch während es in den Städten immer enger und teurer wird, vergrößert sich der Leerstand auf dem Land. „Es kommt zur Schrumpfung ganzer Regionen. Die Jugend geht, um in den Städten ihre Ausbildung zu machen und kehrt nicht zurück“, weiß Million.

Versuche in der Vergangenheit, das Wohnen auf dem Land oder in Kleinstädten wieder attraktiver zu machen, seien meist gescheitert. „Im Moment scheint das Leben in den Großstädten noch spannender, eröffnet mehr Möglichkeiten im Vergleich zu kleineren Städten.“ Trotzdem könne Million sich gut vorstellen, dass der Umzug aufs Land in den kommenden Jahren an Attraktivität gewinne: „Es kann durchaus passieren, dass Großstädte gerade für Familien in den nächsten Jahren nicht mehr den Bedarf decken können und wir auf eine neue Suburbanisierungswelle zusteuern.“

„Man hat so viele Nachteile in der Stadt.“ – Frederik Fischer

So lange will Fischer nicht warten. Der Journalist und Gründer hat keine Lust mehr auf das Leben in der Stadt und möchte darum einen Versuch wagen: Gemeinsam mit Gleichgesinnten möchte er ein Dorf gründen. Er findet, dass in Städten in den vergangenen Jahren nicht gerade viel dafür getan wurde, um das Leben der Menschen dort positiv zu beeinflussen: „Man hat so viele Nachteile in der Stadt. Das fängt bei den hohen Mieten an, bei der Lärmbelästigung, in einer riesigen Stadt wie Berlin gibt es das Problem der Strecken: Man glaubt, man hat überall Freunde in der Stadt, aber wenn man die treffen möchte, ist das vom Wedding nach Neukölln eine Fahrt von mindestens 45 Minuten.“

Dieses Phänomen nennt Fischer Stadtversagen. Er ist der Meinung, dass die aktuelle Stadtplanung vor allem darauf abzielt, große Unternehmen in die Städte zu ziehen. „Das führt zu Städten, die für Investor*innen gemacht sind, aber nicht für Menschen. Stadtversagen ist für mich eine Mischung aus Perspektivlosigkeit für alle, die nicht unglaublich viel verdienen und einer Art von Stadtplanung und Architektur, die nicht menschenfreundlich ist.“

Digitales Nomadentum zwischen Wald und Feld

Darum möchte Fischer raus – allerdings ohne die Vorteile des Stadtlebens aufzugeben. Für ihn als Unternehmer sind es vor allem die Möglichkeiten der Vernetzung und der Austausch mit anderen Gründer*innen, die das Leben in der Stadt interessant machen. Darum sucht er nach einem Weg, die Vorzüge seiner Arbeitswelt auf das Land zu verlegen: „Wenn man ortsunabhängig arbeiten kann, macht es einfach nicht mehr so viel Sinn, in Berlin horrende Mieten zu bezahlen.“

„Wenn man ortsunabhängig arbeiten kann, macht es einfach nicht mehr so viel Sinn, in Berlin horrende Mieten zu bezahlen.“ – Frederik Fischer

Digitales Nomadentum nennt man das. Menschen, die für ihren Job nicht viel mehr brauchen als ihren Laptop und eine gute Internetverbindung, reisen um die Welt und richten ihre Arbeit nach ihrem Lebensstil – und nicht andersherum. Meist treibt es digitale Nomad*innen in warme Gefilde, nach Bali oder Kapstadt. Aber warum nicht Brandenburg oder einen anderen dünn besiedelten Landstrich ins Auge fassen? Fischer findet: „Wenn wir Erholung, Natur und günstigere Mieten oder Immobilienpreise mit der Möglichkeit kombinieren, Menschen, die ortsunabhängig arbeiten können und ähnlich ticken, zu versammeln, dann hat man das Beste aus beiden Welten.“ Stadtleben auf dem Land sozusagen.

Das Beste aus Stadt und Land

Dabei ist das KoDorf, wie Fischer sein Projekt nennt, nicht zwangsläufig als fester Wohnsitz gedacht. Es soll viel mehr Menschen die Möglichkeit bieten, sich einen Rückzugsort in der Natur zu schaffen – auch dann, wenn sie nicht das Geld für ein Haus mit Garten am Stadtrand haben. Vorbild für das KoDorf seien Ferienparks in den Niederlanden gewesen, erzählt Fischer. Im Zuge der Wirtschaftskrise der 1980er Jahre wären dort Parks mit einer großen Anzahl baugleicher Häuser entstanden, um Menschen mit einem mittleren oder geringen Einkommen die Möglichkeit zu bieten, sich in der Natur zu erholen. Die niederländischen Vorbilder sind genossenschaftlich organisiert, die Häuser selbst gehören Privatpersonen.

So soll es auch bei dem KoDorf ablaufen. Fischer plant, gemeinsam mit Gleichgesinnten eine Genossenschaft zu gründen, um das Land zu pachten, auf dem das Dorf entstehen soll. Die Häuser wären dann jeweils in der Hand von Privatpersonen, sodass diese sich individuell überlegen könnten, ob sie im KoDorf leben wollen, es nur an den Wochenenden nutzen oder es untervermieten und parallel zu einer Wohnung in der Stadt halten. Eventuell könnten aus dem KoDorf sogar noch weitere gemeinschaftliche Projekte entstehen, erzählt Fischer: „Wir überlegen auch, parallel ein Co-Living-Projekt in Berlin zu starten, denn klar, wer im KoDorf lebt, braucht seine*ihre Wohnung nicht durchgängig.“

Bereicherung oder Fremdkörper

Aber kann man ein Dorf überhaupt gründen? Normalerweise dauert es immerhin Jahre und Jahrzehnte, bis eine Gemeinschaft organisch gewachsen ist, egal, ob es sich um ein Dorf oder um einen neuen Stadtteil handelt. Aber Fischer glaubt an das Gelingen des Projektes. Man müsse optimaler Weise Strukturen schaffen, von denen auch umliegende Dörfer profitieren könnten. Zum Beispiel, indem man einen Dorfkern erschafft, in dem es nicht nur Co-Working-Spaces, sondern auch Cafés oder Restaurants gibt. Gerade in Zeiten, in denen das Gefühl der Entfremdung zwischen Stadt und Land immer größer würde, ist Fischer der Meinung, dass mehr Kontakt insgesamt zu einem toleranteren Klima führen könnte: „Ich denke schon, dass mehr Kommunikation zum einen notwendig ist und auch eintreten würde.“ Wie genau eingeschworene Dorfgemeinschaften auf das Projekt reagieren würden, könne aber im Moment noch niemand sagen: „Das ist ein Experiment mit offenem Ausgang.“

„Das ist ein Experiment mit offenem Ausgang.“ – Frederik Fischer

Im Moment sind Fischer und die etwa 200 Interessent*innen noch auf der Suche nach einem Stück Land, auf dem sie ihr KoDorf bauen können. „Wir haben Kontakt mit einem Duzend Bürgermeister, die die Idee super finden, aber im Moment alle versuchen, uns dazu zu überreden, die Dorfkerne wiederzubeleben. Man möchte keine weitere Zersiedlung, wo doch im Moment so viele Häuser leer stehen.“ Trotzdem möchte Fischer lieber neu bauen, um die Kosten pro Haus so gering wie möglich zu halten und fair unter den KoDorfbewohner*innen aufteilen zu können. „Es gibt grundsätzlich wenig Grundstücke, die groß genug für uns sind, dann ist natürlich die Internetverbindung dort sehr wichtig und das hält uns gerade noch zurück. Aber ich bin recht zuversichtlich, dass wir noch ein Grundstück in diesem Jahr finden.“ Und dann heißt es: Den Feierabendwein in aller Ruhe genießen, mit Blick aufs Feld und Grillengezirpe im Hintergrund.

Der Originaltext von Katharina Alexander ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Ihr könnt ze.tt hier bei Facebook folgen.

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