Foto: Julia Schattauer

Zwischen den Welten: mein Doppelleben zwischen Landei und Stadtmensch

Ich liebe mein Leben zwischen Dealern im Park und Getümmel am Hermannplatz, mitten in Berlin, und ich liebe meine Pfälzer Heimat – über ein Doppelleben mit manchmal schwierigen Übergängen.

 

Mein Leben, das absolute Berlin-Klischee

Ich sitze gerade mit meinem Mac im Betahaus. Um mich herum: konzentrierte Gesichter, englisches Gemurmel, Mate und im Hintergrund läuft Minimal. Ich muss noch einen Text für eine Kundin fertig schreiben, ein bisschen am Blog feilen, Redaktionspläne schmieden.

Ich bin Freelancerin, Bloggerin, ortsunabhängig und somit im Co-Working-Space absolut richtig am Platz. Später gehe ich noch kurz ans Maybachufer, um Gemüse an meinem Lieblingsbiostand zu kaufen und später treffen wir uns in unserer WG in der Graefestraße, um zu pokern. Klingt selbst in meinen Ohren nach absolutem Berlin-Klischee.

Aber es ist mein Leben, ich fühle mich wohl im Getümmel am Hermannplatz, zwischen den Dealern in der Hasenheide, inmitten der Hauptstadt.

Meistens zumindest. Gerade muss ich mich erst wieder eingewöhnen, denn ich schwebe noch zwischen den Welten, zwischen meinen zwei Leben.

Die letzten zehn Tage war ich in der Heimat. In Kalkofen, einem nicht einmal 200-Seelen-Dorf im idyllischen Nordpfälzer Bergland. 

Hier gibt es ein paar Weinberge, deren Lage nicht so gut ist wie in der Südpfalz, es gibt Rapsfelder, Windräder, ziemlich viele Rehe und vor allem gibt es hier meine Familie. Ich bin ein „Pfälzer Märe”, durch und durch. Ich rede Dialekt, sobald ich mit der S-Bahn aus Mainz in Richtung Alsenz fahre, und ich liebe dieses kleine Dorf. Bei meinen Eltern habe ich noch immer mein Jugendzimmer im Keller. Es sieht fast so aus wie damals, als ich mit 19 nach München gezogen bin.

Ich war damals ziemlich in der Metal- und Gothicphase und so ziert meine Wand ein Gemälde von einem abgestorbenem knochigen Baum, auf meinem Fußboden ist (ernsthaft) ein gemalter Grabstein mit meinem Geburtsdatum und einm willkürlichen Todesdatum, welches glücklicherweise schon ein paar Jahre in der Vergangenheit liegt, und an den Scheiben meiner Vitrine läuft Kunstblut herunter.

Wie ihr euch denken könnt, trifft die Einrichtung nicht mehr ganz meinen heutigen Geschmack, aber trotzdem fühle ich mich noch immer pudelwohl. Wenn ich weg bin, dann wohnt unser Kater in meinem Zimmer, der immer, wenn ich zu Besuch bin, etwas trotzig seinen Platz im Bett behauptet.

Es ist mir damals schwer gefallen, meine Heimat zu verlassen. Ich habe ein tolles Verhältnis zu meinen Eltern, meinen Brüdern, meinem Cousin und meinen Großeltern, die alle in diesem Dorf leben. Als ich auszog, war mein kleiner Bruder gerade einmal sieben und der Abschied war tränenreich.

Bis heute komme ich gerne zurück. Irgendwie ist noch immer alles so wie früher. Die meisten Leute wohnen noch immer dort und das Dorfleben ist freundschaftlich und aktiv.

Höhepunkt im Jahr ist die Kerwe, euch eventuell auch als Kirchweih bekannt. Für vier Tage ist Ausnahmezustand. Im ehemaligen Schulhof wird getrunken, es gibt eine Kerwedisco, Oldieabend, einen Kerweumzug und eine Kerwejugend, die alte Traditionen am Leben erhält. Ein Kerwebaum wird aufgestellt, ein Umzugswagen gebaut und eine Rede geschrieben, in der alle Missgeschicke und andere Vorkommnisse des vergangenen Jahres in Mundart versammelt sind und die am Sonntag vorgelesen wird. 

Ganze elf Jahre war ich Teil dieser Jugend und habe jahrelang diese Rede mit den anderen vorgelesen. Für die meisten von euch hört sich das alles sicher furchtbar an. Irgendwie haben Brauchtum und Tradition ja nicht selten einen negativen Beigeschmack. Aber ich kann aus vollstem Herzen sagen: Für mich ist das Heimat.

Wie gesagt, ich war dieses Jahr ganze zehn Tage dort, habe bei allen Vorbereitungen geholfen und war mittendrin. Für zehn Tage war ich „es Julsche”, die noch immer kleine Tochter, Schwester und Teil der Dorfgemeinschaft. Und ich habe es genossen.

Hier kenne ich Geschichten zu allen Häusern, jeder Ort ist mit Erinnerungen gespickt. Es gibt kein fremd, kein anonym.

Und jetzt bin ich zurück, in der riesigen Stadt, dem Moloch, in dem ich mich genauso zu Hause fühle. Ich habe den Krach vermisst, mein WG-Zimmer, meine Pflanzen auf dem Balkon und den Klunkerkranich.

In Kalkofen bin ich „Ich” und in Berlin genauso, aber diese Ichs sind trotzdem unterschiedlich. Es ist irgendwie eigenartig, wirklich wie ein Doppelleben, aber das macht nichts. Ich brauche beide.

Nur dann, wenn Besuch aus der Heimat in Berlin ist, dann merke ich, wie diese Ichs aneinandergeraten, ins Stocken kommen und aus dem Tritt kommen. Meine Mutter brachte es letztens auf den Punkt, als wir gerade am Checkpoint Charlie durch die Menschenmassen spazierten: „Julsche, du führst ein Doppleleben. Wir kennen nur das Land und du bist überall zu Hause.”

Ich hab keine Ahnung, wo ich einmal leben will. Ich kann mir beides vorstellen, Stadt und Land, doch entscheiden kann ich mich noch nicht. Ich liebe die Museen in der Stadt, die Bars und die unzähligen Möglichkeiten. Doch ich bin ein Landei. Wenn ich die Rapsfelder blühen sehe und das Weinbergshäuschen hinter dem Hügel erscheint, dann klopft mein Herz.

Es ist eigentlich genauso wie beim Reisen. Wenn ich inmitten einer Landschaft stehe, die ich bis dahin nur aus Reiseführern kannte oder in Städten umherirre, die bis dahin nur ein exotischer Name in meinem Kopf waren, dann fühle ich mich so lebendig wie sonst nie. Doch genauso gerne liege ich den ganzen Sonntag mit einem Buch auf der Couch und genieße das Daheimsein. Egal, ob in der Pfalz oder Berlin.

Ich lebe diesen Widerspruch im Moment gerne. Ich picke mir die Vorteile von allen Seiten heraus und warte, wohin es mich irgendwann verschlägt.

Ich führe ein Doppelleben, nur die Übergänge sind manchmal schwierig.

Fotos: Julia Kalkofen

Dieser Text erschient zuerst hier – wir freuen uns, dass Julia ihn auch hier veröffentlicht.

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