Am Tag dreht sich alles um das Baby, die Abende würde man am liebsten vor dem Fernseher verbringen? Nicht Jennifer Baumeister: Sie plante stattdessen die Eröffnung ihrer eigenen Zahnarztpraxis. Wie schaffte sie es, während der Elternzeit zu gründen?
Als frisch gebackene Mutter gründen
Als Jennifer Baumeister auf mich zukommt, ist sie nicht alleine – sondern hat unerwarteten Besuch dabei: ihr einjähriger Sohn Lukas kränkelte und musste kurzfristig von der Kita abgeholt werden. „Ein perfektes Beispiel dafür, dass die geschmiedeten Tagespläne mal wieder unerwartet durchkreuzt werden. Es läuft halt nicht immer alles nach Plan“, sagt die 34-jährige Zahnärztin, die im September 2015, direkt nach der Elternzeit, ihre eigene Praxis in der Berliner Gartenstraße eröffnete. Nachdem sie bei drei Ärzten im Angestelltenverhältnis gearbeitet sowie ein Jahr in New York studiert hatte, sagte sie sich: „Das, was die können, kann ich auch.“ Wie sie es schaffte, sich um ihren Sohn Lukas zu kümmern, Zeit für ihren Mann zu haben, mit dem sie seit ihrem 18. Lebensjahr zusammen ist, und gleichzeitig Businesspläne zu schreiben, erzählt sie uns im Interview.
Während andere Eltern nach der Geburt hauptsächlich Windeln und
Strampler im Kopf haben, hast du die ersten Businesspläne geschrieben. Wann
hattest du das erste Mal den Gedanken „ich will gründen“?
„Meine Mama ist auch Zahnärztin. Früher sah das Rollenmodell vor, dass man studiert und sich im Anschluss direkt selbstständig macht. Die Selbstständigkeit hat mir meine Mutter also praktisch vorgelebt. Meistens stand sie schon zwei bis drei Wochen nach der Geburt von mir und meinen Geschwistern wieder in ihrer Praxis. Und wir fünf Kinder haben wiederum alle mal meine Mutter dort unterstützt. Ich fand es auch als Kind schon toll, dass man etwas Handwerkliches machen, aber auch als Frau seinen eigenen Laden haben kann; dass man sein eigener Chef sein kann – auch mit fünf Kindern.“
Vor deiner Schwangerschaft warst du rund sechs
Jahre im Angestelltenverhältnis. Warum konntest du dir nach der Elternzeit
nicht mehr vorstellen, angestellt zu sein?
„Mich selbständig zu machen hatte ich immer im
Hinterkopf, aber direkt nach meinem Studium fühlte ich mich noch nicht dazu bereit. Also habe ich erst als angestellte Ärztin gearbeitet, um Erfahrungen zu sammeln,
Fortbildungen zu machen, ein Jahr nach New York zu gehen. Zwar ist es als angestellte Zahnärztin von Vorteil, dass man nicht so viel Verantwortung hat, dennoch muss man sich immer an gewisse Vorschriften halten. Ich habe in dieser Zeit viel gesehen, gelernt und auch das Jahr in Amerika hat mich nochmals sehr gepusht. Etwa im Bereich der Ästhetik habe ich mich hinterher so sicher gefühlt, dass ich nicht das Gefühl hatte, noch viel fragen zu müssen, meine eigenen Erfahrung reichten aus. Da habe ich realisiert: ,Wow, das kann ich jetzt selber managen. Das, was der kann, kann ich auch.‘“
Und, warum hat sich gerade die Elternzeit zur Gründung angeboten? Als frisch gebackene Mutter hat man doch sicherlich alle Hände voll zu tun.
„Sobald man als angestellte Zahnärztin schwanger ist, hat man Arbeitsverbot – unabhängig davon, in welchem Monat man ist. Das kann ich persönlich nicht befürworten, wurde aber als Gesetz abgeschlossen. Daher konnte ich bereits vor Lukas’ Geburt mit der Planung anfangen. Als
Lukas dann da war, habe ich halt noch so viel gemacht, wie möglich war. Etwa abends mit meinem Mann, der Bauingenieur ist, Pläne zu zeichnen und den Aufbau zu planen.“
Inwiefern hat sich dein Leben von anderen jungen Müttern
unterschieden?
„Für mich war es auf der einen Seite toll, Mutter zu sein.
Andererseits habe ich das Gefühl genossen, zu wissen: Ich habe jetzt dieses eine Jahr, aber danach geht es auch richtig los. Um ehrlich zu sein, hätte ich auch nach sechs Monaten wieder arbeiten können. Da wir die ersten in unserem Freundeskreis sind, die jetzt Kinder haben, haben unsere Freunde tagsüber alle gearbeitet. Das heißt: Man ist den ganzen Tag alleine und alles dreht sich nur um dieses Kind. Da kommen manche Sachen manchmal auch echt zu kurz.“
Du hast deine Praxis eröffnet, dein Mann arbeitet als Bauingenieur bei einer kleinen Projektagentur. Habt ihr eine klare Absprache getroffen, wer sich wann um Lukas kümmert?
„Man
muss schon an einem Strang ziehen, sonst funktioniert das nicht. Momentan, so kurz nach der Praxiseröffnung, hält er mir den Rücken frei. Bei
einer Situation wie jetzt fällt jedoch alles zusammen. Da wird die Planung, die man sich zurecht gelegt hatte, wieder über den Haufen geworfen – und man muss eben Plan B oder C fahren. Die Öffnungszeiten meiner Praxis habe ich aber so gelegt, dass wir uns abwechseln können und jeder mal Lukas zur Kita bringen beziehungsweise
abholen kann.“
Hast du das Gefühl, dass dich Lukas vermisst und du mehr Zeit mit ihm verbringen solltest?
„Ja, aber so geht es jeder Mama. Man gibt ihn mit einem guten Gefühl ab, weil man weiß, er ist in der Kita gut aufgehoben – das mag auch daran liegen, dass wir glücklicherweise einen Platz in unserer Wunschkita bekommen haben. Aber man geht immer raus und hat ein schlechtes Gewissen. Wenn ich aber wieder in der Praxis bin und Patienten habe, bin ich voll in meinem Element. Ich mache meinen Job super gerne, bin super gerne Zahnärztin – ich könnte mir wirklich nichts anderes vorstellen. Und ich muss sagen, dass das eine Jahr Elternzeit schon recht lange war.“
Der Aufbau der Praxis hat viel Kraft und Geld gekostet – dann ist der Tag der Eröffnung da. Die Tür steht offen, aber die Patienten kommen ja auch nicht von jetzt auf gleich. Was war das für ein Gefühl?
„Da sitzt man da und wartet. Am Anfang sind es Freunde, Empfehlungen, Leute aus der Nachbarschaft, oder die, die hier auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommen. So eine Praxis ist nicht vom ersten Tag an rappelvoll – aber zwei Dinge weiß ich: Ich liebe meinen Job und bin gut darin. Dass ein Neustart auch Hürden mit sich bringt ist klar, aber Panik lohnt sich nicht. Ich bin aber schon sehr froh, dass täglich mehr Patienten kommen und ich schon jetzt das Gefühl habe: richtige Entscheidung, der Plan geht auf!“
Was ist deine größte Herausforderung in deinem Alltag?
„Momentan ist es der Aufbau der Praxis. Das vergangene Jahr war schon sehr anstrengend, da haben wir auch als Familie eng zusammen gehalten, mein Mann hat mich sehr unterstützt. Jetzt bin ich super happy, dass es so läuft. Ich bin froh, dass ich nach der langen Pause wieder täglich behandeln kann.
Wenn man in deine Praxis kommt, hat man nicht das Gefühl, man wäre in einer Standard-Praxis, mit Klappstühlen und grünem Teppichboden…
„Ja, und das war mir auch wichtig. Ich wollte weder das Gefühl vermitteln, man befände sich in einer Hotellobby noch in einem Fitnessstudio. Es sollte einfach freundlich sein. Es gibt sehr viele Patienten, die wirklich ein Trauma haben; die echte Angst vor dem Zahnarzt haben und deswegen auch die Mundhygiene schleifen lassen, sodass dringend Behandlungsbedarf besteht. Wenn die Atmosphäre dann schon mal stimmt, kann man sich ablenken. Es ist auch wirklich wichtig, dass man dem Patienten zuhört, ein Gespräch führt, Vertrauen aufbauen kann. Meistens ist dann gar keine Narkose notwendig. Man entwickelt gemeinsam ein Behandlungskonzept – und wenn der Patient einem vertraut, kriegt man das hin.“
Hattest du während deiner Gründung jemals das Gefühl, es wächst dir alles über den Kopf und du hättest am liebsten alles „hingeschmissen“?
„Nein, irgendwann steckt man so tief drinnen, dass man da auch nicht mehr rauskommt. Ich habe einen Businessplan gemacht und mich daran orientiert. Das hat mir extrem geholfen. Natürlich musste ich Schulden aufnehmen, aber da darf man sich nicht so viele Gedanken machen, sonst wird man verrückt.“
Früher warst du als angestellte Zahnärztin tätig, jetzt befindest du dich in der Position der Chefin. Was ist dir dabei wichtig?
„Ein Team muss funktionieren. Und damit dass klappt, muss meine Tür immer offen stehen. Es ist wichtig, dass man nichts in sich hineinfrisst, sondern alles offen angesprochen wird. Und genauso wichtig ist es, dass man sich gut untereinander versteht und immer mit einem Lächeln hierher geht.“
Nehmen wir an, du erwartest dein zweites Kind. Wie wirst du mit der Praxis verfahren: Würdest du in Elternzeit gehen?
„In eine lange Elternzeit würde ich nicht gehen. Ich würde versuchen, die Pause so kurz wie möglich zu halten – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass mit meinem Kind alles in Ordnung ist. Die Praxis würde ich für zwei oder drei Wochen schließen, als hätte man große Ferien, dann würde ich wieder anfangen. Eventuell müssten wir uns nach einer Kinderfrau als Unterstützung umschauen oder mein Mann würde ein bisschen länger Elternzeit nehmen – irgendwie müssen wir einfach über das erste Jahr kommen. Mit einem Kind kann ich jetzt auch nicht zu meiner Mutter gehen und mich ausheulen – die lacht mich ja aus. Sie hatte schließlich eine eigene Praxis plus fünf Kinder.“
Welche Erkenntnisse würdest du anderen mit auf den Weg geben, die auch während der Elternzeit gründen wollen?
„Es ist schon eine große Herausforderung, weil man im Prinzip rund um die
Uhr für das Kind da ist und letztlich nur die Stunden nutzen kann, wenn
das Kind schläft. Und gewöhnlich sind so viele andere Dinge liegen geblieben, die man eigentlich in dieser Zeit erledigen müsste. Also verschiebt man das ganze auf den Abend,
wenn das Kind im Bett ist. Aber es ist auf jeden Fall machbar. Man
sollte diese Zeit wirklich nutzen, wenn man sich beruflich vielleicht umorientieren
möchte.“
Quelle aller Bilder: Lena Lammers | Redaktion
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