Sie ist eine unserer „25 Frauen für die digitale Zukunft“: Maria Reimer bringt als Projektleiterin von „Jugend hackt“ Jungen und Mädchen zusammen, die mit Programmieren die Welt verändern wollen.
Der Nachwuchs programmiert
„Was für eine Selbstermächtigung!”, erinnert sich Maria Reimer an ihre ersten Programmierversuche. Ihr Freund hatte ihr die Open-Source-Software Ubuntu auf ihrem Laptop installiert. Dann legte sie los. „Ich kann wirklich Sachen selbermachen”, beschreibt sie das neue Gefühl für die digitale Welt zusätzliche Werkzeuge an die Hand bekommen zu haben. „Nix mit Digital Native”, lacht die Politikwissenschaftlerin, die der Kopf hinter „Jugend hackt” ist, eine Veranstaltung für Nachwuchsprogrammierer zwischen 12 und 18 Jahren. Dass ausgerechnet sie, die in ihrer Jugend kein Computernerd war, einen Hackathon für Teenager auf die Beine stellen sollte, war in ihrer Berufslaufbahn keinesfalls vorprogrammiert, sondern eine langsame Annäherung.
Ihr Herzensprojekt ist mittlerweile deutschlandweit bekannt und seit Start kräftig gewachsen. In diesem Jahr hat die Open-Knowledge-Foundation, für die Maria arbeitet, erstmalig regionale Ableger von „Jugend hackt” anbieten können, um noch mehr junge Coder miteinander zu vernetzen. Die Veranstaltung soll die Selbstwahrnehmung der Jugendlichen stärken und ihnen Anknüpfungspunkte bieten, die sie in ihren Schulen oft nicht finden, erzählt Maria. Viele fühlen sich in ihren Schulklassen zunächst als Außenseiter und können ihre Leidenschaft im Unterricht nicht vertiefen.
„Null sozial seltsam”
„Ich habe an meinem Freund sehen können, was ihm früher gut getan hätte“, sagt Maria über ihre Idee „Jugend hackt” auch als Mentoring-Programm aufzuziehen. Wenn jugendliche Coder sowohl mit Gleichaltrigen als auch älteren Tech-Begeisterten zusammengebracht würden, könnten sie sehen, dass sie „null sozial seltsam” sind, sondern es durchaus viele andere gibt, die ganz ähnlich ticken, wie sie selbst.
Bei „Jugend hackt” betreuen ältere Programmiererinnen und Programmierer jeweils vier Teenager. Das Konzept der Veranstaltung unterscheidet sich jedoch deutlich von dem, was die Jugendlichen aus ihren Schulen kennen: Sie bekommen keine klaren Aufgaben. Sie sollen eigenständig technologiebasierte Ideen entwickeln, die die Gesellschaft verändern können, erklärt Maria. Der Prozess, indem sich die Jugendlichen zu Gruppen zusammenfinden und Ideen entwicklen, wird moderiert, anschließend arbeiten sie eigenständig an ihren Projekten. „Sie können sich hineinversetzen in das, was es heißt Verantwortung zu haben.” Dass „Jugend hackt“ die Ethik des Programmierens mitdenkt, war ihr dabei ganz wichtig. Der Wettbewerb soll damit auch nach Außen ein Zeichen setzen, dass es beim Hacken nicht um das Eindringen in die Privatsphäre anderer geht, sondern diese Form der Macht für gute Dinge genutzt werden kann.
Eine Leidenschaft für Bildung junger Menschen
Maria Reimer hat in Erfurt „Public Policy“ studiert und ihre Masterarbeit über Schulpolitik in den neuen Bundesländern nach der Wende geschrieben. Ihr erster Job war dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der renommierten Sozialforscherin Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin, wo sie auch zu Bildungsthemen arbeitete. Nach einem Jahr wechselte sie als Referentin zu Transparency Deutschland, 2012 ging es dann als Fundraiserin zur Open Knowledge Foundation, wo sie schließlich „Jugend hackt“ initiierte. Seit 2014 verbringt Maria außerdem die Hälfte ihres Berufsalltags im Bundestag. Bei der Grünen-Abgeordneten Tabea Rößner, Sprecherin für Medien, digitale Infrastruktur und Kreativwirtschaft, betreut Maria die Themen Medienkompetenz, Deutsche Welle und Filmförderung.
Ihre zweite Rolle bei der Open Knowledge Foundation hat Maria sich selbst gesucht. Mit ihr entstand das Projekt für junge Coder. Sie hatte 2013 die Idee, „Jugend forscht” in die digitale Welt zu übersetzen. „Zuerst war der Name da“, erzählt sie. Eine Anschubfinanzierung gab es von der großbritannischen Initiative „Young Rewired State”, die etwa ein Drittel der Kosten deckte. Mit dem sofortigen Erfolg des Hackathons hatte damals niemand gerechnet. „Wir haben um eine Kiste Sekt gewettet, dass überhaupt 20 Jugendliche kommen”, erinnert sich Maria. „Wir wussten gar nicht, ob es diese Subkultur unter Jugendlichen so noch gibt, ob sie den Begriff „hacken“ noch verwenden oder wie sie ihn verstehen.”
Jungen und Mädchen erreichen
Wie von selbst hatte das erste „Jugend hackt” aber zur Premiere 60 Anmeldungen aus ganz Deutschland, ohne dass Maria dafür viel Öffentlichkeitsarbeit machen musste. Die Veranstaltung sprach sich herum oder die Jugendlichen stießen von selbst auf die Website. Schon bei der ersten Veranstaltung waren etwa 20 Prozent Mädchen dabei.
Eine Teilnehmerin bei „Jugend hackt“ Süd in Ulm. (CC BY 3.0 Jugend hackt, Foto: Eva-Maria Kühling/Peter Wozniak)
Maria erzählt über dieVorbereitung der ersten Veranstaltung: „Lena Rohrbach, eine Freundin von mir, hat auf meine Bitte hin die damals neu gelaunchte Website auf Sprachsensibilität durchgeguckt und mich darauf aufmerksam gemacht, dass diese unbeabsichtigte Leistungsabfrage „Du kannst programmieren?“ eher Jungen anspricht.“ Sie habe dann erklärt, dass eine Frage, die auf Neigung abzielt, wie „Du hast Spaß am Programmieren?“ aber Jungen und Mädchen anspreche. „Daraufhin haben wir dann das Wording der Seite angepasst, denn wir wollten ja alle erreichen“, so Maria.
2014 hatte sich die Zahl der Teilnehmenden bereits verdoppelt. Sogar Jugendliche aus Österreich und den Niederlanden waren mit dabei. Schwierig sei nach wie vor, dass „Jugend hackt“ sich von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung hangeln müsse. Einen festen Sponsor gibt es nicht, was überrascht, da sich bei der Veranstaltung Tech-Talente der Zukunft treffen. Das Team ist hingegen schon gewachsen: Paula Glaser und Daniel Seitz arbeiten gemeinsam mit Maria am Projekt. Paula hat dieVeranstaltung sogar schon wissenschaftlich ausgewertet und herausgefunden, dass „Jugend hackt“ unter anderem eine positive Wirkung auf das Selbstbild der jungen Hacker hat. Sie vertritt Maria, die gerade im Mutterschutz für ihr erstes Kind ist. Maria will nach der Hälfte der Elternzeit, die sie sich mit ihrem Partner teilt, in den gemeinnützigen Verein zurückkehren.
Bildung muss Neugierde wecken
„Schule ist nicht der einzige Ort, an dem man lernen kann”, stellt Maria klar. Die Idee, Programmieren als festes Schulfach zu verankern, die auch von Gesche Joost unterstützt wird, sieht sie differenzierter. Die Forderung danach sei beinahe ein Hype, findet sie. Vergessen würden in der „komplizierten Debatte“ oft Konzepte für eine passende Unterrichtsdidaktik und Lehrerbildung. Für Maria ist beim Programmieren die Frage zentral: „Wie bringt man Schüler dazu, etwas zu lieben?”
Als ganz wichtige Kompetenz, die aus ihrer Sicht in Schulen noch nicht vermittelt wird, sieht sie das „Suchen und Finden”, das Jugendliche befähigen soll sich die Informationen zu suchen, die sie für ihre Entwicklung und eigenständiges Lernen brauchen. Diese Idee hat sie bei „Jugend hackt“ festverankert: Der Hackathon soll Jugendliche zu eigenständigem Lernen ermutigen und ihnen helfen, Neugierde zu bewahren, wenn es darum geht Lösungen für Probleme zu finden. „Bildung hört ja nach der Schule nicht auf”, ist sie sicher, „Die Kompetenz offene Augen für neue Wege zu behalten ist nicht nur im Informatikunterricht wichtig, sondern in allen Fächern.”
Oft geht es bei den Projekten der Jugendlichen um soziale Themen. (CC BY 3.0 Jugend hackt, Foto: Eva-Maria Kühling/Peter Wozniak)
Wichtig sei außerdem, dass Schulunterricht auch ethische Fragen mit behandele. Auf der diesjährigen re:publica hat Maria mit ihren Teammitgliedern Paula und Daniel einen Talk unter dem Titel „CODE + ETHIK = <3“ gehalten (Hier zum Nachhören). In der Talk-Ankündigung hieß es: „Am Ende sind es die Programmierer/innen selbst, die über Funktion und Wirkung ihrer Werke bestimmen.“
„Coder können Weltveränderer sein,” mit diesem Gefühl verlassen die Jugendlichen den zweitägigen Hackathon, erklärt Maria die eigentliche Leistung, die ihr Projekt vollbringt. Ob die Jugendlichen ihre Ideen aus den Workshops tatsächlich umsetzen, ist erst einmal nebensächlich. Wichtig ist vor allem, dass sie begreifen, wozu sie in der Lage sind, wenn sie zusammenarbeiten, ausprobieren und ihre digitalen Werkzeuge für eine bessere Welt einsetzen, nicht nur für eine Schulnote.
Video-Tipp: Hier erzählen Jugendliche über die Veranstaltung 2014.
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