Nora Tschirner kennen viele vor allem als humorvolle Schauspielerin. Nun hat sie den beeindruckenden Dokumentarfilm „Embrace” über Schönheitsideale, Bodyshaming und Empowerment mitproduziert. Ein Interview.
„Ich lerne selbst immer noch jeden Tag dazu.”
Alles begann 2013 mit einem Foto auf der Facebook-Seite der Australierin Taryn Brumfitt. Das Foto, mit dem Taryn eigentlich nur ihren mit sich unzufriedenen Freundinnen Mut machen wollte, ging sofort viral. Was darauf zu sehen war? Taryn bei einem Bodybuilder-Wettbewerb und ein paar Monate später, nackt und wunderschön – aber eben nach unserem gängigen Schönheitsideal nicht perfekt. Die Zuschriften, die sie nach ihrem Post erhielt machten die ehemalige Bodybuilderin sprachlos: so viel Hass und so viel Liebe. Und vor allem: so viele tolle Frauen, die ihre Geschichten mit Taryn teilten. Damit war der Grundstein für die Bewegung Body Image Movement und die Idee zu dem Dokumentarfilm „Embrace” gelegt. Embrace zeigt die Absurdität und Zerstörungskraft gängiger Schönheitsideale auf. Er erzählt Geschichten, von Frauen, die ihren Körper lange gehasst haben – und ihn nun mit all seinen Besonderheiten lieben. Der Film ist deswegen auch ein empowerndes Manifest für die Schönheit der Vielseitigkeit.
Dieses Foto teilte Taryn Brumfitt auf ihrer Facebook-Seite. Quelle: Body Imaga Movement
Eine der Frauen, die nach ihrem Posting mit Taryn in Kontakt traten, war die deutsche Schauspielerin Nora Tschirner. Zwischen den beiden entwickelte sich eine enge Freundschaft. Und irgendwann stieg Nora als Mit-Produzentin bei dem Filmprojekt ein. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum ihr das eine Herzensangelegenheit war, wie wir als Gesellschaft beschränkende Körperideale aufbrechen können und welche Verantwortung jeder einzelne von uns dabei trägt.
Wie bist du Taryn Brumfitt, der Protagonist des Dokumentarfilms, begegnet?
„Ich hab Taryn tatsächlich über Facebook kennengelernt. Über die Crowdfundingkampagne, die Taryn für die Finanzierung des Films gemacht hat, habe ich von dem Projekt erfahren. Der Trailer hat mich damals sofort total angesprochen. Das Thema lag mir zu dem Zeitpunkt schon lange am Herzen und ich hatte mich selbst bereits gefragt, wie man es gesellschaftlich gut auf die Agenda bringen könnte. Taryns Ansatz war für mich dann eine Offenbarung. Deshalb bin ich als Unterstützerin eingestiegen und darüber mit Taryn in Kontakt gekommen. Schnell hat sich daraus eine Freundschaft entwickelt.”
Und wie wurdest du dann Mit-Produzentin?
„Das Filmprojekt wurde im Laufe der Zeit einfach immer größer, weil klar wurde, dass diese Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen, Schlankheitswahn und Bodyshaming ein universales Thema ist. Damit vervielfältigten sich automatisch die Drehorte. In diesem Zuge stand irgendwann die Frage im Raum, ob auch in Europa gedreht werden sollte. Das war tatsächlich einfach eine Budgetfrage und deshalb bin ich dann als Produzentin eingestiegen.”
Wie viel des Films hast du selbst mitgestaltet?
„Bis auf eine Anregung gar nichts. War auch gar nicht nötig, Taryn hat das ganz wunderbar gemacht. Da konnte ich mich zurücklehnen und mich einfach an dem schönen Ergebnis erfreuen. Meine Aufgabe als Produzentin ist nun seit einigen Wochen vor allem die Veröffentlichung hier in Deutschland: einen Verleih finden, gemeinsam eine Strategie finden, entscheiden, ob und wie wir den Film im Kino zeigen, solche Sachen.”
Du hast ja schon beschrieben, dass der Film bewegende Geschichten von Frauen überall auf der Welt erzählt. Taryn Brumfitt startet ihre Reise in Australien und macht sich von da aus auf dem Weg. Wie ist sie auf diese Frauen gestoßen?
„Taryn wollte mit ihrem Vorher/Nachher-Bild auf Facebook ja eigentlich nur einigen Freundinnen, die gerade sehr mit ihrem Körper haderten, Mut machen. Als dieser Post dann so unglaublich durch die Decke ging, erhielt sie immer mehr Zuschriften von Frauen aus allen möglichen Ländern. Da merkte sie, wie wichtig dieses Thema ist und wie unfassbar erschütternd die Geschichten sind, die viele Frauen im Zusammenhang mit ihrem eigenen Körper zu erzählen haben. Über diese Zuschriften hat sie dann all die Protagonistinnen gefunden – wie ja zum Beispiel auch mich.”
In dem Film wird deutlich, was für ein wahnsinniger Druck unser Gesellschaftssystem auf uns alle ausübt. Aber wir sind ja auch alle selbst Teil eben dieses Systems. Wie können wir es also schaffen, zerstörende Körperideale nicht ständig zu reproduzieren und das System zu verändern?
„Um ein System zu ändern, muss man sich im allerersten Schritt erst einmal über Mechanismen bewusst werden. Das ist ein langjähriger Prozess. Und ich finde, man kann niemanden einen Vorwurf für die Stufe machen, auf der er sich in diesem Prozess aktuell befindet. Ich glaube, wenn Menschen gesellschaftliche Problematiken bewusst werden, sie aber eben auch begreifen, dass sie selbst eine gewisse Verantwortung für diese Verhältnisse tragen, dann gibt es kaum jemanden, den das kalt lässt. Aber zu dieser Einsicht muss man erst einmal kommen. Ich persönlich habe mir einfach schon sehr früh Gedanken über das Thema gemacht. Und wenn man das tut, wird einem immer klarer, in wiefern man ein bestehendes System vielleicht selbst negativ unterstützt. Das zu reflektieren ist ein ständiger Prozess. Ich lerne immer noch jeden Tag dazu.”
Kannst du persönliche Beispiele nennen?
„Das fängt mit Kleinigkeiten an. Ich habe zum Beispiel bei meiner Tatortkommissarin irgendwann festgestellt, dass ich als Schauspielerin keine Bauchweg-Unterhosen anziehen will, wenn ich eine Frau verkörpere, die ein zwei Monate altes Kind hat. Da habe ich dann ganz bewusst gesagt: ,Nee, das möchte ich nicht.’ Und dann habe ich während eines Filmdrehs mal etwas mehr gewogen als ich normalerweise wiege. Deshalb sollte meine Rolle plötzlich eine kleine ,Naschkatze’ werden, wogegen ich erfolgreich Einspruch erhoben habe. Darüber hinaus hilft aber auch Transparenz: So oft wie möglich zeigen, wie es hinter den Kulissen aussieht, um deutlich zu machen, dass alle nur mit Wasser kochen.
Ich selbst habe irgendwann für mich beschlossen, mich für Abendveranstaltungen nicht mehr ausstatten zu lassen, weil ich finde, dass es mein Gefühl für mich selbst und den Wert von Dingen verwässert. Außerdem habe ich keine Lust mehr, die Botschaft mitzutragen, dass es vollkommen normal sei, ein 15.000-Euro-Outfit zu tragen, wenn das einfach überhaupt nicht meiner Realität entspricht. Ich möchte ungern dazu beitragen eine Bedürfniskette zu kreieren, die mir nicht einleuchtet.”
Was muss passieren, damit sich unsere Vorstellung vom idealen Körper öffnet?
„Ich glaube, ein erster Schritt ist es, zu zeigen, dass man nicht alleine ist mit seinen Gefühlen. Als ich zum Beispiel den Trailer zu Embrace auf meiner eigenen Facebook-Seite geteilt habe, hatte ich innerhalb von wenigen Tagen trotz lediglich 90.000 Abonnenten eine Reichweite von zehn Millionen – ohne, dass ich mehr gemacht habe, als eben diesen Trailer zu teilen. Das zeigt ja schon, für wie viele Menschen dieses Thema wichtig zu sein scheint. Dieses Kollektivitätsgefühl ist ermutigend.”
Taryn betont in der Dokumentation immer wieder, dass sie nicht will, dass ihre Tochter mit den gleichen Körperbildern aufwachsen muss, die sie selbst lange Zeit so unglücklich gemacht haben. Was kann Embrace für die nächste Generation bewirken?
„Ich glaube, dass der Film, so wie Taryn ihn erzählt hat, die Kraft hat, uns die Verantwortung für ein anderes Körpergefühl zurückzugeben – im Positiven wie im Negativen. Natürlich können wir aufzeigen, was medial massiv schiefläuft, aber die Medien sind auch nur ein Teil der Gesellschaft. Und die Gesellschaft sind eben wir alle. Wir können und müssen uns die Verantwortung zurückholen und uns klarmachen, dass wir bewusst entscheiden können, wie und wen wir wahrnehmen wollen. Und zwingt keiner, Modezeitschriften durchzublättern, uns zwingt keiner Werbung zu schauen. Wir können selbst entscheiden, wo wir hinschauen.
Wenn man diese Eigenverantwortung wieder spürt, ändert sich auch der Umgang mit den eigenen Kindern. Man wird vorsichtiger, mit dem, was man sagt, ob man rumjammert, welche Signale man sendet. Ich glaube aber, dass das Thema noch viel tiefer geht. Wenn sich wirklich etwas ändern soll, müssen wir unsere Leistungsgesellschaft kritisch hinterfragen. Dabei müssen wir uns gar nicht mit Schuldzuweisungen aufhalten, aber einschränkende Schönheitsideale, Schlankheitswahn und Bodyshaming sind Auswüchse dieses permanenten Leistungsdrucks. Wenn wir schon Kinder so unter Druck setzen und uns immer darauf fokussieren, was sie nicht können, anstatt sie in dem zu bestärken, in dem sie gut sind, brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir irgendwann nicht mehr wissen, wer wir sind. Wer permanent unter Leistungsdruck steht, wird schnell zum ,Optmierungsheini’. Und dann bringt es am Ende auch nichts mehr, wenn Eltern ihren Kindern verbieten, Germanys Next Topmodel zu schauen. Wenn Kinder nicht immer wieder zuhause und in der Schule spüren: ,Du genügst so, wie du bist’, dann wird sich auch nichts ändern.”
Welche Verantwortung tragen die Medien?
„Ich tue mich immer sehr schwer mit dem Begriff Verantwortung in Verbindung mit Institutionen und Apparaten. Ich verstehe total, woher die Frage kommt, aber für mich gibt es nicht ,die Medien’, es gibt Redakteure, Individuen, die oftmals nicht wissen, was für eine Macht sie haben und wie viel Einfluss das hat, was sie machen. Das ist nicht nur in den Medien so. Menschen sind oft sehr überrascht, wenn sie merken, was für eine Kraft ihr Handeln hat. Wenn Menschen zum Beispiel – was gar nicht mehr oft passiert – auf meiner Facebook-Seite beleidigend werden, dann schreibe ich ihnen manchmal eine persönliche Nachricht, dass mich ihr Worte getroffen haben. Die meisten Leute erschrecken dann richtig, entschuldigen sich sehr schnell, fühlen sich aber gleichzeitig auch bestärkt, weil sie plötzlich gehört werden und treten ab diesem Zeitpunkt meist mit einem vollkommen anderen, konstruktiveren Tonfall in Erscheinung. Und das ist wichtig: Wir tragen alle Verantwortung, wir haben alle Möglichkeiten, etwas zu bewirken. Wir werden gehört. Und wir können uns entscheiden, wie. Das gilt für Medienvertreter aber das auch allen anderen Menschen inklusive mir selbst. Den Kabelträger von Germanys Next Topmodel möchte ich ebenso wie den Zuschauer fragen: ,Du weißt aber, was du gerade tust?´ Die Frage an uns alle muss lauten: ,Wissen wir, was wir tun?’ Es geht um Bewusstwerdung und Verantwortung.”
Merkt man denn, dass sich etwas verändert? Dass unsere Schönheitsideale sich öffnen?
„Wir haben, glaube ich, das Gefühl, wir seien umzingelt von Hatern. Aber das liegt vor allem daran, dass Leute, die positives Feedback geben, die berührt sind, die uns bestärken wollen, meistens nicht so einen öffentlichen Weg wählen. Sie schreiben zum Beispiel eher eine E-Mail oder teilen diese Geschichten auch einfach nur in ihrem Freundeskreis – aber die schreien nicht zwangsläufig rum, sie werden nicht gleich laut. Das haben die enormen Zugriffe auf den Trailer zu Embrace mir noch einmal verdeutlicht. Plötzlich bekommt man ein Gefühl dafür, was eigentlich wirklich in den meisten Menschen vorgeht. Und das ist ein sehr gutes Gefühl. Der Trailer wurde in kürzester Zeit über viereinhalb Millionen Mal angesehen. Und jeden Tag werden es mehr, wir müssen immer mehr Kinosäle für den Vorführungstag eröffnen, jeden Tag kommen ganze neue Kinos hinzu. Das Feedback ist wirklich toll. Man bekommt plötzlich ein Gefühl für den Schwarm. Insofern habe ich da sehr gute Nachrichten: Es geht voran.”
„Embrace” – Wozu will uns der Filmtitel eigentlich genau aufrufen?
„Viele übersetzen Embrace mit ,Umarmung’. Das Wort hat im Englischen ja aber noch eine zweite Bedeutung: ,Annehmen’. Und um dieses Annehmen des eigenen Körpers geht es eigentlich vor allem. Wenn man geschafft hat, den Schalter im Kopf umzulegen, der uns daran hindert, uns so anzunehmen, wie wir sind, ist der erste Schritt getan. Wenn der Film dazu beitragen kann, dann freut mich das sehr.”
Der Film war nur am 11. Mai in den Kinos zu sehen. Schon bald soll er allerdings auch auf DVD erhältlich sein.
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