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„Die Frauen wollen ja nicht“ – was in den Köpfen deutscher CEOs falsch läuft

Warum geht es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt in Führungspositionen so verdammt langsam voran? Der „Chefsache Report 2018“ liefert neue Erklärungen: Zwischen Realität und Wahrnehmung bei den Verantwortlichen klafft eine riesige Lücke.

 

Wie geht moderne Teamentwicklung?

„Die Frauen wollen ja nicht“ ist ein sehr beliebtes Narrativ, das Führungskräfte gern bemühen, um zu erklären, warum ihr Laden immer noch in überwältigender Mehrheit von Männern geführt wird. Eine neue Studie der „Initiative Chefsache“ räumt mit einigen beliebten stereotypen Annahmen nun gründlich auf.

Die „Initiative Chefsache“ gibt es seit 2015 und ist „ein Netzwerk von Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem Sektor und Medien, das sich der Chancengerechtigkeit von Frauen und Männern persönlich verpflichtet fühlt“, wie es in der Selbstbeschreibung heißt. Die Schirmherrschaft hat die Bundeskanzlerin übernommen. Auch Janina Kugel, Personalvorständin von Siemens und eine unserer „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“, engagiert sich in dem Netzwerk, und hielt vor einigen Tagen den Impulsvortrag zur Eröffnung der Konferenz „Talententwicklung neu denken“, zu der die Initiative geladen hatte.

Dort wurde auch eine Studie vorgestellt, der „Chefsache Report 2018“, der interessante und ernüchternde Einblicke gibt, wie es unter Führungskräften um das Bewusstsein für Vielfalt in ihrem Unternehmen bestellt ist. Mehr als 400 Führungskräfte aus verschiedenen Branchen und dem öffentlichen Dienst wurden dazu befragt – mit deprimierenden Ergebnissen.

Gleiche Chancen für Frauen und Männer – ach ja?

Die Mehrheit der Befragten (68 Prozent) ist davon überzeugt, die Talententwicklung in ihrem Unternehmen böte Frauen und Männern gleiche Karrierechancen. Aber nur weniger als ein Drittel (29 Prozent) der Befragten sagten, dass es in ihrem Unternehmen standardisierte Kriterien gibt, mit denen Talente identifiziert und in passende Positionen befördert werden.

Weniger als die Hälfte der Befragten (44 Prozent) erklärte, es gäbe in ihrem Unternehmen ein systematisches Talentmanagement, in Firmen mit weniger als 500 Beschäftigten sind es sogar nur knapp 32 Prozent. Auch in Sachen Transparenz sieht es eher mau aus: Nur 41 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihrem Unternehmen regelmäßig Daten in Bezug auf den Frauenanteil
und die Beförderung von Frauen erhoben werden.

Eine Frage lautete: „Ist Gender Diversity eines der strategischen Top-10-Themen Ihres CEO/Ihrer Geschäftsführung?“ Nur 27 Prozent der Befragten konnten darauf mit „Ja“ antworten. Gleichzeitig ergab die Befragung, dass Führungskräfte vor allem die Talente fördern, die ihnen selbst am ähnlichsten sind, also in Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Alter und Ausbildung. Auf Diversität bei der Zusammenstellung der Teams oder bei Beförderungen achtet nur jede*r fünfte der Befragten. 

Ein zusätzliches Problem ist der Einfluss von „Unconscious Bias“ (unbewussten Vorurteilen) bei der Einstellung und Beförderung von Mitarbeiter*innen. Über die Hälfte der Befragten (53 Prozent) kennt den Begriff „Unconscious Bias“ aber gar nicht oder hat sich noch nicht damit beschäftigt.

Ewiges „Teilzeit-Problem“

Zusätzliche Baustelle: Teilzeit. Führungspositionen werden immer noch selten mit Teilzeitkräften besetzt. Insgesamt 84 Prozent der befragten Entscheider*innen berichten, in ihrem Unternehmen würden flexible Arbeitszeitmodelle für Führungspositionen nicht oder nur vereinzelt unterstützt.

„Die Zahlen offenbaren sehr deutlich, wie groß die Lücke zwischen Denken und Realität in punkto Karrierechancen von Frauen und Männern ist. Die Wahrnehmung in den Köpfen ist allerdings entscheidend, wenn wir etwas ändern wollen“, sagte Janina Kugel. Bei ihrem Impulsvortrag wies sie darauf hin, wie wichtig es sei, schon in frühem Kindesalter darauf zu achten, dass Vielfalt und Gleichberechtigung nicht auf der Strecke bleiben: „Mit vier Jahren sagen Mädchen, sie wollen Pilotin werden. Mit sechs sagen sie, sie wollen Pilot werden. Und mit zwölf glauben sie, das könnten sie nicht.“ Und sie sagte auch: „Vielfältige Teams sind deutlich nervenaufreibender“ – aber das Leben sei divers, und sie werde sich erst zufriedengeben, wenn der Anteil von Frauen in Führungspositionen ihrem Anteil an der Bevölkerung entspreche – von diesen 50 Prozent sind die DAX-30-Vorstände mit momentan zwölf Prozent noch weit entfernt.

Es geht nicht nur um die lauten High-Potentials

Und auf einem Panel bei der Chefsache-Konferenz gab es weitere spannende Impulse von Menschen, die sich seit Jahren dafür einsetzen, dass Unternehmen vielfältiger werden: „Wir haben schon in der Schule gelernt, dass wir immer das nächste Level erklimmen müssen. Aber es geht nicht nur um die lauten High-Potentials, die nach oben wollen, es ist wichtig, die Leute genau da wertzuschätzen, wo sie sind“, sagte Fränzi Kühne von der Agentur TLGG und die jüngste Aufsichtsrätin Deutschlands. 

Kira Marrs vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München warf die Frage auf, warum der Auslandsaufenthalt in China für die Karriere als wichtiger angesehen werde als die Elternzeit. Und Robert Franken räumte mit dem Mythos und der Lieblingsfloskel der Anti-Modernisierer*innen auf: „Die Frauen wollen das nicht“ sei das gefährlichste Narrativ überhaupt. „Die Norm in den Unternehmen ist männlich, das führt dazu, dass alle, die in ein Unternehmen kommen und nicht der Norm entsprechen, einen Anpassungsprozess durchlaufen, oft unter Verlust ihrer individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten.“ Und weiter: „Ich habe neulich mit einem Vorstand gesprochen, der meinte: Wir haben den Frauen den Führungsjob auf dem Silbertablett angeboten, aber sie wollten ihn nicht. Da hab ich gefragt: Kann ich das Silbertablett mal sehen?“

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