Foto: SplitShire

Revolution! Warum wir jetzt für eine bessere Arbeitswelt kämpfen müssen

Viele von uns träumen von einer freieren Arbeitswelt. Die Realität sieht in den meisten Unternehmen immer noch anders aus. Wenn wir wirklich anders arbeiten möchten, sollten wir nicht auf das Management warten.

 

Ich bin jetzt meine Chefin!

Seit Anfang Juli bin ich offiziell Privatier. Ich habe mich vorerst aus der Arbeitswelt abgemeldet. Ich arbeite weiterhin, jetzt erst recht und sowieso. Aber ich bekomme kein Geld dafür, nicht einen Cent, denn ich arbeite für meine Leidenschaften: Mein Blog und ein Buchprojekt.

Als ich vor fast drei Jahren in mein jetziges Ex-Unternehmen eingestiegen bin, war ich auch da leidenschaftlich, begeistert und hochmotiviert. Für ein scheinbar modernes, internationales Unternehmen wollte ich die Show rocken. Vor kurzem bin ich ausgestiegen, äußerst ernüchtert und fast schon ausgebrannt.Von Leidenschaft kaum noch eine Spur, dafür aber mehr Leiden.

Was ist da passiert?

Mit all meiner Motivation und Power bin ich damals in einem sehr konservativen, hierarchisch organisierten Unternehmensbereich gelandet – was mir bei meiner Bewerbung nicht bewusst war, oder auch egal gewesen wäre, denn durch einige tolle persönliche Begegnungen brannte ich einfach für die Firma.

Dann merkte ich aber ziemlich schnell, wie der Hase läuft.

Und das ist leider genauso, wie ich es auch von vielen Freunden und Bekannten aus ihren Firmen höre: Nach außen präsentiert man sich als top moderner Arbeitgeber, flexibel, familienfreundlich, respektvoll im Umgang miteinander, Mitarbeiter und Führungskräfte auf Augenhöhe.

Im Arbeitsalltag erlebt man dann allerdings meistens nur einen Bruchteil davon. Leistung wird noch immer mit Anwesenheit verknüpft. Wer viele Stunden da ist, leistet auch viel. Ist klar. Anwesenheitskultur und starre Hierarchien walten wie eh und je.

Seit Jahren gibt es nun schon die Diskussion um „new work“ – ein (wie auch immer geartetes) neues, flexibleres und weniger hierarchisches Zusammenarbeiten. Aus meiner Sicht ist das auch aus Unternehmenssicht das erfolgreichere.

Viel Verantwortung – wenig Freiheit

Von uns „Jüngeren“ wird immer noch und immer mehr Verantwortung und Selbstbestimmung eingefordert. Das fängt schon bei der Altersvorsorge an, da müssen wir selber sehen, wie wir zurechtkommen, und es macht vor dem Job lange nicht Halt – zumindest nicht wenn es unsere Aufgaben betrifft. Da dürfen wir gerne und viel Verantwortung übernehmen, gerne auch weit über den Rahmen der vereinbarten Arbeitszeit hinaus. Und das tun wir. Und gehen damit immer öfter über die Grenzen unserer Belastbarkeit hinaus.

Nur wenn es um die Organisation unserer Arbeit geht, sollen wir auf einmal gehorchen und uns an „die Regeln“ halten, die nicht unsere sind, sondern immer noch die derer, die vor 30 Jahren an den Start gegangen sind.

Home Office? Ja natürlich, immer gerne, aber bitte nur auf Antrag und mit Begründung! Und dann morgens schön pünktlich einloggen und Mails schreiben, damit bloß keiner auf den Gedanken kommt, man liege auf der faulen Haut.

Familienfreundlichkeit? Na klar – aber bitte keine Führungsverantwortung unter 50 Stunden die Woche! Klar kannst Du als Vater ein halbes Jahr Elternzeit nehmen – dann kriegt aber dein Kollege die Beförderung, denn der hat ja nur die handzahmen zwei Monate genommen.

Das ist keine Selbstbestimmung, das ist keine Flexibilität, das ist einfach nur Pseudo-Liberalität.

Die Waschlappen von heute!

Ich glaube, ganz ehrlich und ohne hier Generationen-Bashing betreiben zu wollen, dass sich an diesen Bedingungen so schnell nichts ändern wird – zumindest nicht in den eher traditionellen, konservativen Wirtschaftsunternehmen, wie meines eins war. Denn solange die 55+ Herren dort noch mehrheitlich und völlig unangreifbar die Kultur bestimmen, wird sich keine zeitgemäße, freiere Arbeitskultur durchsetzen.

Denn sie haben ja auch gebuckelt und malocht, schon seit 30 Jahren 14 Stunden im Büro jeden Tag, warum sollte Karriere jetzt auf einmal anders gehen? Die sollen sich mal nicht so anstellen, die Waschlappen von heute!

Es gibt sicherlich auch anders denkende, aufgeschlossene Menschen in der älteren Generation – nur sitzen die mehrheitlich nicht in den Führungsetagen der großen und mittelständischen Unternehmen. So habe ich es zumindest erlebt.

Wenn wir uns also auf das aktuell herrschende Top-Management verlassen, bedeutet das vor allem eins: Warten. Warten, dass sich etwas ändert.

Wir haben aber keine Lust zu warten. Und keine Zeit, sonst sind wir selber alte Damen, bevor wir einmal so gearbeitet haben, wie wir es uns wünschen. Wir möchten JETZT Vollgas geben, etwas schaffen, gute Projekte vorantreiben, zeigen was wir können, und weiter lernen. Aber wir möchten es nicht in einer angestaubten, starren Struktur, die uns einfach nicht mehr entspricht.

So sehen es ganz, ganz viele – das schließe ich zumindest aus den vielfachen Glückwünschen zur Kündigung, die ich von den meisten meiner Kollegen erhalten habe. Doch die wenigsten stehen offen dazu, dass ihnen vieles nicht passt in unserer Mainstream-Arbeitswelt.

Was können wir ändern?

Was können wir Veränderungswilligen, Powerladies (und -Gentlemen natürlich) und Herzensarbeiter und Herzensarbeiterinnen also ändern? 

Die Antwort, die ich für mich gefunden habe: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Nicht von einem freieren Arbeitsleben träumen, sondern es angehen. Sich einfach mal was trauen. Wir brauchen eine Revolution – zumindest eine kleine! Wir müssen ja nicht gleich alle unsere Jobs hinschmeißen, aber wir sollten uns zusammentun, die Ärsche zusammenkneifen und für unsere Wünsche und Bedürfnisse einstehen.

Wir sollten uns daran machen, unseren jeweiligen Laden ein bißchen von unten aufzurollen. Wo immer es möglich ist, den Chefs zeigen, dass eine neue Art der Arbeitsorganisation für das Unternehmen genauso gut und produktiv sein kann, wenn nicht sogar besser.

Flexible Arbeitszeiten so nutzen, wie sie propagiert werden und nicht so, wie wir denken, dass es dem Boss zwei Stufen über uns gefallen könnte.

Aktiv dafür werben, im nächsten Projekt mal eine andere Herangehensweise austesten zu dürfen und nicht jede Idee und jede Entscheidung über drei Hierachiestufen absegnen lassen zu müssen. Und dann mit Erfolg überzeugen. Oder aus Misserfolgen wertvolle Lehren für das Unternehmen schöpfen.

Zeigen, dass wir es ernst meinen

Erst wenn auch größere Unternehmen sehen, dass es uns ernst ist und nicht nur fünf sondern mindestens 50 Prozent der Angestellten ernsthaft selbstbestimmt und auf Augenhöhe mit ihren Führungskräften arbeiten wollen, wird sich etwas bewegen.

Erst wenn ArbeitnehmerInnen massenhaft auf die angeblich so flexiblen Arbeitszeiten pochen und sie auch in Anspruch nehmen, werden wir die Freiheit bekommen, diese auch wirklich individuell zu gestalten – so wie es am besten in unser Leben passt.

Erst wenn Frauen und Männer gemeinsam auf die Barrikaden gehen, wenn mal wieder eine Superkandidatin den Job nicht bekommen hat, weil sie Kinder hat, werden wir dahin kommen, dass Führungsfähigkeiten und Familienarbeit nicht mehr als Widerspruch gesehen werden.

Es geht um Freiheit, um Kreativität, um Flexibilität und auch um: Solidarität. Zusammen erreichen wir garantiert mehr. Wir sollten runterkommen von unseren Ego-Karrieretrips, mit denen wir uns bloß selber zermartern und freiwillig ausbeuten lassen. Statt nur unseren eigenen Film zu fahren, sollten wir all unser Potential zusammenwerfen und mit vereinter Kraft an einer freieren – und auch gerechteren – Arbeitswelt feilen.

Wer sollte idealistisch sein, wenn wir es nicht sind?

Bis wir das endlich gemeinsam angehen, werden weiterhin viele, viele hochtalentierte und leidenschaftliche Männer und Frauen verbrennen, in den Dienst nach Vorschrift zurücktreten oder aussteigen. Sowohl uns als Gesellschaft als auch den Unternehmen kann eigentlich an nichts von alldem gelegen sein.

Also: Worauf warten wir?

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