Foto: Matthew Kane – unsplash

Ruf mich nicht an! Warum ich Telefonieren hasse

Telefonieren ist doch eine Selbstverständlichkeit heutzutage, oder? Nicht, wenn man eine Telefonschwäche hat. Und ich vermute, damit bin ich nicht allein…

 

Die Phobie vor dem Telefon

Gerade noch habe ich mich noch über E-Mail-Fans lustig gemacht, die den Griff zum Telefonhörer scheuen wie der Teufel das Weihwasser, da wird mir klar, dass auch ich dazugehöre. Und diese Erkenntnis kam so: Auf der Website der Bloggerin Anne Schüssler stieß ich auf diesen Hinweis unterhalb ihrer Telefonnummer:

Ich war baff. Dann lachte ich. Und fühlte mich ertappt. Denn ja, einen solchen Hinweis hätte ich auch gern auf meiner Website. Auf meiner Visitenkarte. Oder auf einem T-Shirt? 🙂

Auch ich habe eine Telefonschwäche. Und nicht erst seit meinen Stimmbandproblemen. Aber wenn die Stimme nicht zuverlässig ist, macht Telefonieren noch weniger Spaß. Vor allem, wenn man aufgeregt oder im Stress ist. Dann kann es schnell peinlich werden: krächz, krächz, räusper, räusper. Außerdem sind längere Diskussionen am Telefon für mich ziemlich anstrengend, was die Atmung angeht. Aber generell habe ich noch nie gern telefoniert.

So richtig bewusst wurde mir das erst, als eine Freundin meinte: „Ganz ehrlich: Ich hasse es zu telefonieren. Es gibt Tage, an denen bringe ich es einfach nicht über mich, zum Hörer zu greifen. Ich traue es mich kaum zu sagen, aber ich hab da fast so eine Art Phobie.“ In der Tat, das gibt man ungern zu. Wie sieht das denn aus? Vor so etwas Simplem wie Telefonieren Angst zu haben?

Telefonieren ist Pflicht

Nun hatte ich eigentlich immer Jobs, wo ich viel telefonieren musste. Zumindest kam ich oft nicht drumherum. Anzeichen für meine Telefonschwäche gab es schon in meinem ersten Job für einen ukrainisch-jüdischen Import-Export. (Don’t ask.) Damals – ich spreche über eine Zeit, als man noch Telefonbücher benutzen musste, um etwas herauszufinden – erteilte mein Chef mir den Auftrag, eine 0,33er Dose Bier zu einem abartig niedrigen Preis zu finden. Eine schier unlösbare Aufgabe.

Und sie kostete mich neben dem eigentlichen Anruf bei den Brauereien (und dem schier endlosen Sichdurchfragen und Sichdurchstellenlassen zum richtigen Ansprechpartner) noch zusätzliche Überwindung. Da kommt etwas ins Spiel, das ich mal Scham nennen möchte. Denn die meisten Brauereivertriebler lachten mich ob der utopisch niedrigen Preisvorstellung meines Chefs einfach aus. Immerhin etwas lernte ich von – nennen wir ihn Igor: „Man muss nur lange genug herumtelefonieren, dann erreicht man sein Ziel.“ Das ist tatsächlich so.
Allerdings ist die Strategie „lange Herumtelefonieren“ nicht wirklich
eine gute Nachricht für jemanden, der Telefonieren hasst.  

Damals habe ich es als eine Art Therapie betrachtet: Grenzen überschreiten und so, sich mit den eigenen Ängsten konfrontieren. Einfach mal 50 Brauereien abtelefonieren. Aber soll ich Euch was sagen? Es hat nichts gebracht. Auch 20 Jahre später hasse ich es, irgendwo anzurufen. Nicht immer – es gibt auch Tage, da flutscht es. Das nutze ich dann aus und tätige gleich mal ein paar Anrufe auf einen Schlag.

Natürlich führe ich auch sehr gute, lange, fast schon intime Telefonate mit
Menschen. Dem geht aber in der Regel irgendeine Art von Erstkontakt voraus. Per Mail, Twitter, was auch immer. Das beruhigt mich, wenn ich weiß, der Boden für das Gespräch ist bereitet. Aber diese „Hast-du-die-Nummer-vom-Papst-ich-ruf-da-mal-eben-an-Leute“: Da gehöre ich überhaupt nicht zu. Noch schlimmer: Mir mitten im Gespräch und gegen meinen Willen den Hörer in die Hand drücken. Herzinfarkt!

Gottseidank gibt’s SMS

Nicht zufällig war ich damals eine der ersten in meinem Dunstkreis, die diese
lustige Textnachrichtenfunktion im Handy entdeckt hat. Im Nokia 5110.
Schwarz auf grünem Display und ES GINGEN NUR GROSSBUCHSTABEN. Und nur 160 Zeichen. Für die Jüngeren unter uns. Die Erfindung der SMS war
für mich ein Segen. Kein langes Gelaber. „WO BIST DU?“ Antwort-SMS.
Fertig.

Ein großer Vorteil des Schriftlichen ist (neben der Tatsache, dass man in Ruhe überlegen kann, was man schreibt), dass der Gesprächspartner nicht sofort antworten muss. (Kann natürlich auch von Nachteil sein.) Wenn man anruft, weiß man nie so genau, wo und wobei man das Gegenüber gerade stört. Und ich störe Leute ungern. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich Leute, die im Gespräch sind, möglichst nicht anspreche. Wird mir manchmal als Unhöflichkeit ausgelegt.

Vielleicht ist auf dem Grund der Telefonschwäche auch eine Art Angst vor dem
Unbekannten, dem Nichtgesicht. Wenn’s wichtig ist oder kompliziert wird,
kommuniziere ich am liebsten in persona mit Menschen – ich will den
ganzen Eindruck haben, inklusive wie jemand riecht und welche Energie er
ausstrahlt. Skype zum Beispiel empfinde ich auch als merkwürdig steril. Es gibt vor, dass man mit dem ganzen Menschen kommuniziert – ist aber
nicht so.

Jedenfalls ist es toll, dass man heutzutage viele Dinge mithilfe von ein paar WhatsApp oder einer E-Mail klären kann. Das kommt mir sehr entgegen. Man muss sich nur merken, wer auf welchem Kanal am besten zu erreichen ist. Der eine reagiert nur auf Facebook Messenger, der nächste präferiert WhatsApp. Oder E-Mail. Oder XING … Naja, und wenn’s gar nicht anders geht, rufe ich halt an.  

Dieser Text erschien zuerst auf Lydia Krügers Blog Büronymus. Dort schreibt sie über die menschliche Seite der Arbeit.

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