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„Du hast fette Arme!” – Eine Bloggerin zwischen Diätwahn und Selbstliebe

Anne-Marie Berlin ist Lifestylebloggerin. Früher war ihr Blog komplett auf Abnehmen, Sport und gesunde Ernährung ausgelegt. Warum sie das in ihrem Leben sehr eingeschränkt hat und warum der Wandel ein schwieriger Weg war, darüber hat sie mit uns gesprochen.

Hollywood-Diät und Size Zero

Das Leben eines Bloggers scheint einfach. Man muss ein paar nette Bilder hochladen, ein bisschen was dazu schreiben und schon fliegen einem die Follower zu. Dann werden Unternehmen auf einen aufmerksam und man verdient Geld mit Kooperationen und Werbefläche auf dem Blog.

Naja, so einfach ist es dann ja auch wieder nicht. Die meisten Blogger stellen ihr Leben zur Schau. Zeigen was sie anziehen, essen und unternehmen. Erzählen von ihren Plänen, Träumen und Wünschen und das alles landet dann im Internet. Frei zugänglich für alle. Für alle Follower, die sich durch die Arbeit des Bloggers inspirieren lassen, aber auch für Kritiker und Neider.

Genau damit muss auch Anne-Marie täglich umgehen. Alles fing damit an, dass sie nach einer Neuseeland Reise abnehmen wollte. Erst mit einer Methode, die sich „Hollywood-Diät” nennt und dann mit dem „Size Zero”-Programm. Diese Programme versprechen einem, wie könnte es auch anders sein, super schnell schlank zu werden. Das klappt dann auch meistens, wenn man komplett nach diesen Programmen lebt und sich über Wochen hinweg abquält – hält man sich streng daran, kann man tatsächlich schnell abnehmen. Was aber passiert, wenn man wieder in seinen normalen Alltag zurückkehrt, darüber brauchen wir glaube ich nicht sprechen. Anne-Marie nahm mit diesen Programmen sehr schnell 24 kg ab und dokumentierte das jeden Tag. Sie postete jedes Essen, das sie aß, sie ging jeden Tag ins Fitnessstudio und machte sehr viel Sport.

„Die Vorher-Nachher-Bilder laufen auf Instagram besonders gut.”

Es drehte sich alles nur noch um Sport und Essen, das natürlich immer Instagram tauglich aussehen musste. Wenn ihr Vater mal etwas von Anne-Maries Essen aus dem Kühlschrank aß, konnte es schon mal vorkommen, dass sie anfing zu weinen. Ihr Ziel war es, immer mehr abzunehmen. Aus dem Internet bekam sie dazu immer mehr positives Feedback. Ihre Eltern sagten ihr allerdings zu dieser Zeit schon, dass sie bitte damit aufhören soll, da sie sich total veränderte.

„Ich war in meiner eigenen Welt und hab immer weiter gemacht. Ich bin vor jedem Essen in mein Zimmer gerannt und habe es fotografiert. Ich wollte es ja teilen!”

Im Fitness Studio traf sie eine Freundin von früher, die Diätassistentin war und fortan mit ihr trainierte. Diese Freundin ermutigte sie dann auch, nach den Trainingseinheiten normal zu essen. Dem Körper auch die Kohlenhydrate zu geben, die er nach ausgiebigem Krafttraining brauchte.

Ab jetzt wird wieder gelebt

Die Wende kam für Anne-Marie im Urlaub. Dort hatte sie sich vorgenommen, richtig zu entspannen und in dieser Zeit nicht auf ihre Figur zu achten. Sie trank wieder Alkohol, aß alles und so viele sie wollte und ging wieder mit Freunden aus. Dadurch merkte sie, dass sie so viel glücklich war. Ihr Tagesablauf konnte wieder ganz anders geplant werden. Es war wieder möglich unbeschwert etwas zu unternehmen ohne Angst haben zu müssen, am nächsten Tag nicht fit für den Sport zu sein.

„Man hat ja auch kaum mehr was gemacht. Ich war immer nur im Fitnessstudio oder habe geschlafen, weil ich nach dem Sport immer fix und fertig war.”

Wieder zurück vom Urlaub stand für die junge Bloggerin ein Stadt-Wechsel aufgrund des Studiums an. So entwickelte es sich, dass Anne-Marie das Abnehmen nicht mehr zu ihrem Lebensmittelpunkt machte. Aufgerüttelt hat sie dann auch die Bemerkung ihrer besten Freundin: „In dick warst du viel lustiger”. Anne-Maire ernährte sich zwar noch gesund aber viel ausgewogener. Sie postete nicht mehr jedes Essen auf Instagram und nahm (natürlich) wieder zu. Im Nachhinein sagt sie, dass sie zu dieser Zeit gar nicht merkte, wie sehr sie in einer Art „Wahn” war und nur noch für das Abnehmen lebte.

„Seitdem ich nicht mehr abnehme, wächst meine Reichweite viel langsamer.”

Auf Instagram und ihrem Blog machte sich das auch bemerkbar. Die Follower wuchsen viel langsamer, die Reichweite stieg nur noch wenig an. Leute entfolgten ihr sogar, weil sie nicht mehr abnahm. Mittlerweile haben sich ihre Leser an den neuen Lebensstil gewöhnt und das Wachstum wurde auch wieder stärker. Anne-Maries neuer Fokus liegt jetzt auf Selbstliebe, Positivität und ihrem täglichen Leben, in dem sie nicht mehr jede Kalorie zählt. Sie lebt so wie es ihr gefällt, isst und trink worauf sie Lust hat. Nicht jeder in den sozialen Medien befürwortete ihren Lebenswandel. Noch heute bekommt sie oft harte Kritik, wenn sie Bilder von sich selbst ins Internet stellt. „Du hast fette Arme”, „du genießt dein Leben zu sehr” oder „so wie du, würde ich nicht in der Öffentlichkeit rumlaufen” sind nur ein paar davon. Die 21-jährige versucht sich diese Kommentare nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen und drüberzustehen.

„Wenn man seine Bilder ins Netz stellt muss man auch damit rechnen, dass andere sie kritisieren”

Allerdings muss hier deutlich zwischen Kritik und Beleidigungen unterschieden werden. Gut gemeinte, konstruktive Kritik bekommt Anne-Marie gerne. So entwickelt sie sich weiter und denkt in neue Richtungen. Kommentare hat sie bisher nur einmal gelöscht. Da wurde die Diskussion unter einem Bild zu groß und hatte mit dem Bild an sich nichts mehr zu tun. Im Internet ist die Hemmschwelle zu Beleidigungen viel geringer als im realen Leben. Auf der Straße würde sich wohl keiner trauen zu einer fremden Person zu sagen, dass sie fette Arme hat. Aber als Bloggerin muss man leider damit rechnen, dass solche Kommentare früher oder später auf einen zukommen. Um so etwas nicht zu sehr an sich ran zu lassen versucht Anne-Marie sich auf sich selbst zu konzentrieren und ihre Selbstliebe in den Mittelpunkt zu stellen. Die Menschen die gerne mal übers Internet andere beleidigen, haben ihrer Meinung nach ein langweiliges Leben und fühlen sich meistens selbst nicht wohl. Das man solchen Leuten mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein begegnen muss, versteht sich von selbst. Dass das nicht immer einfach ist allerdings auch.

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