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Selbstzweifel-Smalltalk: Warum interessiert mich, was andere denken?

Wenn man auf alte Freunde trifft, dann kann das sehr schön sein – oder aber ein Spießrutenlauf. Denn am Ende wollen wir bei diesen Treffen doch vor allem eines: Nicht als vermeintliche Idiotin dastehen. Aber, warum ist uns das so wichtig?

 

Wenn die Selbstzweifel ins Haus flattern

Den Klassentreffen-Komplex kennen wir alle aus diversen Filmen: Mit der Einladung flattern erste Selbstzweifel ins Haus und plötzlich fragt man sich, wie man im Vergleich mit den anderen wohl dastehen mag. Ich selbst kenne das Gefühl von Partys mit ehemaligen Schulfreunden, die man bloß einmal im Jahr sieht. Obwohl es mir egal sein sollte, was Leute über mich denken, die nicht an meinem Leben teilhaben, mache ich mir vorher jedes Mal einen Kopf. Was soll ich anziehen? Was habe ich zu erzählen? Was braucht gerade keiner zu wissen? Meistens geht alles gut und man verbringt einen schönen Abend zusammen, bevor man wieder für ein Jahr lang getrennte Wege geht. Doch beim letzten Mal lief es anders und als ich in der Nacht nach Hause fuhr, war ich beschämt, verletzt und stinksauer.

Es gibt zwei Arten von Teenie-Freundschaften. Die einen, die mit der gemeinsamen Schulzeit beginnen und die anderen, die bereits mit der Zeugnisübergabe wieder enden. Mit ersteren werden wir zusammen erwachsen. Wir feiern mit ihnen die Einweihungsparty unserer ersten eigenen Wohnung, fahren zusammen in den Urlaub, machen uns gegenseitig Mut in aussichtslosen Prüfungszeiten und schließen uns bei Liebeskummer rotzverschmiert in die Arme. Die anderen verlieren wir unmittelbar nach dem Schulabschluss aus den Augen und schon bald haben wir keine Ahnung, was der Klassenclown und die Streberin von damals gerade treiben. Interessiert uns im Grunde ja auch nicht – zumindest bis zum ersten Klassentreffen.

Denn dann wollen wir oft ausgerechnet bei denen einen guten Eindruck hinterlassen, mit denen wir längst nichts mehr zu tun haben. Im Gegensatz zu unseren wirklichen Freunden, die alle Höhen und Tiefen unseres Alltags mitbekommen, kriegen die alten Bekannten nämlich bloß einmal pro Jahr eine Momentaufnahme von uns zu sehen. Ist die verwackelt, behalten sie uns unscharf in Erinnerung – im schlimmsten Fall mit geschlossenen Augen und Doppelkinn.

Die gelunge Selbstdarstellung ist die halbe Miete

An einem echten Klassentreffen habe ich noch nie teilgenommen. Sofern ich weiß, wurde auch noch nie eins veranstaltet. Die beschriebene Unsicherheit kenne ich dafür von runden Geburtstagen und anderen Anlässen, bei denen ein Großteil der Leute von früher zusammenkommt. Zum Beispiel bei unserem traditionellen Vorglühen vor dem alljährlichen Weihnachtskonzert. Gemeinsam mit ein bis zwei Freunden, die über die Jahre geblieben sind, begebe ich mich dann – schwankend zwischen Neugier und Unsicherheit– auf das dünne Eis des Wiedersehens. Denn natürlich will ich wissen, was zwischenzeitlich im Leben derer passiert ist, die ich immer mochte, aber kaum noch kenne.

Doch mindestens genauso groß ist die Angst, auf der Jahresbilanzveranstaltung schlecht abzuschneiden und den anderen ein ganzes Jahr lang als Idiotin, oder noch schlimmer, in irgendeiner Form bemitleidenswert in Erinnerung zu bleiben. Meine wunden Punkte variieren von Treffen zu Treffen. So hoffte ich anfangs, nicht auf mein Studium angesprochen zu werden, weil ich ziemlich erfolglos begonnen hatte, VWL zu studieren und selbst nicht genau wusste, was das sollte. Einige Jahre später überspielte ich ein kurz zuvor beendetes Intermezzo mit jemandem aus dem alten Freundeskreis, von dem ich hoffte, dass es keiner mitbekommen hatte und nach Abschluss meines Masterstudiums hätte ich alles dafür getan, um von meiner aussichtslosen Jobsuche abzulenken. Meistens hat es geklappt und ich war hinterher froh, alle wiedergesehen und ein paar Neuigkeiten aus ihrem Leben erfahren zu haben. Doch vor einigen Wochen ging ein solcher Abend dann zum ersten Mal anders aus.

Einen Idioten gibt es immer

Es war ein 30. Geburtstag und es gab einen Garten voller Lampions, Live-Musik und eine Bier-Pong-Tischtennisplatte – beste Voraussetzungen für einen schönen Abend mit alten Bekannten. Wäre da nicht der Klassenclown gewesen, der schon seit Jahren immer wieder mit dummen Sprüchen glänzt. 2005 hatte er mich mit den Worten begrüßt: „Oh, die feine Dame aus Berlin beehrt uns mit ihrer Anwesenheit, sind wir dir denn noch cool genug oder möchtest du dich lieber woanders hinsetzen?“ Sieben Jahre später konnte er dann nicht begreifen, weshalb ich kurz zuvor nach Essen gezogen war: „Herzliches Beileid! Ich war zwar noch nie da, aber in einer dermaßen hässlichen Stadt könnte ich ja nicht leben.“

Seine Spitzen kommen meistens in Verbindung mit einem breiten Lächeln und einer Spur zu viel Körperkontakt. Durch diese übertrieben freundschaftliche Körpersprache, schafft er es immer wieder, mich in eine Zwickmühle zu bringen: Ich ärgere mich über seine Aussagen, aber habe gleichzeitig das Gefühl, empfindlich rüberzukommen, sofern ich mich ernsthaft zu seiner Provokation äußern würde. Daher habe ich seine Bemerkungen bisher immer unter „betrunkener Idiot“ verbucht und mich wieder interessanteren Leuten gewidmet, sobald es mir zu blöd wurde. Doch an der besagten Geburtstagsparty hat er den Bogen überspannt. Und das, obwohl es – dank neuem Job und glücklicher Beziehung – diesmal keine nennenswerten Baustellen in meinem Leben gab.

Treffer! Der wunde Punkt

Mit einem aufgesetzten Grinsen kam er auf mich zu und legte mir seinen Arm um die Schultern: „Diana, wie schön dich zu sehen…“ Schon da hatte ich keine Lust auf die bevorstehende Unterhaltung, doch ich wollte ihm nicht vor den Kopf stoßen und stellte mich auf eine Runde Smalltalk ein. Er kam ohne Umschweife zum Punkt: „Wie kommt’s, dass du so füllig geworden bist, muss ich mir Sorgen machen?“ Seine berechnende Boshaftigkeit verschlug mir die Sprache. Dann kochte die Wut in mir über, wie ich es selten erlebt habe. Augenblicklich schüttelte ich seinen Arm ab und fragte: „Wie kommt’s, dass du mit jeder Begegnung zu einem größeren Arschloch wirst?“

Das gespielte Unverständnis in seinem Gesicht gab mir den Rest und ich fügte hinzu: „Kümmer’ dich zur Abwechslung doch mal um deinen eigenen Scheiß.“ Seine Augen weiteten sich, dann legte er nach: „Als guter Freund wird man ja wohl noch mal fragen dürfen. Also, woran liegt’s? Bist du schwanger, oder zu viel Fast Food?“ Selbst jetzt, Wochen später bin ich noch immer fassungslos. Ich meine: What the fuck?! Ja, es liegt ein langes Fernbeziehungsjahr mit vielen Überstunden, spätem Abendessen und Pizza-Wochenenden auf der Couch hinter mir. Und ja, in solchen Zeiten nimmt man zu und fühlt sich zugegebenermaßen nicht besonders wohl, doch es ist okay, denn es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Und selbst wenn nicht: Auf der ganzen Welt sollte sich niemand vor irgendwelchen unangenehmen Personen, zwischen Buffet und Tanzfläche, für seinen eigenen Körper rechtfertigen müssen!

Go F**k Yourself

Meine Geduld war nach all den Jahren am Ende. In meinen Ohren summte es, als ich ihn fragte, wie er auf die Idee komme, dass wir gute Freunde seien. Ich klärte ihn auf, dass wir weder welche sind, noch jemals welche waren. Und es fühlte sich gut an, ihn wissen zu lassen, dass ich mit ihm fertig bin und nie wieder aus Höflichkeit ein Wort mit ihm wechseln werde. Dennoch hat mich diese Begegnung nachhaltig verstört. Wir alle werden von Achillesfersen getragen, was treibt einen Menschen dazu an, mutwillig hineinzutreten? Während eines Party-Smalltalks!

In den vergangenen zwölf Jahren habe ich bei unseren unregelmäßigen Treffen alles gesehen: Strahlende Augen, gestraffte Schultern und erschöpfte Gesichter. Ich habe über modische Experimente gelacht und selbst welche zur Schau getragen. Ich habe mir aus fremden Leben erzählen lassen und von Schicksalsschlägen, Schwangerschaften und Verlobungen erfahren. Und ich wette, dass dabei jeder Einzelne von uns schon einmal etwas zu verbergen hatte oder froh gewesen ist, dass ein gewisses Thema nicht zur Sprache kam. Man muss nicht gerade Psychologie studiert haben, um ein Mindestmaß an Feingefühl an den Tag zu legen. Daher kann es in meinen Augen nur drei Gründe für das geben, was an diesem Abend passiert ist: Dummheit, Bosheit oder Selbstmitleid. Ersteres schließe ich aus, denn wer glaubt, dass es sich um einen gelungenen Gesprächseinstieg handelt, jemanden darauf anzusprechen, dass seine Akne schlimmer oder seine Stirnglatze größer geworden ist, der dürfte es ohne Betreuer wohl kaum bis zur Party schaffen.

Ein bunter Strauß Komplexe

Böse sind die provokativen Kommentare hingegen auf jeden Fall. Ich frage mich jedoch, was ich ihm getan habe, dass er so sehr darauf aus ist, meinen wunden Punkt zu finden und mich zu verletzen. Letzteres erscheint mir daher am wahrscheinlichsten. Denn man muss schon sehr unzufrieden mit seiner eigenen Suppe sein, um das Salz in der am Nachbartisch zu suchen. Wahrscheinlich ist er selbst mit einem bunten Strauß Komplexe zur Party gekommen, was okay ist, denn wir tragen alle einen mit uns herum. Doch andere bewusst zu verletzen und vorzuführen, um von sich selbst abzulenken, ist gleichermaßen peinlich wie erbärmlich.

Nach zwölf Jahren ist es also passiert, meine aktuelle Schwachstelle wurde gefunden und lauthals thematisiert. Ich habe mich unwohl gefühlt, war sauer, traurig und peinlich berührt zugleich. Ich habe mich gefragt, weshalb ich mir solche Treffen überhaupt noch antue, war wütend auf die ganze Situation und habe mir kurzzeitig geschworen, mich bei solchen Anlässen nie wieder sehen zu lassen. Doch damit würde ich all den anderen, die ich an dem Abend nach langer Zeit wiedergesehen habe Unrecht tun. Denn die haben mir zur Verlobung gratuliert und mit strahlenden Augen von ihrer eigenen Hochzeit berichtet. Wir haben auf neue Lebenskapitel angestoßen und über alte Zeiten geredet. Kurz: Wir hatten jede Menge Spaß. Am Ende bin ich mit vielen neuen Momentaufnahmen in meinem Kopf nach Hause gefahren. Die meisten sind sehr schön geworden, bloß eine Person hat alles dafür getan, denkbar unvorteilhaft auf ihrer herüberzukommen. Dummerweise wird es die letzte von ihr sein, die ich in mein imaginäres Erinnerungsalbum klebe.

Dieser Text ist zuerst auf www.urbanlifestyletrash.com erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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