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Struktureller Sexismus: Wie es ist, eine Frau in der Philosophie zu sein

Dem Star-Philosophen Thomas Pogge wird vorgeworfen, seine Machtpostionen über Jahrzehnte dafür genutzt zu haben, Studentinnen sexuell auszubeuten. Und das ist im Fach Philosophie beileibe kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Problem, schreibt unsere Communityautorin Klara Wissmann.

Star-Philosoph Pogge: Wenn die Machtposition für sexuelle Übergriffe genutzt wird

Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, dem sich der Star-Philosoph Thomas Pogge derzeit stellen muss: Der in Deutschland geborene Professor an der Yale University, der in seinen einflussreichen Büchern für globale Gerechtigkeit argumentiert, soll über Jahrzehnte seine Machtposition eingesetzt haben, um Studentinnen aus dem globalen Süden sexuell auszubeuten. Die Aussagen mehrerer Frauen belasten ihn schwer.

So soll er seine Studentin Fernanda Lopez Aguilar aus Honduras gedrängt haben, ein Hotelzimmer mit ihm zu teilen und gemeinsam einen Film im Bett zu schauen. Als sie am Schreibtisch saß, habe er seinen erigierten Penis an ihr gerieben. Mit einer ersten Aussage wandte sich Lopez Aguilar bereits 2011 an die Yale University. Diese bot ihr 2.000 Dollar, wenn sie mit dem Fall nicht an die Öffentlichkeit geht. Ähnliche Vorwürfe gegen Pogge wurden aus der Columbia University, an der er in den 1990er Jahren Professor war, laut.

Das Fach Philosopie hat ein Sexismus-Problem

Erst vor drei Jahren sorgte ein Skandal um sexuelle Belästigung in der Philosophie weltweit für Aufsehen. Der renommierte britische Philosoph Colin McGinn, der damals Professor an der Universität Miami war, hatte die Doktorandin Monica Morrison mit anzüglichen E-Mails bombardiert. Darin schrieb er ihr unter anderem, dass er beim hand job an sie denken müsse. In einer zynischen Verteidigung auf seinem Blog argumentierte McGinn später, er könnte mit dem Wort hand job auch Maniküre gemeint haben.

Belegen diese Fälle nur einmal mehr, dass an US-amerikanischen Universitäten eine rape culture herrscht? Ja, vielleicht. Aber sie weisen auch darauf hin, dass das Fach Philosophie ein ausgewachsenes Sexismus-Problem hat, das den Nährboden für sexuelle Belästigung bereitet. Das behaupte ich, weil ich selbst sieben Jahre Philosophie an zwei Hochschulen studiert habe – in Deutschland, nicht in den USA. Und weil ich mich wegen des sexistischen Affentheaters, das oft in meinem Unialltag herrschte, gegen eine Promotion entschieden habe.

Im Rahmen einer Studie zur Situation von Frauen in der Philosophie berichteten an der Freien Universität Berlin (an der ich nicht studiert habe) alle befragten Studentinnen von Unwohlsein und Unsicherheiten im Studium. Viele trauten sich nicht, sich in Lehrveranstaltungen zu beteiligen und fühlten sich von Dozenten übersehen. In einem der Seminare, die ich in meinem Studium besucht habe, haben wir eine Frauengruppe gegründet, um uns in den männerdominierten Hierarchien besser durchsetzen zu können – bei einer Seminargröße von maximal zwölf Teilnehmenden. Als eine Tutorin an meiner Hochschule am Ende des Semesters die Evaluationen der Studierenden durchging, blieb ihr die Einschätzung eines Erstsemesters besonders in Erinnerung: „Die Dozentin ist zwar sehr hübsch, hat aber leider überhaupt keine Ahnung.“

Alles Einzelfälle? Das ist zu einfach gedacht!

Wer behauptet, das seien Einzelfälle von betroffenen Personen und Hochschulen, macht es sich zu einfach. Es ist die Fachkultur in der Philosophie, die es Frauen schwer macht. Philosophie betreiben bedeutet, Texte anderer zu lesen und darüber zu diskutieren und irgendwann auch eigene Texte zu schreiben und über diese Texte zu diskutieren. Diese Diskussionen sind fast immer kontrovers. Das liegt in der Natur der Sache: Nur eine langweilige These erzeugt keine Widerrede. Eine gute Philosophin ist also eine, die Kritik provoziert. Immer wieder habe ich in philosophischen Seminaren beobachtet, wie Männer sich von der Herausforderung angespornt fühlen und sich mit geschwellter Brust in die Debatte werfen, während Frauen sich vom Wettkampf um das beste Argument eher einschüchtern lassen. Und so sind es oft Männer, die die Diskussion dominieren – und damit auch das Klima prägen, das in Lehrveranstaltungen herrscht.

Nicht weniger lähmend wirkt der allgegenwärtige Geniekult in der Philosophie. Zum Philosophieren braucht es mehr als alles andere die Fähigkeit zum logischen Denken. Und die habe man eben oder man habe sie nicht, so wird unterstellt. Mit jedem Kommentar, den man in einer Diskussion abgibt, steht man unter dem Druck zu beweisen, dass man zu den Begnadeten auf der linken Seite der Oder-Verknüpfung gehört. Wer nicht ohnehin eine ordentliche Portion Vertrauen in die eigene Leistung mitbringt – was Frauen erwiesenermaßen viel seltener tun als Männer –, wird sich in einer solchen Atmosphäre kaum wohl fühlen. So wundert es nicht, dass die Abbrecherquote unter Philosophinnen nach dem Einführungskurs am höchsten ist, wie eine amerikanische Studie zeigt.

Der Konkurrenzkampf verstärkt das Problem

Konkurrenzkampf verstärkt die Unsicherheit. Und der ist in der Philosophie besonders hart: Kaum einer anderen Disziplin wurde so lange weisgemacht, dass es für sie außerhalb der Hochschulmauern im Berufsleben keine Verwendung gebe. So falsch dieses Vorurteil ist, es verunsichert. Und das nicht völlig zu unrecht. Mit 7,5 Prozent liegt die Arbeitslosenquote von Philosophinnen und Philosophen weit über dem Mittelwert von Akademikerinnenn und Akademikern. Deshalb gleicht der Kampf um die wenigen, meist prekären Arbeitsplätze an den Hochschulen mitunter einem argumentativen Hauen und Stechen.

Dass die Situation für Philosophinnen, die eine wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen haben, nicht besser wird, zeigt der Blog „What is it like to be a woman in philosophy?“. Dort dokumentieren Philosophinnen ihre Erfahrungen sexueller Belästigung, aber auch den Sexismus, dem sie im Alltag ausgesetzt sind. So schildern Frauen, wie ihre Argumente und Fragen in Diskussionen überhört oder nicht ernstgenommen werden, während die gleichen Argumente und Fragen jedoch anerkennt werden, wenn sie aus dem Mund von Männern kommen.

Was eine Studie der britischen Society for Women in Philosophy (SWIP UK) schon vor fünf Jahren deutlich formulierte, scheint in Deutschland noch nicht angekommen zu sein: Die Philosophie gleicht, was Genderprobleme angeht, eher der Mathematik, den Ingenieurwissenschaften oder der Informatik (MINT) als anderen Geisteswissenschaften. Während Regierung und Hochschulen schon seit vielen Jahren große Geldsummen in die Frauenförderung in MINT-Fächern pumpt, passiert in der Philosophie fast nichts. Immerhin gibt es seit 2012 einen deutschen Ableger der Society for Women in Philosophy. Die dort organisierten Philosophinnen wollen die Frauen im Fach sichtbarer machen und sie vernetzen. Das ist längst überfällig.

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