Foto: Wikimedia Commons/Tomaz Silva/Agência Brasil

Sexuelle Belästigung in Frankreichs Politikbetrieb: 17 Spitzenpolitikerinnen brechen ihr Schweigen

Frankreich wird seit Jahren von Fällen sexueller Belästigung im Politikbetrieb erschüttert – nun haben 17 ehemalige Ministerinnen einen Appell gegen Sexismus und Belästigungen veröffentlicht – und berichten konkret von den verbalen Attacken, die sie während ihrer Laufbahn ertragen mussten.

 

Spießrutenlauf für Frauen im Politikbetrieb

Klar, auch in Deutschland gelangt ab und und zu ein kleiner Ausschnitt des Ausmaßes sexueller Belästigung im Politikbetrieb an die Öffentlichkeit. Natürlich denken wir sofort an Rainer Brüder und sein Dirndl-Kompliment an die Journalistin Laura Himmelreich, dem #Aufschrei und eine große Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung folgte.

In Frankreich hat das Thema nun noch einmal eine neue Dimension erreicht:  „Wir werden nicht mehr schweigen“, heißt es in einer Anzeige, welche 17 ehemalige Ministerinnen in der Wochenzeitung „Journal du Dimanche“ veröffentlicht haben, und weiter: „Wie alle Frauen, die in zuvor ausschließlich männliche Domänen gelangten, mussten wir das hinnehmen und gegen Sexismus kämpfen.“

Die Frauen werden auch ganz konkret und nennen ein paar Beispiele von Sätzen, die sie bisher ertragen mussten: „Abgesehen von ihren tollen Brüsten, wie ist sie?“, „Trägst du einen String?“, „Dein Rock ist zu lang, der muss gekürzt werden“. Auch Christine Lagarde, seit 2011 Chefin des Internationalen Währungsfonds und damit eine der mächtigsten Frauen der Welt, gehört zu den Unterzeichnerinnen – sie war bis 2011 französische Finanzministerin.

Frauen, alle ehemalige Ministerinnen von Konservativen, Sozialisten und Grünen, wollen sexuelle Übergriffe in Zukunft offensiver ansprechen, und schließen mit der Forderung: „Schluss mit der Straffreiheit“.

Vergewaltigungsvorwürfe, Sex-Orgien und Zuhälterei

In Frankreich haben mehrere Skandale um Sexismus und sexuelle Belästigung die politische Landschaft in den vergangenen Jahren erschüttert: 2011 wurde der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn beschuldigt, in den USA ein Zimmermädchen vergewaltigt zu haben; es folgten Enthüllungen über Sex-Orgien mit Prostituierten. Nach einer mehr als dreijährigen Untersuchung wurde er im vergangenen Jahr vom Vorwurf der Zuhälterei freigesprochen – Strauss-Kahn habe nicht wissen können, dass es sich bei den Frauen für die Orgien um Prostituierte gehandelt habe. Freispruch hin oder her, während des Prozesses hatten sich Abgründe aufgetan.

Erst Anfang Mai erst war der Vizepräsident der französischen Nationalversammlung, Denis Baupin, nach anhaltenden Vorwürfen wegen sexueller Belästigung zurückgetreten. Zwei Politikerinnen hatten von sexuellen Übergriffen durch Baupin und anhaltende Belästigungen durch anzügliche SMS berichtet. Baupin wiederum hat bereits eine Verleumdungsklage angekündigt. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Baupin jedenfalls hatten 500 Politiker und Politikerinnen sowie Aktivisten in der Zeitung „Liberation“ gefordert, das Thema sexuelle Belästigung im Politikbetrieb endlich nicht länger unter den Teppich zu kehren.

In Deutschland ist es bei dem Thema jenseits der Brüderle-Geschichte bisher relativ ruhig geblieben. Die ,Spiegel’-Redakteurin Annett Meiritz beschrieb in einem Text vor drei Jahren über ihre Erfahrungen mit Frauenfeindlichkeit in der Piratenpartei. Und sie schreibt: „Sexismus im politischen Betrieb ist keine Erfindung der Piraten. Die frühere ,Spiegel’-Journalistin Ursula Kosser schreibt in ihrem Buch ,Hammelsprünge über das politische Bonn in den achtziger und neunziger Jahren, das einem testosterongetränkten Exklusivclub zu gleichen schien, in dem manche Hintergrundkreise komplett frauenfrei und Anzüglichkeiten an der Tagesordnung waren. Kosser schildert den Fall einer Journalistin, die ein Päckchen eines Abgeordneten in ihrem Postfach fand. Darin ein Dildo. ,Auf gute Zusammenarbeit’, stand auf der Begleitkarte.“

Man muss annehmen, dass sich an der Atmosphäre im politischen Berlin bis heute nichts Wesentliches geändert hat, wenn Meiritz weiter schreibt: „Ich habe keine Lust, darüber nachzudenken, ob ich bei einem Gespräch mit einem Politiker lächle oder nicht, weil das als Flirtversuch missverstanden werden könnte. Oder darüber, ob ich besser im Hosenanzug als im Etuikleid zum Interview erscheinen soll. Grübeln männliche Journalisten darüber nach, wie oft sie lächeln, wenn sie – sagen wir – mit Ursula von der Leyen reden? Oder machen sie sich darüber Gedanken, ob sie zum Sexobjekt werden, wenn sie auf dem Parteitag ein besonders elegantes Sakko tragen? Nein? Prima! Genau das möchte ich auch.“

Bild: Wikimedia Commons/Tomaz Silva/Agência Brasil

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