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Kölner Silvesternacht: „Die Polizisten haben uns nicht geglaubt und nicht geholfen“

In der Silvesternacht 2015 wurden rund um den Kölner Hauptbahnhof Frauen attackiert, belästigt und bestohlen. Der Kriminologe Rudolf Egg bringt nun die Landesregierung und Polizei mit einem Gutachten in Erklärungsnot. Frauen werfen der Polizei Passivität vor.

 

Die Dimensionen seien klar gewesen – von Anfang an 

Beinahe zehn Monate liegt die Silvesternacht 2015 zurück, die für immer mit den sexualisierten Übergriffen und Diebstählen am Hauptbahnhof in Köln verknüpft sein wird. Nordrhein-Westfalens Regierung hat lange abgewiegelt, von den Ausmaßen der Übergriffe früh gewusst zu haben. Erst ab dem 4. Januar, drei Tage nach den Geschehnissen, seien die Dimensionen für die Landesregierung, inklusive Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Landesinnenminister Ralf Jäger, erkennbar gewesen. 

Der Wiesbadener Kriminologe Rudolf Egg hat in dieser Woche im Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags die Vorkommnisse der Silvesternacht neu eingeordnet und die Ergebnisse belasten Polizei und Landesregierung schwer. Denn Egg hat, wie die Welt berichtet, 1200 Anzeigen untersucht und sein Gutachten widerlegt Behauptungen der Regierung.

227 Anzeigen bereits an Neujahr 

Am 31. Dezember und 1. Januar seien bereits 227 Anzeigen eingegangen, so der Experte gegenüber der Welt. Das seien schon über 20 Prozent (insgesamt waren es 1580 Anzeigen) der Fälle gewesen. Zur Reaktion der Landesregierung sagt er: 

„Entweder ist es eine glatte Lüge, oder es stimmt etwas nicht mit den internen Kommunikationsstrukturen. Anders kann ich es mir nicht erklären.“

Und es geht noch weiter: In Eggs Gutachten zitiert er exemplarisch die Anzeigen der Frauen, welche nicht nur das hemmungslose Vorgehen der Täter, die meist in Gruppen von fünf bis 20 Tätern unterwegs waren, sondern auch das passive Verhalten der Polizei unterstreichen. Viele der betroffenen Frauen erzählen in den Protokollen von ihren Versuchen, die Polizei zur Hilfe zu holen und ihnen die Vorkommnisse glaubhaft zu machen. Ohne Erfolg. So reagierten die meisten Polizisten mit Zurückhaltung, Aussagen wie „Da kann ich nichts machen“ oder „Geht weiter, und fahrt nach Hause, ich kann euch nicht helfen“.

Das zögerliche Eingreifen der Polizei habe die Täter in der Ansicht bestärkt: „Heute ist alles erlaubt“, so der Kriminologe. Egg ist sicher: Mehr Polizei und eine frühere Abriegelung des Domplatzes und des Bahnhofsvorplatzes hätten die zahlreichen Übergriffe auf Frauen „wahrscheinlich verhindert“.

Egg hat in etwa 50 Anzeigen Hinweise darauf gefunden, dass die Polizei nicht eingegriffen hat. Frauen berichten in ihren Anzeigen unter anderem: 

„Die Polizisten, die wir angesprochen hatten, haben uns nicht geglaubt und auch nicht geholfen. Es waren drei Polizisten und eine Polizistin. Die haben sich das Ganze nur angeschaut und nichts getan.“

„Meine Freundin hat dann einen Polizisten angesprochen, der vor diesem Ausgang stand. Ich habe ihm geschildert, was mir passiert ist, und habe ihm auch die Männer gezeigt, die dies waren, denn sie waren noch vor Ort. (…) Deshalb habe ich ihn aufgefordert, hier einzugreifen, was er allerdings nicht getan hat. Er sagte zu mir persönlich: ,Da kann ich nichts machen.“

Von den insgesamt 1580 Anzeigen, die bei der Polizei eingingen, handelte es sich bei 46,8 Prozent um sexuelle Übergriffe, 17,2 Prozent davon standen in Verbindung mit Diebstählen. 

Haben Polizisten nicht eingegriffen?

Die Betroffenen berichten, dass sie den Diebstahl von Handy oder Geld meist erst später, nach den körperlichen Übergriffen, bemerkten. Die Protokolle der Frauen geben erschütternde Einblicke in die Nacht.

„Ich fühlte mich in dieser Nacht nicht wie ein Mensch, sondern eher wie ein Gegenstand.“ 

„Auf der Domplatte angekommen, wurden wir wirklich an allen Körperöffnungen unzählige Male berührt. Die Männer griffen uns zwischen den Schritt, an den Po und an die Brüste.“ 

In seinem Gutachten macht Egg deutlich, dass sich bei der Menge an Tätern nicht ein bestimmtes Tatmotiv identifizieren lasse. Er vermutet, dass „[…] unterschiedliche, möglicherweise auch wechselnde Motive – je nach Tatgelegenheit und Situation – bedeutsam waren“. 

Klar ist: Die Aussagen des Kriminologen bringen sowohl die Landesregierung als auch die Polizei deutlich in Erklärungsnot. Zum einem seien, so Egg, zu wenige Polizisten vor Ort gewesen und wenn, dann hätten sie den Anzeigen zufolge, oft passiv zugeschaut. Und bei der Anzeigenaufnahme, so Egg, hatten Polizeibeamte den Frauen teilweise vermittelt, an den Übergriffen eine Mitschuld zu tragen. Offen bleibt nach Eggs Gutachten nun vor allem, warum die Landesregierung angibt, erst am 4. Januar das Ausmaß der Übergriffe erkannt zu haben.

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