Immer mehr Leute nehmen eine Auszeit vom Job, um eine längere für Reise zu machen. Trotzdem sind dieses Auszeiten immer noch mit Vorurteilen belegt – und der Vorstellung, dass die Auszeitler auf der faulen Haut liegen.
Und wie lange bist du schon unterwegs?
Es gibt auf Reisen immer diese Momente, in denen jemand fragt, wie lange ich unterwegs bin. Gerade so geschehen vor ein paar Tagen. Neidisch bin ich, wenn andere mehr Zeit haben. Gut finde ich, wenn jemand auch nur für kurze Zeit das Weite sucht. Verwundert bin ich, wie neulich abends oder bei einem Vorstellungsgespräch vor ein paar Jahren, wenn jemand sagt: Also ich könnte das ja nicht, so lange nichts machen.
„Nichts machen. Ich mache nichts? Aber, aber, aber!“, schießt es mir durch den Kopf. „Ich mache doch nicht Nichts. Die Tage, Wochen, Monate sind verflogen. Es gab selten Langweile. Ich habe in den letzten Monaten sehr viel gemacht!“
Langzeitreisende liegen nur am Strand?
Die Vorstellung, dass Langzeitreisende ausschließlich auf der faulen Haut am Strand liegen, ist falsch. Reisende oder Backpacker sind keine Urlauber. Die meisten sind alle paar Tage an einem anderen Ort, und das bedarf einiges an Recherche, Planung und Organisation. Wie komme ich von A nach B? Wo übernachte ich? Was gibt es dort zu sehen? Und meist ist mit der Anreise an einen Ort die Frage verbunden, wie es danach weitergeht. Backpacker sind Recherche-, Organisations- und Logistiktalente.
Alles Langschläfer
Party all night long und dann den ganzen Tag in der Kiste verschlafen. So ist es nicht. Ich bin in den letzten Monaten bis auf ein paar Tage nie später als um acht oder neun Uhr aufgestanden. Das wäre in Deutschland deutlich öfter später gewesen.
Natürlich sitzt man abends zusammen, erzählt sich Reisegeschichten, die Erlebnisse des Tages, was einen gerade bewegt und geht aus. Aber meistens sind alle morgens früh auf den Beinen, unterwegs zur nächsten Aktivität, zum nächsten Reiseziel oder zum nächsten Ausflug. Und natürlich gibt es entspannte Tage an Strand, Seen, Flüssen oder in der Hängematte.
Mein Nichts der letzten Monate sieht ungefähr so aus: Ich habe sehr viel Spanisch gelernt, ein bisschen Französisch, ich habe lateinamerikanisches Tanzen trainiert, mich in und mit den Wellen rumgeschlagen, ich habe tausende Kilometer in Bussen gesessen, habe viele Menschen und ihre Geschichten kennengelernt, ab und zu ein Beratungsgespräch geführt, Einblicke in neue Länder und verschiedene Kulturen erhalten, einen Plot für ein Buch entwickelt und – ich habe meinen Blog aufgebaut, der mittlerweile mehr als 40 Beiträge umfasst.
Ich habe eine Lücke im Lebenslauf
Langzeitreisen werden hin und wieder als Unterbrechungen des geradlinigen und kontinuierlichen Berufslebens gesehen, a la: „Du hast eine Lücke im Lebenslauf.“ Auch der Ausdruck „Gap Year“, Lückenjahr, verstärkt den Eindruck, als wäre da ein großes schwarzes Loch. Für mich ist es keine Lücke, auch wenn es am Ende kein Zeugnis oder Zertifikat gibt, dass die neu erworbenen Skills schriftlich belegt. Trotzdem reist der Gedanke an die Heimkehr und das „Was kommt danach?“ immer mit.
Für den Lebenslauf oder das nächste Bewerbungsgespräch könnte ich das so zusammenfassen:
– Spanisch & Französisch gelernt
– Interkulturelle Kompetenzen erweitert
– Geschichtswissen ausgebaut
– Interkulturelle Kommunikation praktiziert
– Planung, Organisation und Durchführung von Reisen
– Improvisationstalent gesteigert
– Üben der Frustrationstoleranz
und so weiter…
Aber mal ehrlich! Wie genau kann man eigentlich eine Lücke im Lebenslauf haben? Es hört keiner auf zu leben oder zu erleben. Meine Lieblingsantwort auf diese Aussage „Du hast eine Lücke im Lebenslauf“ ist: „Ja, war geil“, auch wenn die im Original nicht von mir stammt.
Und übrigens – ich könnte auch nicht so lange Nichts machen.
Dieser Text erschien zuerst auf Anicas Blog. Wir freuen uns, dass sie ihn auch bei uns veröffentlicht.
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