Tabea Mußgnug hat ein ziemlich unterhaltsames Buch über Sinnkrisen im Studium und Fließbandbewerbungen nach dem Abschluss geschrieben.
Nächstes Semester wird alles anders
Tabea Mußgnug wurde 1987 geboren und studierte in Heidelberg Kunstgeschichte, Religionswissenschaften und Byzantinische Archäologie und kann die Frage „Und was macht man damit?“ nicht mehr so gut ertragen. Sie promoviert in Kunstgeschichte. Gerade ist ihr erstes Buch erschienen, in dem sie sich selbst, ihre Planlosigkeit und überhaupt den gesamten Unikosmos auf die Schippe nimmt. Wir veröffentlichen einen Auszug:
„Und für Ihre
weitere Zukunft alles Gute“
Irgendwann ist es ja rum.
Egal, wie viele Semester man drangehängt und wie oft man sein
Nebenfach gewechselt hat: Irgendwann ist der letzte Tag da. Extrem
enttäuschend war da vor allem mein Bachelor. Nachdem ich zehn Zacken
zu oft mit wässrigen Äuglein gerührt verfolgt hatte, wie Rory bei
Gilmore Girls an ihrem Abschlusstag im typisch amerikanischen
schwarzen Mantel und dem viereckigen Hut mit Bommel eine frenetisch
beklatschte Abschlussrede hält, war ich mir sicher, dass auch der
Tag meines Abschlusses ein fulminantes Erlebnis werden würde. Diese
Vorstellung wurde noch unterfüttert durch eine tatsächliche Feier
der Mannheimer BWL-irgendwas-Absolventen, die ich einmal mit besagten
Hüten durch Mannheim ziehen sah. Also so ein Hut hätte jetzt nicht
unbedingt sein müssen, aber halt irgendwie was Feierliches mit Reden
und Champagner und einem Zeugnis auf Büttenpapier in einer
cremefarbenen DinA3-Mappe hätte es schon sein dürfen.
Es wurde natürlich nicht
so. Es saßen einige wenige, die sich überhaupt die Mühe gemacht
hatten zu kommen, im zugigsten und unspektakulärsten aller Hörsäle
meines Institutes auf den Holzbänken, und in Windeseile wurden kurz
die Namen der Absolventen aufgerufen, die Zeugnisse ausgehändigt
sowie das Thema der jeweiligen Bachelorarbeit genannt, wobei der
Institutsleiter mehrfach in der Zeile verrutschte und so meiner
Freundin Nathalie beispielsweise eine Arbeit über den „Formschnitt
in Barockgärten“ zuordnete, was nur wenig mit ihrem tatsächlichen
Thema zu tun hatte: „Die Architektur des Münchner
Olympiastadions“. Immerhin reichte es zu einer Flasche Sekt, die
sich allerdings aufgrund eines dringenden Anschlusstermins des
Institutsleiters doch bitte jeder an der Tür aus dem Karton nehmen
sollte. Ich ging desillusioniert vom Platz und war froh, wenigstens
keine hohen Schuhe angezogen zu haben. Mein Masterzeugnis wurde mir
dagegen kommentarlos in einem vom Regen gezeichneten Umschlag
zugeschickt, und das fand ich sogar fast ehrlicher.
Im Alter auf jeden Fall eine eigene Wohnung
Inzwischen klinge ich oft
wie jemand, der mit dem realen Leben kaum etwas zu tun hat, das weiß
ich auch. Aber meine Dissertation neigt sich dem Ende zu, ich muss
also raus und vielleicht auch selber Geld verdienen. Mitte zwanzig
endet das Kindergeld, die Versicherung klopft an und will mehr Geld,
insgesamt sind sich alle einig, dass man in dem Alter auf jeden Fall
seine eigene Wohnung hat und sich die Versicherungssteigerung und das
wegfallende Kindergeld gut leisten kann, weil man ja schon arbeitet
und kreischend der langweiligen Freunde-Kochgruppe die
Tropenholz-Pfeffermühle für achtzig Euro vorführt.
Darum bewerbe ich mich
momentan, kaufe streberhafte Mappen mit Schuber in schwarz, rot, blau
und weiß und große braune Papierumschläge, bei denen der
Leck-Streifen nie so richtig hält und man deswegen erst genervt
draufhaut und dann versucht, die sich hochrollenden Ecken noch mal so
zu belecken, dass es einerseits besser klebt, aber andererseits nicht
das Papier drumherum voller peinlicher Spuckeflecken ist.
Beim Bewerbungsfotografen
war ich natürlich auch, in seinem semiprivaten Fotostudio drei
Altbauwohnungen weiter. Erst wollte ich keinen Blazer dafür
anziehen, weil ich nicht BWL studiert habe, genauso wie ich eine von
diesen Ich-arbeite-bei-der-Bank-Blusen abgelehnt habe, die so steif
sind, dass sie, wenn man die Arme erst schnell hebt und dann schnell
wieder runtermacht, große Luftpolster an den Schultern hinterlassen.
Der Fotograf hat mich trotzdem zum Blazer überredet und auch dazu,
meine Haare zumindest ein bisschen mit Klammern aus dem Gesicht zu
stecken. Es wurde also doch nicht das wild-unkonventionelle Bild mit
aufregender Lockenmähne, das ich mir vorgestellt hatte. Jetzt sehe
ich aus wie jeder andere, der sich ein bisschen anbiedert, weil er
kurz vor knapp auch auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist.
Schweineteuer sind solche Bewerbungsfotos, siebzig Euro habe ich
gezahlt für fünf Abzüge und eine CD. Und dann noch mal zwanzig
Euro im Copyshop für Ausdrucke des Lebenslaufs mit Foto, für die
man sich von der Qualität her nicht schämen muss.
Geklonte Lebensläufe
Lebensläufe sind etwas,
das bei jedem anders aussehen sollte, weil kein Leben gleich ist.
Aber wenn man die Lebensläufe von mir und meinen Freunden und auch
denen, die garantiert nicht meine Freunde sind, nebeneinanderlegt,
dann sind sie wie Hanni und Nanni: Schule, Abi, Work and Travel in
Australien, Abstecher Neuseeland, irgendwas studiert zwischen
Geschichte auf Lehramt und BWL mit Nebenfach Politik, Praktika,
Sprachscheine, Erasmus-Semester in Barcelona oder Stockholm,
Bachelor, Auslandspraktika, Master mit International drin. Personaler
zu sein, das könnte ich mir vorstellen, war mal interessanter als
momentan.
Ich habe ein spezielles
System für meine Jobsuche erfunden. Sie ist in drei Runden
aufgeteilt. Runde eins der Bewerbungen war die Phantasierunde. Ich
habe mich auf völlig hochrangige und extrem unwahrscheinlich zu
ergatternde Jobs beworben. Zum Beispiel bei der Vogue, bei Jung von
Matt, beim SWR und bei der Odenwaldschule und bei Salem als
Kunstlehrerin. Alles Stellen, die ich in einem Paralleluniversum
gerne hätte. Ich wollte es zumindest mal versucht haben. Außerdem
ist es ein surreales, aber gutes Gefühl, bei der Poststelle mehrere
illuster adressierte Umschläge abzugeben. Von der Vogue kam gar
nichts zurück, und das, obwohl ich in einer zugigen Märznacht
irgendwo in den Mannheimer Quadraten sogar einen gewissen Nico
kennengelernt hatte, Ganzkörper-bunt-tätowiert und mit interessant
gefärbtem Undercut, der sich mir als ehemaliger Vogue-Stylist
vorstellte und mir versprach, ein gutes Wort für mich einzulegen.
Zwei Stunden später tanzte er in Unterhose auf dem Tresen und ließ
sich dabei mit dem Gläserspülschlauch nassmachen. Mir hätte da
schon klar sein sollen, dass er sein Angebot morgen vergessen haben
würde. Naiverweise gab ich mich trotzdem bestimmt drei Wochen der
Vorstellung hin, bald einen kometenhaften Aufstieg bei der Vogue
hinzulegen und Anna Wintour persönlich zu sagen, dass ihre Haare
aussehen wie ein Helm.
Nächste Runde: Vernünftige Bewerbungen
Der Rest meiner
Phantasierunden-Bewerbungsempfänger schickte aber zumindest eine
artige Absage, und das war irgendwie schon fast egal, weil es schon
cool genug war, überhaupt einen Brief von Jung von Matt mit meinem
Namen darauf aus dem Briefkasten zu fischen. Salem, das muss ich
sagen, überlegte sich sogar tatsächlich eine Weile, mich
einzustellen, sagte dann aber letztendlich doch ab. Damit rückte
mein Dolly-Hanni und Nanni-Lebenstraum, einmal in einem Internat zu
wohnen, wieder in weite Ferne. Aber egal, ich hatte es versucht, und
ich kann diese Promi-Bewerbungsrunde sehr empfehlen.
Die nächste Runde waren
dann die vernünftigen Bewerbungen. Die auf ganz passable Stellen in
meinem Bereich, für die ich tatsächlich ausgebildet bin. Ich bewarb
mich bei der Staatlichen Schlösser- und Gärtenverwaltung, beim
Denkmalpflegeamt, beim Landesmuseum und kassierte eine Absage nach
der anderen. Momentan bin ich in Phase drei, das ist die
deprimierendste Runde. Ich bewerbe mich inzwischen auf
Teilzeitsekretärinnenstellen, auf befristete Projektstellen als
Studienberaterin diverser Hochschulen und sogar auf eine
Halbtagsstelle in einem Pflanzencenter. Bisher kamen, da bin ich ja
jetzt trainiert, nur Absagen. Eine Freundin von mir bekam letztens
sogar eine von Aldi als Kassenmitarbeiterin. Mit
Einser-Geschichts-Master.
Meine Mitbewohnerin Sarah
sucht seit einem Dreivierteljahr eine Stelle, mit einem
Eins-komma-Master in Global History und Germanistik,
Auslandssemester, Sprachscheine, einem Stipendium der
Studienstiftung, Praktikum beim Goethe-Institut sowie tatsächlich
vorhandenen und nicht nur behaupteten Typo 3-Kenntnissen. Die beste
Stelle, die ihr bisher angeboten wurde, wäre auf ein Jahr befristet
und mit 600 Euro brutto bezahlt gewesen. Mehrere andere hätten sie
sofort eingestellt – aber ohne Gehalt. Ich weiß nicht, was in
Leuten vorgeht, die selber Geld für ihre Arbeit bekommen, wenn sie
zu Leuten mit abgeschlossenem Masterstudium sagen: „Wir heißen Sie
in unserem Team willkommen. Von einem Gehalt müssen wir allerdings
leider absehen.“
Eine Hitliste der absurdesten Absagen
Ich selber habe mich erst
neulich auf ein Volontariat im Kulturressort eines Provinzblatts
beworben. Zurück kam eine unfassbar herablassende Mail: Ich hätte
zwar in Kunstgeschichte promoviert, allerdings fehle mir das
zusätzliche musikwissenschaftliche Studium, denn natürlich müsse
ein Volontär für eine Zeitung ihres Kleinstadt-Kalibers in beiden
Sparten auf höchstem Niveau beschlagen sein. Ob ich allerdings
Interesse an einem sechsmonatigen unbezahlten Praktikum hätte. Ich
war so wütend, dass ich im Geiste viele bissige Mails formulierte,
in denen ich süffisant schreiben wollte, dass man, um den Auftritt
des örtlichen Dorflaienchors richtig einordnen zu können, natürlich
schon am Konservatorium studiert haben muss, aber leider habe ich
keine einzige davon wirklich abgeschickt. An dieser Stelle darum eben
jetzt herzliche Grüße an Herrn Limburger.
Unter die Top 5 der
absurdesten Absagen kommt allerdings auch das Diakonische Werk. Dort
hatte ich mich voller Verzweiflung komplett fachfremd auf eine
Halbtagsstelle beworben, ohne natürlich jemals Kranke gewaschen oder
Omas mit dem Rollstuhl aufs Klo gefahren zu haben. Zurück kam
folgende Absage: „Sehr geehrte Bewerberin, leider können wir Sie
trotz ihrer reichen Berufserfahrung im pflegerischen Bereich und
ihrer vielfältigen Qualifikationen momentan nicht beschäftigen.“
Ich meine… es war mir schon klar, dass Absagebriefe standardisiert
werden, aber dass man zumindest vielleicht ein, zwei Versionen dieses
Standards hat, hätte ich schon erwartet.
Inzwischen bekomme ich
nicht nur Fließbandabsagen, sondern schicke auch
Fließbandbewerbungen weg. Ich kann mir nicht mehr merken, wo ich
mich überall beworben habe. Das führt dann zu solchen Telefonaten
wie neulich, als mich ein Mann von einer Firma, von der ich
geschworen hätte, sie noch nie gehört zu haben, anrief und meinte,
ich hätte mich bei ihnen zwar für einen Sekretärinnenposten
beworben, ob ich mir aber auch vorstellen könne, im
Autoteile-Zulieferbereich zu arbeiten. Konnte ich nicht. Ich konnte
auch später nicht mehr rekonstruieren, wann und warum ich mich
überhaupt dort beworben hatte. Am Anfang habe ich mir auch noch Mühe
mit dem Anschreiben gegeben, immerhin glaubte ich da noch, dass es
jemand lesen würde. Aber spätestens nach der Diakonie-Absage weiß
ich, dass sich die Mühe kaum einer macht. Darum schreibe ich
inzwischen einfach irgendwas. Ich habe drei standardisierte
Anschreiben verfasst – eins für kunsthistorische Stellen, eins für
journalistische und eins für sämtliche andere Bürostellen – und
modifiziere dann in den einzelnen Bewerbungen nur noch ein bisschen
mit dem jeweiligen Firmennamen, so dass es einigermaßen auf die
Stelle passt.
Zu viele Bewerbungen machen schludrig
Ich mache jetzt auch
Experimente, seit ich das Gefühl habe, sowieso nichts zu verlieren
zu haben. Letztens habe ich exakt dieselbe Bewerbung noch einmal an
das gleiche Lektorat verschickt, nachdem dieses dieselbe Stelle noch
einmal ausschrieb, für die ich schon einmal eine Absage bekommen
hatte. Einfach um zu gucken, ob es jemand merkt. Ich habe an eine
PR-Agentur, die einen Texterjob für „eine angemessene
Aufwandsentschädigung“ zu vergeben hatte, geschrieben, dass der
Mensch nicht vom Wort allein lebt. Weil ich so viele Bewerbungen
schreibe, werde ich langsam auch schludrig, anders kann ich mir nicht
erklären, wie von der Uni-Verwaltung Karlsruhe, bei der ich mich für
eine 50 Prozent-Stelle beworben hatte, folgender Brief kam: „Sehr geehrte
Bewerberin, um Ihre Bewerbung besser beurteilen zu können, bitten
wir um die Nachreichung des folgenden Dokuments: das Anschreiben.“
Ich hatte anscheinend eine leere Mail mit Lebenslauf- und
Zeugnisanhang verschickt.
Viele denken, man ist
selber schuld daran, wenn man halt Kunstgeschichte studiert, aber
seit ich einem Freund mit Einser-Master in BWL zugeguckt habe, wie er
ein halbes Jahr nach der Uni immer noch keinen Job hatte, weiß ich,
dass BWL auch nicht mehr der Heilige Gral der
Goldene-Zukunfts-Studiengänge ist. Wir sind einfach zu viele. Als
meine Mutter in der vierten Klasse war, bekamen außer ihr noch zwei
andere Kinder eine Gymnasialempfehlung. Alle anderen machten einen
Hauptschulabschluss, vielleicht sogar Realschule, und dann eine
Ausbildung zu irgendwas. Ohne Zukunftsangst, weil nämlich der
Großteil das genauso machte. Es war eben noch nicht so, dass mehr
als die Hälfte eines Jahrgangs sich zum Abi murkste und dann in die
Ausbildungsstellen und auf die Treppenstufen in den überfüllten
Hörsälen drängelte. In den letzten Semestern fingen jedes Mal
zuverlässig etwa fünfhundert Erstsemester in Heidelberg mit Jura
an. So viele Straftaten kann der arbeitslose Rest gar nicht begehen,
um all diese Juristen zu brauchen.
Wo ist die Grenze zwischen Idealismus und naiver Dummheit?
Trotzdem kann ich meine
Augen nicht davor verschließen, dass es schon auch mit an meiner
eigenen Studienentscheidung liegt, dass ich mich inzwischen auf
Drogeriemarkt-Aushilfsstellen bewerbe – und zwar erfolglos. Lange
habe ich mich an dieser Stelle mit meinem Idealismus geschmückt, der
mich eben dazu führte, nach Neigung zu studieren und nicht nach
Jobaussichten. Inzwischen frage ich mich, wo die Grenze zwischen
edlem Idealismus und naiver Dummheit liegt. Letztens unterhielt ich
mich auf einer Grillparty mit einem Bekannten, der
Wirtschaftsingenieurwesen studiert hat, als es hieß, das bräuchte
man dringend, und der jetzt seit einem Jahr sehr gut verdienend in
irgendeiner Firma irgendetwas tut. Er meinte, dass er immer gerne
Geschichte studiert hätte. Siegesgewiss fragte ich ihn, ob er das
inzwischen nicht bereue (Subtext: Bereue, dich schnöde an die kalte
Wirtschaft verkauft zu haben, du Bückstück!), und wartete auf
zerknirschte Worte. Er lachte und meinte, dass er einfach viele
Geschichtsbücher in seiner Freizeit liest, die er sich dank seines
Jobs auch selber kaufen und nicht in der Stadtbücherei ausleihen
muss. Ich fühlte mich den Rest des Abends wie ein begossener Pudel.
Es ist ja nicht so, als ob
ich keine Geschäftsideen hätte. Nach dem Bachelor wollte ich auf
jeden Fall raus in die Welt. Drei Jahre Uni reichten mir, jetzt
wollte ich etwas anderes sehen. Kurz vor Beginn der Bachelorarbeit
beschlossen darum Sarah, die ebenfalls gerade ihren Bachelor schrieb,
und ich, dass wir im Herbst einen eigenen Laden aufmachen wollten.
Wir wollten darin Fairtrade-Kleider verkaufen, die schön sind und
nicht öko oder sportlich aussehen, und dazu ganz süße
selbstgebackene Cupcakes servieren. Man merkt an unseren
Vorstellungen schon, dass es ein paar Jahre her ist, heute wären es
wahrscheinlich selbstgeschneiderte Kleider von Dawanda und Macarons.
Wir hatten auch schon einen Namen für unseren Laden, er sollte
Herzblut heißen, und wir stellten uns vor, wie wir als erfolgreiche
Jungunternehmerinnen in unserem florierenden Laden die Öffnungszeiten
nach unseren jeweiligen Privatleben-Ereignissen gestalten würden und
auch sonst wahnsinnig frei wären. Wir nahmen das sehr ernst und
schauten nach Anzeigen für mietbare Ladenflächen in der Altstadt,
denn unser Laden sollte selbstverständlich Dielenboden und hohe
weiße Decken haben. Dann kam der Tag, an dem wir mit unseren vielen
genialen Ideen in ein Unternehmensgründungsseminar der örtlichen
Industrie- und Handelskammer gingen. Ich kann nicht genau sagen,
woran es lag. An dem sehr langweiligen Vortragenden, der aussah, als
hätte er auch schon 1950 Vorträge über Gewerbesteuer gehalten,
daran, dass wir bis dato gar nichts von Gewerbesteuer gehört hatten,
oder an den vielen schrägen Gestalten, die mit uns in diesem Seminar
saßen und auch alle dachten, sie hätten die Idee ihres Lebens.
Jedenfalls waren wir auf dem Heimweg sehr still, und dann redeten wir
niemals wieder über Herzblut. Das ist die Geschichte, wie aus mir
dann doch jemand mit Master, aber ohne Altbau-Kleider-Café wurde.
Aus: Tabea Mußgnug: Nächstes Semester wird alles anders … Zwischen Uni und Leben! © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015, 208 Seiten, 9,99 Euro
Die Autorin fotografiert von Benjamin Bauer.
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