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Wie viel Geld sind 300 Euro? Über fehlende Empathie und Politik

Für die einen sind ein paar hundert Euro wenig Geld, andere müssen viele Monate auf eine große Anschaffung sparen. Diese Sensibilität fehlt im politischen Diskurs, findet Maja Tiegs.

 

Wie es ist, arm aufzuwachsen

Diese Woche las ich einen Text von einer jungen Frau, die als Gymnasiastin ohne guten finanziellen Hintergrund aufwuchs. Und in manchen Punkten konnte ich mich so gut in sie hineinversetzen!


Maja könnt ihr hier auf Twitter folgen.

Als ich auf dem Gymnasium in der Oberstufe war, ging es darum in der 13. Klasse auf Kursfahrt zu fahren. Natürlich sollte es schon ein bisschen spektakulärer sein, immerhin waren wir alle schon junge Erwachsene und die kann man nicht mit einem Trip in den Teutoburger Wald abspeisen. Malta wurde als Destination auserkoren. Der Preis sollte bei unter 400 Euro liegen. Für eine Woche Hotel und Flug war das auch vor über 10 Jahren ein Spottpreis, das ist schon klar. Und deshalb reagierten meine Mitschüler auch ziemlich verständnislos, als ich etwas verzweifelt anmerkte „Puh, das ist aber viel Geld!“.

„Das ist doch nicht viel Geld!“

Aber manchmal ist ein Betrag halt aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich hoch. Für jemanden mit gut verdienenden Mittelstandseltern und vielleicht noch einem Geschwister sind 400 Euro nicht viel.
Für jemanden wie mich, mit drei Geschwistern und einem Vater, der grade arbeitslos geworden war, für den schon. Am Ende flog ich selbstverständlich mit nach Malta und es war tatsächlich die erste und bisher einzige Flugreise. Aber eben nur, weil ich Zuschüsse vom Förderverein der Schule und von der Stadt bekam.

Szenenwechsel

Bundestagswahlkampf 2013. Ich sitze als Direktkandidatin der Piraten, bei denen ich damals noch Mitglied war, auf einem Podium. Anwesend sind – soweit ich mich erinnern kann – auch Kandidat*innen der CDU, FDP, SPD, Grünen und Linken. Die Diskussion findet in einem Berufskolleg statt, in einer Stadt die chronisch pleite ist und in der das Geld auch in der Bevölkerung nicht so richtig locker sitzt. Es geht um Studiengebühren und ob sie wieder eingeführt werden sollten. Ich merke an, dass sich viele Studierende ein Studium mit Studiengebühren doch gar nicht leisten können.

Es entspinnt sich ein Dialog zwischen mir und den Kandidatinnen von CDU und FDP.

„Wie hoch waren die Studiengebühren noch mal?“

-„500 Euro pro Semester!“

„500 Euro? Das ist doch nicht viel!“

„Nein, echt nicht so viel!“

-„Das ist nicht viel? Also wenn man Bafög bekommt und von dem Höchstsatz Wohnung, Lehrmittel, den Sozialbeitrag bezahlen muss UND dann noch mal monatlich was zurücklegen muss um halbjährlich 500€ zu bezahlen … wie soll man dann noch was zu essen leisten können?“

Der Punkt ging an mich und der tosende Applaus der Schüler*innen auch.

Sicher, die FDP-Kandidatin beispielsweise kann natürlich nichts für ihre Herkunft als Tochter von Juristen. Und auch, dass sie selber Juristin ist und vermutlich recht gut verdient, kann man ihr kaum vorwerfen.

Bei ihr passte auch nicht das „Aber im Bundestag verdient man eh so viel Kohle!“-Klischee, weil sie keinen aussichtsreichen Listenplatz hatte und wir wissen ja, dass die FDP damals aus dem Bundestag flog.

Trotzdem zeigt sich an dem Beispiel auch wieder: Sie und die Mitbewerberin von der CDU hatten einen ganz anderen Blick auf den Wert des Betrages als ich oder ein großer Teil des Publikums.

Aber, und das bemerke ich immer wieder, es ist ein Problem, wenn die große Politik vor allem von Menschen aus gut situierten Elternhäusern gemacht wird, die selbst oft schon seit langen Jahren im Bundestag sehr gut verdienen.

Wer wenig hat, ist seltener politisch aktiv

Mir liegt in diesem Zusammenhang Sozialneid fern. Aber klar, wenn man finanziell gut abgesichert ist, dann ist es einfacher sich politisch einzubringen. Herumzureisen und sich zu vernetzen. Geld in den Wahlkampf zu stecken, wie es von vielen Kandidaten erwartet wird. Deshalb sind die Aufstiegsmöglichkeiten für gut situierte Menschen in der Politik sehr viel besser als für Menschen mit weniger Geld.

So geht allerdings auch ein wichtiger Blickwinkel verloren, nämlich der von Menschen, für die ein Betrag von 300 oder 500 Euro viel Geld ist und die sich in Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen oder mit ihrem Bafög auskommen müssen, hineinversetzen können.

Auch im linken Diskurs (weil das natürlich eher meine politische Richtung ist) fällt mir das immer wieder auf. Dieser wird oft sehr akademisch und gehoben geführt. Menschen, die keine Akademiker sind, fallen da schon in der Diskussion schnell raus.

Oder um es drastisch zu sagen: Jemandem der mit der Grundsicherung auskommen muss oder auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hat, dem kann man mit klugen Karl Marx Zitaten nicht kommen, wenn am 12. des Monats kein Geld mehr auf dem Konto ist. Das bedeutet nicht, dass man Theorien und Ideologien grundsätzlich über Bord werfen sollte. Und auch nicht, dass Populismus das Mittel der Wahl ist.

Warum Empathie in der Politik so wichtig ist

Man kann nah an den Menschen sein, ohne an ihre niedrigen Instinkte zu appellieren, wie es Rechtspopulisten tun. Manchmal würde es schon reichen ihre Sprache zu sprechen und sich in sie hinein zu versetzen.

Eine soziale Schere muss man bekämpfen und man muss daran arbeiten, sie zu überwinden. Das muss auf mehreren Ebenen passieren und neben der finanziellen Ebene sind das eben auch Empathie und Sprache.

Das sind Dinge, die ich im Wahlkampf sehr vermisse und die auch dazu führen, dass ich mich von den großen Parteien, auch den eher linken, nicht mehr wirklich repräsentiert fühle. Weil ich den Eindruck habe, dass sie sich in das Leben von Menschen mit Existenzangst und Angst vor Altersarmut nicht wirklich hineinversetzen können oder wollen. 

Armut ist ein Thema, das viele Leute gerne ausblenden würden. Lieber unterstellt man Menschen Drückebergertum oder gleich latenten Rassismus. Und es macht mich so wütend, weil es Menschen wie meinen Eltern, die trotz eines langen Arbeitslebens unter denen die Gesundheit gelitten hat und der Lebensleistung vier Kinder zu anständigen Menschen erzogen zu haben, um ihre Existenz zu kämpfen haben, nicht gerecht wird. Und Leuten, die aus anderen Gründen weniger Geld haben, auch nicht. Man kann Menschen aus einer ärmeren Schicht nicht pauschal eine Geisteshaltung unterstellen. Und trotzdem spürt man an vielen Stellen halt immer das „Viele Kinder? Sind die zu doof zum verhüten oder wollen sie den Staat ausnehmen?“ entgegen. Egal, ob wir alle gewollt und geliebt sind.

Und auch deswegen tue ich mich mit meiner Wahl dieses Mal sehr schwer. Aber ich sehe ein, ich muss wählen. Denn es wird sich vielleicht nicht verhindern lassen, dass die Gedankenvergifter von der AfD in den Bundestag kommen, aber dann möchte ich doch mit meiner Stimme dazu beitragen, dass es nicht mehr Prozente als nötig für sie gibt. Denn: Politik muss näher an die Menschen heran, aber definitiv nicht „nah ans Volk“. Nationalismus ist für Existenzängste auch keine Lösung.

Dieser Text ist zuerst auf Majas Blog erschienen. Wir freuen uns sehr, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.

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