„Ich würde dich echt gerne kennen lernen!”, sagte ein
Fremder zu mir. Dabei blieb es allerdings nicht. Ich wollte meinen Beziehungsstatus eigentlich nicht nutzen, um aus solch einer Situation charmant hinaus zu kommen. Und tat es trotzdem.
Warum sprichst du mich an?
Vor einiger Zeit lief ich am späten Nachmittag durch die Fußgängerzone, recht zügig, wie ich es immer tue, wenn ich konkrete Erledigungen zu machen habe. Mit Handtasche um die eine und einem Jutebeutel um die andere Schulter schritt ich zielstrebig die Straße entlang, als ein junger Mann in meinen Blickwinkel trat. Er trug eine Brille, eine khakifarbene Hose und ich war mir unsicher, ob er mich ansah oder einfach ein wenig in die Ferne schielte. Als ich die paar Meter, die er von mir entfernt herumstand, aufgeholt hatte und eigentlich an ihm vorbeigehen wollte, blicke er mir ins Gesicht, lächelte und sprach mich an. „Entschuldigung!” Ich blieb stehen.
Wenn ich jedes Mal einen Euro bekommen würde, wenn ich von Fremden nach dem Weg oder einer anderen Auskunft gefragt werde, dann könnte ich mittlerweile bestimmt schon die ein oder andere Sache auf meiner Wunschliste abhaken. Irgendwie, vielleicht weil ich hilfsbereit aussehe und man weniger Hemmungen hat, mich anzusprechen, werde immer wieder ich nach etwas gefragt und zumeist lässt es mich dann auch mit einem zufriedenen Gefühl zurück, geholfen zu haben – aber nicht dieses Mal. Aber das konnte ich noch nicht wissen, als ich stehen blieb und freundlich und neugierig: „Ja bitte?”, entgegnete und inne hielt.
Wie weist man jemanden freundlich zurück?
Er grinste, sah kurz zu Boden, dann zur Seite, legte seinen Kopf in den Nacken und sah mir dann erst wieder ins Gesicht: „Das ist jetzt wahrscheinlich etwas komisch, aber…”, fing er an und ich ahnte Unangenehmes.
„Ich find’ du siehst echt gut aus und ich würde dich echt gerne kennen lernen!”
Stolz blicke er mich an. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Es ist fast immer schmeichelhaft, wenn jemand Interesse hat – obgleich ich es immer ein wenig seltsam finde, weil man doch nur das Aussehen und ansonsten noch kein einziges gesprochenes Wort des Gegenübers kennt. Gleichzeitig nehme ich sofort eine abweisende Haltung an, wissentlich, dass ich jemanden sagen muss, dass das Interesse nicht beidseitig ist.
„Ich glaube eher nicht, dass wir uns kennen lernen”, antwortete ich verlegen und fand sofort bescheuert, was ich gesagt hatte. „Und mein Freund fände es auch nicht sonderlich toll”, warf ich hinterher. Auch das noch. Mindestens genauso dämlich. Ich hatte mir vor längerer Zeit vorgenommen, nicht meinen Freund und meinen Beziehungsstatus zu nutzen, um aus solch einer Situation charmant hinauszukommen. Ich weiß von vielen Freundinnen, dass sie „Ich bin vergeben”, nicht nur als Ausrede, sondern auch einfach als Ausweg nutzen, weil sie um die davon ausgehende Wirkungskraft wissen, wenn sie kein Interesse an weiteren Unterhaltungen oder gar Annäherungsversuchen haben.
Warum reicht kein einfaches „Nein”?
Irgendwann wurde mir klar, wie doof ich das Konzept finde. Nicht, weil ich ein Feind von Ehrlichkeit bin, wenn man doch in festen Händen ist. Oder weil ich verlange, man sollte potentiellen Verehrern umgekehrt etwas vormachen, wenn man doch tatsächlich vergeben ist. Was mich stört, ist die Tatsache, dass oft erst das dazu führt, dass jemand von meinen Freundinnen ablässt. Als würde ihr „Nein, danke”, und „Ich habe kein Interesse”, das sie zuerst äußern und all die nonverbalen Signale nichts nützten, keine Bedeutung haben.
Wieso wird nicht akzeptiert, dass ich einfach nicht will, sondern erst dann, wenn klar ist, dass ein anderer Mann oder eine andere Frau im Spiel ist? Wenn es doch um mich geht, kann man eigentlich nicht ernsthaft glauben, dass ich plötzlich Bock hätte, wenn man mich drängt?
Und doch tat ich es dieses Mal. Ich nahm den einfachen Weg und war in diesem Fall ehrlich, weil ich wusste, dass es in der Regel effektiv ist: „Ich habe einen Freund.”
„Ah, du hast einen Freund?”
Der junge Mann mit Bartstoppeln und zerzaustem Haar stockte kurz, blickte dann aber nicht weniger stolz wieder in mein Gesicht, während ich bereits langsam weiter ging und entschuldigend lächelte. Und er. Er ging einfach mit und trottete mir hinterher: „Wie alt bist du denn?”, fragte er weiter. Ich merkte, wie unangenehm ich die Situation fand. Aber entschied mich schon wieder für den einfachen Weg: Antworten. „Vierundzwanzig.” „Ah, cool.” „Ich muss echt los”, warf ich ein und ging schneller, doch auch das ignorierte er und hielt weiter mit mir Schritt.
„Du bist vierundzwanzig”, wiederholte er und grinste mich fröhlich an. „Was glaubst du, wie alt ich bin?” „Keine Ahnung”, raunte ich genervt. Genervt von ihm und auch ein wenig von mir. Wenn ich doch fucking vier-und-zwanzig-Jahre alt bin, wieso kann ich mich nicht deutlicher äußern?
„Ich muss echt los und ich habe echt kein Interesse, sorry.”
Er schien es nicht zu hören und war nun bereits zwanzig Meter mit mir durch die Fußgängerzone gelaufen: „Rate doch mal, wie alt ich bin!” „Keine Ahnung”, raunte ich erneut und sah ihn an: „Ich hab doch gesagt, dass ich vergeben bin?” Ich war wütend, aber trotzdem langsam irgendwie nicht mehr sicher, ob er mir zugehört hatte. Hatte ich es vielleicht doch nicht gesagt?
„Ja, aber man kann sich doch trotzdem kennen lernen, ich kann ja ein bisschen mitgehen …” „Ich muss echt los und hab zu tun”, unterbrach ich ihn. „Was glaubst du, wie alt ich bin?” „Das interessiert mich nicht”, sagte ich und traf vielleicht endlich den Ton, den ich gleich am Anfang hätte wählen sollen. „Ich habe kein Interesse und wirklich zu tun.”
„Weiß du was!”, rief er, wechselte seine Position vom Nebenherlaufen, stellte sich vor mich und würdigte mich gleichzeitig keinen Blickes. „Wenn du so kein Bock hast, dann hab ich erst recht kein Bock auf dich.” Und endlich, endlich schien es, als würde er stehen bleiben. Unwillkürlich war die Anspannung weg. Ich war erleichtert, murmelte etwas von: „Na dann hat sich das ja jetzt erledigt” und zog von Dannen. Was blieb die Feststellung, wie lächerlich und seltsam ich die Situation gerade fand.
Ein „Nein” muss man einfach akzeptieren, Punkt.
Was für ein unfassbar seltsamer Idiot, dachte ich. In welcher Welt bekommt man denn jemanden mit dieser Methode rum? In welcher Welt ist es mein größtes Anliegen, sein scheiß egales Alter zu erraten? In welcher Welt, versteht jemand nicht die Signale, die ich glaubte, zu senden und das Desinteresse, das ich zeigte? Zumindest auf die letzte Frage ist die Antwort leider: In dieser. Und ich hinterfragte, ob ich mich irgendwie falsch verhalten hatte. Eigentlich finde ich es absolut richtig, dass ich nicht von Beginn an forsch und unfreundlich war, denn das war er ja auch nicht. Wenn jemand den Mut aufbringt, jemanden nach seiner Nummer oder ähnlichem zu fragen, so sollte man ihr oder ihm doch zumindest freundlich absagen, sofern man sie nicht heraus geben möchte, finde ich.
Würde ich jemanden fragen und derjenige würde mich sofort unfreundlich angehen oder gar auslachen, wäre ich vermutlich gekränkt und würde ihn für ziemlich arrogant halten. So weit fand ich also okay, was ich tat. Aber was war nun mit dem Vergebensein? In diesem Fall wurde es zwar nicht beachtet, doch zog ich dieses Karte ja erst, weil mir klar war, dass sie meist zu dem Ziel führt, das ich erreichen wollte, ohne dass es gemein ist.
Und wieder überlegte ich, wie ich mich fühlen würde, wenn mir jemand einen Korb gibt. Es ist niemals toll, wenn man eine Abfuhr bekommt, aber welche ist die sinnvollste, die ehrlichste? Was, wenn ich all meinen Mut zusammennehme und mein Interesse bekunde und ich dann „Ne, sorry, du bist mir nicht hübsch genug” oder „Ich bin zwar sehr verzweifelt auf der Suche, aber du bist die langweiligste und dümmste Person, der ich je begegnet bin” als Antwort bekommen würde. Selbst, wenn es der absoluten Wahrheit entsprechen würde, würde mir die Spucke im Halse stecken bleiben und ich wüsste nicht, was ich antworten sollte. Was wäre die beste Abweisung? „Du bist nicht mein Typ?”, oder ein „Ich bin vergeben” oder „Sorry, nicht auf der Suche”, auch wenn das gar nicht stimmt? Aber eigentlich sollte es doch gar nicht darum gehen, denn wenn ich äußere, dass ich kein Interesse an einem Kennenlernen habe, dann hat der andere das einfach zu akzeptieren. Egal, ob ich vergeben bin oder nicht. Ich muss mich nicht rechtfertigen. Punkt.
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