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Was Polyamorie mit Sex zu tun hat? Eigentlich nichts!

Der Begriff „Polyamorie” wird ziemlich inflationär für jegliche, nicht traditionelle Beziehungsform gebraucht. Aber was heißt es eigentlich wirklich, in einer Poly-Beziehung zu leben?

Debatten um vielfältige Beziehungsformen bereichern

Eigentlich freue ich mich über Erzählungen zu Poly- oder generell offenen Beziehungsformen, denn je mehr darüber gesprochen wird, desto offener werden wir dem Thema gegenüber hoffentlicht. Also freute ich mich auch über die jüngste Textempfehlung, die mich über einen Newsletter erreichte. Der Kurator empfahl den Text unter der Überschrift: „Polyamorie, Liebe, Quatsch und Freiheit”. Irritierend fand ich nur, dass er den Link zu dem Text: „Warum es okay ist, dass mein Partner mit anderen schläft” mit der Einschränkung teilte, dass er damit eigentlich nichts anfangen könne und entsprechend gleich noch einen Link zu einem Artikel mit dem Titel: „Lob der Eifersucht“ in der NZZ hinzufügte. Aber auf diesen komme ich später noch zurück. Zuerst zum Ausgangsartikel.

Um nicht missverstanden zu werden, ich mag den Text: Er erzählt die Geschichte von Maria und Jan, die einander „Freifahrtsscheine“ für sexuelle Begegnungen mit anderen einräumen und damit gut fahren. Die Story ist lebendig erzählt und mit kleinen fachlichen Einschüben eines „Experten“ unterfüttert. Sie dreht sich allerdings, wie so viele Reportagen zum Thema Polyamorie, fast ausschließlich um Sex – das Titelbild, ein Damenfußes mit Dessous, passt da gut dazu. Das porträtierte Paar erlaubt einander zwar Sex mit anderen, aber daraus dürfen sich keine Gefühle entwickeln. Es darf keine erneuten Begegnungen geben, nicht mal Kontaktdaten dürfen ausgetauscht werden. Soweit so gut, ich kenne solche Vereinbarungen auch in meinem Umfeld. Das kann sehr gut funktionieren.

Offene Beziehung ist nicht gleich polygam

Bereits der Untertitel wertet diese Beziehungsform als polygam. Und ab hier gehen die Begriffe durcheinander: Polygamie beschreibt nämlich genau genommen eine Vielehe („gamos“ = Ehe) und ist in Deutschland mit einer nicht geringen Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsentzug (§172 StGB) verboten. Und selbst wenn man den Begriff auf eheähnliche Gemeinschaften/Beziehungen dehnt, hat das nichts mit der beschrieben Situation zu tun, die Zweit- und Drittbeziehungen explizit ausschließt.

Nun gut, ist das dann also Polyamorie? Dieser glitzernde Begriff, der so durch die Lande und Online-Portale geistert und unter den auch dieser Artikel eingeordnet wurde. Streng genommen, nein! Allerdings hängt es, wie so vieles bei neuen Begriffen, von der Definition ab. In der Regel gehen polyamoröse Menschen davon aus, dass sie gleichzeitig mehrere Menschen lieben (wie es „amor“ anklingen lässt) können, was romantische Beziehungen (und auch Sex) in der Regel einschließt. Zentral sind das Einvernehmen und die Offenheit über alle Beziehungen. Oft wird von langfristigen Beziehungen oder zumindest dem Wunsch oder der Möglichkeit dazu ausgegangen.

Der Schwerpunkt liegt auf Liebe, nicht auf Sex

Ob schon die Öffnung einer Beziehung für reine One-Night-Stands bei Ausschluss weiterer Beziehungen, wie bei Jan und Maria, als Polyamorie zu werten ist, mag jede*r selber entscheiden. Ich wüsste übrigens sehr gern, ob Jan und Marie sich überhaupt als „poly” bezeichnen würden oder nur von einer offenen Beziehung sprechen. Im Artikel nutzen sie das Wort „Poly” selber nämlich gar nicht.

In jedem Fall steht ihr Modell ob inner- oder außerhalb der Definitionsgrenze
an einem Ende des bunten Kontinuums von Poly-Modellen. Für mich persönlich wären sie gerade noch Teil, weil ich die Offenheit, Ehrlichkeit und Transparenz als zentralste Elemente werte. Knapp außerhalb von Poly-Sein stehen damit für mich Vereinbarungen mit dem Grundsatz: „Don’t ask, don’t tell“. Auch solche Modelle mögen übrigens für viele gut funktionieren, aber es wäre eben nicht Poly im Sinne der erwähnten Charakteristika.

Ehrlichkeit ist unabdingbar

An anderen Enden des vielfältigen Poly-Bereiches stehen u.a. Beziehungsmodelle, in denen Menschen in partnerschaftlichen festen Netzwerken leben, zu zweit, zu dritt, zu viert oder sogar mit noch mehr Menschen und in denen z.B. alle einverstanden sein müssen, bevor jemand Neues in dieses Beziehungsnetz aufgenommen wird. Poly-Varianten können sein, dass romantische Beziehungen mit anderen zulässig sind, aber Sex dabei ausgeklammert wird oder nur bestimmte Spielarten zulässig oder untersagt sind. Enge, liebevolle WGs wären ebenso ein denkbares Modell. All das ist individuell zwischen den Beteiligten zu verhandeln. Und genau dies Verhandeln macht für mich Polyamorie aus, nicht die Frage, mit wie vielen Partner*innen ich Sex habe oder haben dürfte.

Ich begrüße Erzählungen darüber, dass Männer und Frauen Bedürfnisse haben, die nicht alle in einer Beziehung befriedigt werden müssen, denn ich bin überzeugt, dass wir uns mit solchen Vorstellungen des einen perfekten Partners/ der einen perfekten Partnerin allzu oft übernehmen. Ich finde es super, wenn Frauen, die Sex mit verschiedenen Partnern mögen, nicht als Flittchen, sondern selbstbewusste Personen präsentiert werden, wie es auch im besagten Artikel geschieht.

Der Begriff braucht Weite

Was ich aber kritisiere : Mit der Bezeichnung „Polyamorie” für dieses Arrangement wird ein facettenreiches, komplexes Konzept auf das Sex-Interesse seiner Vertreter*innen reduziert. Das ist, als ob wir bei Lesben davon ausgehen würden, dass sie Frauen nur lieben, weil sie mit ihnen schlafen wollen, anstelle davon auszugehen, dass sie andere Menschen, zufällig Frauen, lieben und deshalb vielleicht auch mit ihnen schlafen wollen.

Und nun noch einmal zur zweiten Leseempfehlung: Ich mag gar nicht alle Fehlschlüsse dieses Textes durchgehen, aber ich muss doch auf die hinweisen, die genau auf dem Missverständnis von Polyamorie als schlichter Erlaubnis zum Sex mit anderen basieren. Die Autorin verwechselt Poly, freie Liebe und ausschweifendes Sex-Leben und nimmt dazu Bezug auf Laurie Penny. Nur dass diese es ganz anders formuliert:

„Polyamorie ist not a euphemism for sleeping around. It´s just another way of organising life, love and who does the dishes.“

Ferner wirft die Autorin den Anhänger*innen vor, sich: „von der Eifersucht kurieren zu wollen, indem sie sich auf keinen wirklich einlassen“. Nur bedeutet Poly genau das Gegenteil: sich auf mehrere Menschen und Beziehungen einlassen zu können, übrigens ohne dass die Gefühle und Beziehungen zwangsläufig gleich sein müssen. Und ich kenne keinen Poly-Menschen, der glaubt, Eifersucht mit Polyamorie kurieren zu können, ganz im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit diesem unschönen Gefühl gehört zu fast jedem Gespräch über Poly-Leben, weil es eben zum Leben dazugehört. Aber Eifersucht erleben wir als ein Gefühl, dem man begegnen kann und dem man sich keineswegs schicksalshaft unterwerfen muss – weder in Mono- noch in Poly-Beziehungen.

Liebe braucht immer Respekt

Das Lob auf die Eifersucht endet mit: „Der Eifersüchtige dagegen bleibt den Gefühlen ausgeliefert, unterwirft sich ihnen, lebt für den Geliebten. Er kämpft um seine Zuneigung, bangt um seinen Verlust, opfert seinen Stolz, verliert seine Würde. Wer sich nicht einlässt, ist ein Tourist der Liebe. Ein Feigling.“ Nichts spricht in der Polyamorie dagegen, seinen Gefühlen zu folgen, für Geliebte zu leben und zu kämpfen, nichts verhindert, um ihren Verlust zu bangen und vieles ermutigt, Stolz zu überwinden. Maria und Jan machen es sogar vor. Aber mal ehrlich: Die Würde sollten wir uns doch bitte niemals, in keiner Beziehungsform, nehmen lassen!

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