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Präsenz-Fetisch: Wer am längsten im Büro ist, leistet am meisten?

Wer etwas im Job erreichen will, muss hart und lange arbeiten! Das zumindest ist immer noch unsere Idee davon, wie gute Leistung erbracht wird. Aber was ist da eigentlich dran?

Büro-Olympiade: Wer sitzt am längsten da und schreibt am schnellsten zurück?

Was macht besonders leistungsorientierte Mitarbeiter aus? Vielen kommt jetzt vielleicht das Bild eines Menschen in den Sinn, der jeden Tag frühstmöglich im Büro ist, und abends nicht gleich den Stift fallen lässt, nur weil theoretisch Feierabend wäre. Jemand, den man auch außerhalb der Bürozeiten ständig erreichen kann; jemand, der sich richtig reinkniet. Auch von bekannten Unternehmern oder CEOs wie Elon Musk, Indra Nooyi oder Tim Cook, die in Interviews sehr gerne über ihre „Erfolgsrezept“ sprechen, hört man viel von sehr frühem Aufstehen und sehr sehr langen Arbeitstagen. Klingt ja auch erst einmal logisch, denn wer viel Zeit investiert, hat auch mehr Zeit, viel zu arbeiten. Theoretisch zumindest, denn aus der Möglichkeit ergibt sich ja noch nicht, dass es auch tatsächlich so ist.

Und dennoch wird weiter beharrlich die Vorstellung von Leistung stark an Präsenz und an zeitliche Quantität geknüpft. Wird Menschen, die besonders gestresst noch bis spät abends vorm Rechner sitzen, vielleicht sogar „Allnighter“ einlegen, immer noch eher von Führungskräften anerkennend zugenickt, anstatt besorgt zu fragen, wo es eigentlich klemmt. Wieso aber scheint es so eindeutig, dass wer lange im Büro sitzt und immer erreichbar ist, wirklich am produktivsten ist? Vielleicht wurde nur falsch priorisiert, ist die Aufgabenverteilung ungleich oder es kommt jemand bei einer Frage nur nicht weiter. Mal ganz abgesehen davon, dass es auch kein Geheimnis ist, dass nicht jedes Teammitglied, das lange Zeit auf den Bildschirm starrt, auch permanent am arbeiten ist – manchmal werden stattdessen einfach Youtube-Videos geschaut, um nicht als Erste das Büro zu verlassen, obwohl man schon lange alles erledigt hat.

Das kommt gar nicht so selten vor – schließlich geht mit dem allgemeinen Verständnis von Leistung auch einher, Angst haben zu müssen, dass man andernfalls unterbeschäftigt und damit überbezahlt wirkt, oder aber faul, nicht  engagiert genug. Ein Täuschungsmanöver, das niemandem etwas bringt. Denn am Ende geht es nicht alleine um Beharrlichkeit, sondern um den Output.

Müdigkeit und Stress machen krank, aber sicher nicht produktiv

Vielleicht ist diese Vorstellung mit dem Traum davon verbunden, dass wenn man alles nur ausdauernd genug versucht, man alles erreichen kann und auch erreichen wird – vom Tellerwäscher zum Millionär. Ein rührendes Bild, das natürlich auch nicht ganz falsch ist – es ist nicht das Schlechteste im Leben, auch auf Fleiß zu setzen, wenn die Aufgaben sich türmen oder Großes ansteht. Das bedeutet aber im Umkehrschluss noch lange nicht, dass Fleiß und lange Arbeitsphasen automatisch zu den besseren Ergebnissen führen.

Möglicherweise hängt dieses einseitige Konzept von Leistung durch Stress und Ausdauer auch damit zusammen, dass das, woher diese Leistung kommt, messbar scheint: Zeit, Schweiß, Blut und Tränen. Das hört sich auch sehr viel lobenswerter und greifbarerer an als: „Die Idee ist mir zwischendurch so zugeflogen.“ Das Problem ist: Kreativität und auch Produktivität kann man eben nur schlecht an bestimmte Zeitfenster knüpfen. Ebenso wie man nur schwer auf Knopfdruck kreative Ideen entwickeln kann, kann man effiziente Phasen nur bedingt beeinflussen – das aber dann ganz sicher mit Ruhe und Freiraum, was ebenfalls nicht dazu passt, ständig erreichbar und greifbar zu sein.

Und einem Menschen, der dreiviertel seines Tages in ein und demselben Raum verbringt, wird es ganz sicher auch schwerer fallen, innovative Lösungen zu entwickel – denn was soll in diesem geschlossenen System denn die Synapsen anregen? Gute Ideen kommen schließlich in den seltensten Fällen alleine deshalb, weil man lange genug auf sie wartet. Dazu kommt, dass wer dauernd müde arbeitet, ausgelaugt ist, für Aufgaben in der Regel wesentlich länger braucht. Ob man dann wirklich einen Applaus dafür bekommen sollte, wenn man an diesen Tagen am längsten im Büro ausharrte?

Auch wer lange im Büro sitzt, leistet trotzdem manchmal nur so viel wie die Zimmerpflanze, die in der Ecke steht – doch war deshalb je jemand verführt, diese zur Mitarbeiterin des Monats zu küren?

Wer lange am Platz sitzt, leistet manchmal Großes und manchmal auch nur so viel wie die Zimmerpflanze, die in der Ecke steht – doch war je jemand verführt, diese deshalb zur Mitarbeiterin des Monats zu küren? Wohl kaum. Das gilt natürlich auch umgekehrt – nicht jedem reichen ein paar Stunden, um alle Aufgaben zu erledigen und nur weil die Work-Life-Balance dann stimmt, wird man nicht automatisch ein leistungsstarkes Teammitglied. Also was machen?

Wann zählen Ergebnisse, statt Zeitaufwand?

Die Lösung ist doch folgende, und denkbar einfach: Wenn Führungskräfte ihr Augenmerk mehr auf Ergebnisse als auf Präsenz legen und ständige Erreichbarkeit nicht automatisch mit einer höheren Loyalität verknüpfen würden, könnte für Arbeitnehmer endlich das flexible Arbeitsumfeld entstehen, das durch die Digitalisierung längst möglich wäre. Zudem ließen sich so in vielen Fällen Arbeitsstunden runterschrauben, ohne dass Unternehmen Angst vor Einbußen haben müssten – diverse Arbeitgeber machen das mit 5- bis 6-Stunden-Tagen ja bereits vor.

Maßnahmen, mit denen Arbeitgeber ganz sicher nicht nur zufriedener, sondern auch gesündere und motiviertere Mitarbeiter unter sich haben als durch das Beharren auf verstaubte Strukturen. Leistung muss neu gedacht werden, wenn wir eine bessere Arbeitswelt für alle haben wollen. Am besten beginnt man damit, Kontrollzwänge abzulegen, dann hat sich der aus Unsicherheit speisende Fetisch vom „harten Arbeiten“ sicher auch irgendwann mal erledigt.

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