Foto: flickr I Abi Porter I CC BY 2.0

Mehrere Jahre Kinderbetreuung zu Hause: Ist das ein Verrat an der feministischen Idee?

Helena und Noémi haben sich dafür entschieden, mehrere Jahre bei ihren Kindern zu Hause zu bleiben – und stecken dafür vor allem Kritik ein. Hier wehren sie sich, denn sie finden: Weibliche Selbstbestimmung sollte auch bedeuten, sich für Kinder und Familie und gegen eine Karriere entscheiden zu dürfen, ohne deswegen verurteilt und abgestempelt zu werden.

 

Die Kompetenzen der Frauen

Die meisten Frauen in unserer Gesellschaft, um die 30 Jahre alt oder auch jünger oder älter, sind gut ausgebildet, weltoffen, selbstbewusst und emanzipiert. Es sind Frauen, die ganz selbstverständlich in gleichberechtigten Partnerschaften leben. Frauen, die ihre Entscheidungen auf Grundlage dessen treffen, was sie ganz persönlich für richtig halten. Frauen, die sich ihrer Stärken und Schwächen, ihrer Fähigkeiten und ihrer Möglichkeiten in unserer modernen Gesellschaft bewusst sind und die die größte Ermutigung aus sich selbst holen können, wenn sie Motivation für ein Vorhaben benötigen. Frauen, die Netzwerke nutzen, die ihren Alltag organisieren und die ihr Leben selbst in der Hand haben.

Das biographische Dilemma beginnt mit dem Kinderwunsch

Diese Frauen haben es genau bis zu dem Zeitpunkt gut, bis sie Mütter werden. Auf einmal sind sie draußen, hinunter katapultiert vom Podest der Emanzipation. Jedenfalls dann, wenn sie sich dafür entscheiden, ihre Kinder in den ersten Lebensjahren selbst zu betreuen und auch danach möglichst viel für sie da zu sein. Sie haben sich ohne großes Zögern und vielleicht sogar noch vor der magischen 30 für Kinder entschieden und ihr berufliches Weiterkommen für einige Jahre auf einen der hinteren Prioritätenplätze verschoben. Der Partner verdient den Großteil des gemeinsamen Haushaltseinkommens allein. Zudem sind diese Frauen auch noch glücklich und zufrieden mit diesen Entscheidungen.

Ist die Frage nach den tiefen Bedürfnissen von Mutter und Kind Verrat an der feministischen Idee?

Von feministischer Seite wird ihnen jedoch regelmäßig suggeriert, dass sie sich da in ihrer Selbstwahrnehmung ganz gewaltig irren müssen. Ein Rückschritt, ein Verrat an der Frauenbewegung und ein selbstgeschaufeltes Grab sei ein solcher Lebensentwurf.

Denn gemeinhin wird von einer emanzipierten Frau erwartet, dass sie zunächst einmal ehrgeizig sein soll, was ihre Ausbildung und ihr berufliches Fortkommen betrifft. Dann, wenn sie ihren ersten gut bezahlten Job ergattert hat, darf frau sich so langsam der Kinderfrage zuwenden. Will ich eines (in der Mehrzahl wagt man das Wort gar nicht zu denken) oder nicht? Entscheidet sie sich für ein langjähriges Zögern, aus diversen Gründen, schlägt ihr sehr viel Verständnis entgegen.

Ein Kind bedeute ja schließlich, so liest und hört man in entsprechenden (Online-)Kreisen, in erster Linie Einschränkung, Mühsal, Erschwernis, verformte Körperteile, Flauten im Bett, finanzielles Risiko, Abhängigkeiten und Altersarmut. Ja, es gibt auch die rosaroten beziehungsweise hellblauen Seiten.

Die historischen Wurzeln der Angst vor dem „Mutter-Mythos“

Aber dass Kinder Freude und Glück bedeuten können, das ist eh nur eine einzige große „Mutterglück-Lüge“, Teil des „Mutter-Mythos“, gesponnen, um Frauen an den Herd zu fesseln. Die Frauen also, die sich vorerst für Kinder und gegen eine Karriere entscheiden, können eigentlich nur unemanzipiert, bequem und langweilig sein. Naiv und blauäugig tappen sie ganz allmählich in die umfassende Abhängigkeit vom Partner und in die sogenannte „Retraditionalisierungsfalle“.

Was für ein Schubladendenken, was für ein überholtes Klischee!

Der Feminismus hat einen wesentlichen Anteil der Frauen bisher komplett „vergessen“

Der Feminismus lässt einfach eine große Gruppe Frauen im Regen stehen und kümmert sich nicht um ihre Belange. Sein in Teilen festgefahrenes Weltbild engt Frauen in ihren Lebensentwürfen ein. Sollte man nicht viel eher für ein und dieselbe Sache kämpfen, nämlich für die echte Wahlfreiheit aller Frauen und Mütter, und sich gegenseitig zugestehen, in seinen selbstgewählten Rollen glücklich und zufrieden zu sein?

Weibliche Selbstbestimmung kann eben auch bedeuten, sich für Kinder und Familie und gegebenenfalls gegen eine Karriere entscheiden zu dürfen, ohne deswegen verurteilt und abgestempelt zu werden.

So manch’ ein „feministischer“ Mann vertritt neue, trotzdem Frauen einschränkende Rollenbilder

Übrigens gibt es auch immer mehr Männer und Väter, die sich gerne damit schmücken, feministisch zu sein und dabei gar nicht merken, wie sie die Frau, deren Rechte zu schützen sie vorgeben, mit (neuen) Rollenbildern wiederum einschränken. Nicht selten werden die Einwände seitens der Frau nicht ernst genommen, nach dem Motto: „Du weißt ja gar nicht, was du eigentlich willst und brauchst. Ich erklär dir das mit der Selbstbestimmung der Frau jetzt mal.“ Eine besonders ausgeklügelte Art von Sexismus in Form von „Mansplaining“.

Diese Männer halten Vollzeitmütter und deren Partner für rückständig und konservativ. So manche Frau muss sich sogar (und zwar unabhängig von den finanziellen Gegebenheiten) gegenüber ihrem Mann durchsetzen, um längere Zeit zu Hause bei ihren Kindern bleiben zu können.

Die Bedeutung der selbstbestimmten Mutterschaft

Die eigentliche Tragik dieser Situation ist, dass viele Frauen, die entgegen dem propagierten Mainstream mehrere Jahre zu Hause bleiben, sich mit ihrem Lebensmodell von der Gesellschaft und auch der Frauenbewegung außen vor gelassen fühlen und dass ihr Selbstwertgefühl deswegen leidet. Diejenigen, die das Dilemma erkennen, sehen sich selbst als Vorreiterinnen im Kampf für mehr Akzeptanz und selbstbestimmte Mutterschaft.

Es geht ihnen dabei sicher nicht um persönliche Befindlichkeiten. Sie wissen und akzeptieren sehr wohl, dass es Frauen gibt, die nach der Geburt eines Kindes nicht so gern beruflich zurückstecken, sondern sich die Kinderbetreuung und -erziehung lieber mit ihrem Partner und/oder öffentlichen Einrichtungen teilen möchten. Dennoch wissen sie ebenso gut, dass sie mit ihrem Wunsch, mehr Zeit und Ruhe für ihre Kinder haben zu wollen, ganz und gar nicht alleine dastehen. Nur äußern sich die wenigsten laut.

Ja, leider fühlen sich bisweilen sogar diejenigen angegriffen, die durch ganz banale finanzielle Umstände in den raschen beruflichen Wiedereinstieg gedrängt werden und überhaupt gar keine Wahl haben, sich über den Betreuungsumfang ihrer Kinder Gedanken zu machen. Genau dieses Dilemma darf keine Rolle mehr spielen.

Welcher Feminismus setzt sich für diese Frauen ein, ohne als einzige Lösung das Teilzeit-Eltern-Dasein parat zu haben? Welche Familienministerin sorgt endlich für echte Wahlfreiheit? Welche Gesetze unterstützen alleinerziehende Eltern besser? Warum werden 24-Stunden-Kitas eröffnet, anstatt Arbeitnehmer mit kleinen Kindern gesetzlich vor familienunfreundlichen Schichtdiensten et cetera zu schützen? Wann erfährt die Erziehungs- und Fürsorgearbeit zu Hause die verdiente Anerkennung und wird staatlich genauso unterstützt, wie Krippenplätze subventioniert werden?

Echte Wahlfreiheit für Familien braucht ein Umdenken des Staates

Eine Form von Erziehungsgehalt mit Rentenansprüchen würde auch dem Risiko der Altersarmut vorbeugen und gleichzeitig finanzielle Abhängigkeiten zwischen Elternteilen umgehen. Nicht zuletzt braucht es mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, um Frauen, die längere Zeit aus dem Berufsleben draußen waren, einen adäquaten Wiedereinstieg zu ermöglichen.

Es braucht Mut und einen frischen, modernen Blick auf das eigene Leben, um jeder Phase ihren nötigen Raum zu geben. Es braucht einen Feminismus, der auch auf die Kinder Rücksicht nimmt, die sich bei dieser ganzen Debatte nämlich gar nicht äußern können und deren Bedürfnisse viel zu häufig übergangen und marginalisiert werden.

Ein neuer Feminismus muss offen für alle selbstbestimmten Lebensmodelle sein

Es braucht einen Feminismus, der keine falschen Vorurteile und Schubladen gegenüber den Frauen bedient, die aus Überzeugung einen größeren Teil ihrer Lebenszeit dem gemeinsamen Leben mit ihren Kindern widmen wollen.

Frauen haben heutzutage die große Chance, frei wie nie ihr Leben gestalten zu können. Sie sollten sie nutzen! Sie sollten sich alle gemeinsam für jede Frau einsetzen, egal welche Lebenspläne sie verfolgt, ob sie kinderlos bleiben möchte oder sich eine Großfamilie wünscht, ob sie Top-Managerin werden möchte oder Vollzeitmutter.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Motherbook.  Weitere Artikel von und über Helena und Noémi sind hier zu finden.

Bild: flickr I Abi Porter I CC BY 2.0

Mehr bei EDITION F

Offener Brief an Katrin Wilkens: Dinkelkekse als Karrierekiller? Einmal Realitätscheck, bitte! Weiterlesen

„Warum stehen Mütter nie auf und sagen: Weißt du was – du kannst mich mal!“ Weiterlesen

Hausfrau werden? Kein Wunder, dass das wieder boomt! Weiterlesen

Anzeige