Manche Menschen über 30 prophezeien, dass der Freundeskreis mit den Jahren immer weiter schrumpft. Steht uns das allen bevor?
Hast du für mich Zeit?
„Passt dir nächsten Dienstag afterwork?“ Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich meinen Kalender zücken muss, um mich zu verabreden. „Nein? Dann Samstag, in zwei Wochen, zwischen 14 und 17 Uhr?“
Wer nicht zu meinen Engsten gehört, einen zu vollen Kalender hat oder zu weit weg wohnt, den sehe ich mitunter monatelang nicht. Zu Studienzeiten war das anders. Da gab es spontane Anrufe, kurzfristige Dates auf Eis oder Bier, WG-Parties. Jetzt ist Arbeit.
Und in meinem Freundeskreis macht sich eine leise Melancholie breit. „Wie schön war es, als wir alle noch so viel Zeit hatten.“ Jahrelang waren wir eine große Familie, jetzt sitzen wir zu oft allein im Büro, zu selten zusammen auf der Couch.
Mit dem Berufseinstieg verändert sich nicht nur die Zeit zwischen 9-to-5, sondern auch das Verhältnis zum Feierabend und Wochenende. Viele von uns empfinden plötzlich Freizeitstress. Proportional zum Wachstum des Kontostands sinkt die Zeit, über die wir frei verfügen können. Und damit auch unvermeidlich der Freundeskreis?
Allein ab 30?
Artikel wie „Is it just me… or does everyone lose friends in their 30s?“ weisen darauf hin. Autor Max Liu vom The Guardian erzählt im Text, dass er kurz vor der Hochzeit keinen Trauzeugen findet. Weil er keine eigenen Buddies mehr hat. Job, Freundin und Freundinsfreunde hätten ihn zu beschäftigt gehalten. Also beginnt er sich nach Jahren der Funkstille bei alten Freunden zu melden.
Ich möchte hoffen, dass es wirklich an ihm liegt. Denn ich will nicht mit 35 wie Liu vor Haustüren stehen und wegrennen, weil ich Angst davor habe, welcher neue, alte Mensch sich dahinter verbirgt.
Und doch weiß ich, dass es ein universelles Phänomen ist, dass der Freundeskreis mit den Jahren kleiner wird. Liegt es am Arbeitsleben? Ich habe den Psychologen Franz Neyer dazu befragt. Er ist Direktor des Instituts für Psychologie der Universität Jena und erforscht seit über 20 Jahren, wie Freunde den Menschen beeinflussen.
Arbeit sei kein Freundschaftskiller per se, erzählt er mir. Im Gegenteil: „Zunächst geht mit dem Eintritt ins Berufsleben ein Gewinn an sozialen Beziehungen einher. Man lernt ja neue Leute kennen, mit vielen entwickelt man auch persönliche Beziehungen und einigen auch Freundschaften. Es kommen eher Freundschaften hinzu, als dass es weniger werden.“
Erst einmal ein Plus also. Das beruhigt mich.
In der Jugend haben Freunde eine Funktion
Doch auch Neyer sagt, dass bei den meisten Menschen der Freundeskreis ab 30 kontinuierlich schrumpft. Das sei eine normale Entwicklung und „liegt daran, dass Freundschaften im jungen Erwachsenenalter eine andere Funktion haben.“ Sie bieten Orientierung und Selbstbestätigung. „Da geht es sehr stark darum, sich zu vernetzen, sich weiterzubilden oder sich auf neue soziale Rollen einzustellen, die später in der Familie, in der Partnerschaft, aber auch in anderen Lebensbereichen übernommen werden“, sagt er.
Wir brauchen Freunde also in jüngeren Jahren, um unseren Platz finden, die Welt zu ordnen. Irgendwann beginnen wir auszusieben – aus Zeitmangel und weil wir wissen, wer uns gut tut und wer nicht: „Je älter die Leute werden, umso stärker wählen sie zwischen den Personen im sozialen Netzwerk aus und achten sehr viel mehr auf die emotionalen Qualitäten von Beziehungen“, sagt Neyer.
Zum großen Teil sind wir also selbst verantwortlich für das Schrumpfen des Freundeskreises. Klar, es gibt Verluste, die wir nicht in der Hand haben. Manchmal kommt das Leben dazwischen. Aber wir müssen uns nicht vor einem Abwärtsstrudel fürchten, wir können dagegensteuern.
Weniger, aber enger
Freundschaft ist eine unendliche Geschichte. Bekannte Menschen gehen aus unserem Leben, neue kommen. Wir lernen sie nicht mehr im Hörsaal oder auf der WG-Party kennen, sondern beim Brunch mit alten Freunden oder auf Arbeit.
Für Viele wird die eigene Familie zum Lebensmittelpunkt. „Es tritt etwas Anderes an die Stelle des großen Freundesnetzwerkes, beispielsweise die intimen Beziehungen in der Familie mit den eigenen Kindern“, sagt Neyer. „Und über die Kinder lernt man wieder andere Leute kennen.“
Aber auch diejenigen, die keinen Nachwuchs wollen, stehen nicht plötzlich allein da. Dafür müssen wir allerdings alle selbst sorgen. Wer offen bleibt, lernt weiter neue Menschen kennen, die Freunde werden. Ob das andere Muttis, der Nachbar oder eine neue Kollegin ist.
Nicht das Arbeitsleben zerstört also Freundschaften. Prioritäten ändern sich, Freundschaften werden weniger und im besten Fall enger. Dass die wichtigen am Leben bleiben, liegt in unserer Verantwortung. Wir müssen sie pflegen und trotz Arbeitsstress Zeit freiräumen.
Selbst wenn es Samstag in zwei Wochen, für zwei Stunden ist.
Solltest du trotzdem an den Punkt kommen, an dem du neue brauchst oder die Nummer alter Freunde nicht mehr zu wählen wagst, findest du hier einen schönen Text von Elizabeth Bernstein im The Wallstreet Journal, über die Wissenschaft des Freundefindens.
Der Originaltext von Josefine Schummeck ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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