Im polnischen Parlament wurde eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in erstes Lesung angenommen. Kommt das Gesetz durch, werden Abtreibungen in Polen bald komplett verboten. Dagegen formiert sich zum Glück Widerstand.
Mehr als einen Schritt zurück
Schon jetzt hat Polen eins der strengsten Abtreibungsgesetze
in Europa. Nur dann, wenn eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der
Schwangeren besteht, es Hinweise auf eine schwere, unheilbare Erkrankung des
Fötus gibt sowie wenn eine Vergewaltigung oder Inzest zur Schwangerschaft
geführt haben. Der konservativen Regierung ist diese Gesetzesgrundlage aber noch nicht streng genug. Sie wollen ein fast komplettes Verbot von Abtreibungen durchsetzen. Schwangerschaftsabbrüche wären dann nur noch erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren unmittelbar bedroht wäre.
Vergangene Woche wurde das Gesetz durch das Bürgerkomitee: „Stoppt Abtreibung“ ins Parlament eingebracht und dort in erster Lesung angenommen. Neben der Regierung unterstützt auch die katholische Kirche, die in Polen sehr viel Einfluss hat, die rückständige Gesetzesinitiative.
Die Gesetzesinitiative löst große Proteste aus
Dass das Gesetz völlig gegen die Lebensrealität und die Wünsche von polnischen Frauen geht, zeigen die Proteste, die der Gesetzesentwurf ausgelöst hat. Seitdem die Verschärfung des ohnehin schon strengen Abtreibungsgesetzes im Raum steht, gibt es in Polen, aber auch an vielen anderen Orten der Welt, wo sich solidarisiert wird, Proteste. Gestern gipfelten diese in einem Streik. Frauen aus ganz Polen legten am sogenannten „Black Monday“ ihre Arbeit nieder, um gegen das geplante Verbot auf die Straße zu gehen. Viele von ihnen kamen symbolisch komplett in schwarz. An den Protesten nahmen über 100.000 Menschen allein in Polen teil.
Wie wichtig diese Proteste sind, zeigen die Konsequenzen, die eine Verschärfung mit sich bringen würde: Sollte das Gesetz tatsächlich durchkommen, könnten in Polen in Zukunft sowohl Ärzte, die Abtreibungen durchführen, als auch die Schwangeren selber mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
Waren wir nicht schon weiter?
Amnesty International bezeichnete den Gesetzesentwurf als „gefährlichen Rückschritt für Frauen und Mädchen in Polen“. Nur noch sechs Länder auf der Welt besitzen ein komplettes Abtreibungsverbot, das Polen mit der Gesetzesinitiative faktisch anstrebt: Der Vatikan, Malta, Chile, die Dominikanische Republik, Nicaragua und El Salvador. Berichte aus diesen Ländern zeigen immer wieder, dass ein Abtreibungsverbot nicht etwa dafür sorgt, dass es weniger Abtreibungen gibt, sondern das Schwangere sich in große Gefahr begeben müssen, um illegal eine Abtreibung vornehmen zu können. In Ländern, in denen Fachfremde oder gar Frauen selbst versuchen abzutreiben, sterben immer wieder Schwangere an den Folgen des Abbruchs. Wie kann ein Land, das in seiner Gesetzgebung eigentlich schon weiter war, einen solchen gesetzlichen Rückschritt ernsthaft in Erwägung ziehen, der nicht nur Freiheiten untergräbt, für die Frauen jahrzehntelang gekämpft haben, sondern Schwangere auch wieder Gefahren aussetzt, die das moderne Europa längst überwunden zu haben schien?
Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen in Polen, wird einem einmal mehr bewusst, wie fragil das Recht auf Selbstbestimmung für Frauen immer noch ist. Auch deswegen ist es wichtig, dass Frauen und Männer überall in Europa den
Protest in Polen unterstützen und, so wie gestern zum Beispiel auch in Berlin
und Paris, auf die Straßen gehen. Denn, wenn eine Regierung in einem europäischen Land das Recht auf Selbstbestimmung der Frau gefährlich beschneiden möchte, betrifft uns das alle.
In Paris solidarisierten sich Protestierende mit den Demonstrantinnen in Polen.
Quelle: Lydia Gall – Twitter
Und auch in Berlin kamen viele Demonstranten zusammen. Quelle: Julia Damphouse – Facebook
Update, 06. Oktober 2016: Die Proteste scheinen tatsächlich etwas bewirkt zu haben: Nach dem der polnische Justizausschuss bereits gestern empfahl, die Gesetzesinitiative abzulehnen, hat das Parlament dies nun tatsächlich getan. In zweiter Lesung stimmten nun 352 Abgeordnete gegen das angestrebte Komplettverbot.
Auch, wenn das eine gute Nachricht ist, gibt es kaum Grund zur wirklichen Freude: Schon jetzt hat Polen eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Daran, dass Frauen nur abtreiben dürfen, wenn sie vergewaltigt wurden, das Leben der werdenden Mutter in akuter Gefahr ist, oder das Kind eine schwere Behinderung haben wird, ändert sich nichts.
Mehr bei EDITION F
Abtreibung per Drohne. Weiterlesen
Jetzt auch in deiner Apotheke: Die „Pille danach“ ist endlich rezeptfrei. Weiterlesen
Angelina Jolie: „Gewalt gegen Frauen wird immer noch als unbedeutendes Verbrechen betrachtet“ Weiterlesen