Die neuesten Zahlen der AllBright-Stiftung zum Frauenanteil in den Vorständen der börsennotierten Unternehmen zeigen: Männer besetzen frei werdende Posten weiterhin am liebsten mit Männern – und vielen ist die Stagnation nicht mal peinlich.
Thomas, weiß, männlich, Mitte Fünfzig: Das ist weiterhin der Prototyp für ein Vorstandsmitglied eines großen deutschen Börsenunternehmens. Mittlerweile ist die Sache mit Thomas ein Running Gag, wenn es um den niedrigen Frauenanteil in den Vorständen börsennotierter Unternehmen in Deutschland geht. Die AllBright-Stiftung teilt mit: Thomas ist, wie auch in den Vorjahren, der am häufigsten vorkommende Name in den Börsenvorständen. Der Frauenanteil liegt dagegen derzeit gerade mal bei 13,4 Prozent. Ein Grund dafür: Ein Thomas rekrutiert weiterhin lieber einen anderen Thomas als eine Sabine.
Und was ist mit jungen Unternehmen und vermeintlich innovativen Start-ups, die neu an die Börse gekommen sind? Wer die Hoffnung hatte, dass diese Unternehmen neue Führungsstrukturen und einen besseren Blick für Diversität in den Kreis der börsennotierten Unternehmen tragen würden, wird enttäuscht. Das Gegenteil ist der Fall: Die Firmen-Neulinge ziehen den Frauenanteil in jedem Jahr weiter nach unten, berichtete die Allbright-Stiftung bereits im Juni.
Gleichberechtigung und Diversität noch in weiter Ferne
Die deutsch-schwedische AllBright-Stiftung setzt sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft ein. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr die Vorstände und Aufsichtsräte der 160 Unternehmen aus dem DAX30, MDAX und SDAX genauer unter die Lupe zu nehmen und den Frauenanteil zu messen. So auch wieder in diesem Jahr, bei dem die Stiftung den Stand vom 1. September 2021 in ihrem gerade veröffentlichten Bericht ausführlich darstellt.
Am 20. September 2021 (nach dem Stichtag für den Bericht der AllBright-Stiftung) wurde der DAX um zehn Unternehmen erweitert. Die Hälfte der neuen DAX-Mitglieder hat keine Frauen im Vorstand (Brenntag, HelloFresh, Porsche Automobil Holding, Sartorius und Symrise). Damit sinkt der Frauenanteil im neuen DAX40 im Vergleich zum DAX30. Da die Unternehmen, die vom MDAX in den DAX gewechselt sind, einen höheren Frauenanteil im Vorstand hatten (14 Prozent) als der MDAX insgesamt (12,5 Prozent), sinkt mit ihrem Weggang auch der Frauenanteil im MDAX. (Quelle: AllBright-Stiftung)
2020 war der Frauenanteil in den Vorständen der 30 DAX-Unternehmen nicht wie in den Vorjahren angestiegen, sondern war auf den Stand von 12,8 Prozent von 2017 zurückgefallen. 2021 gab es einen leichten Anstieg auf derzeit 13,4 Prozent. Und 2021 verzeichneten die 160 börsennotierten Unternehmen immerhin den bislang größten Zuwachs an Frauen in Vorständen. Hört sich eigentlich gut an, aber wer genauer hinschaut, merkt, dass die Unternehmen von Gleichberechtigung und Diversität in Führungsebenen noch weit entfernt sind. Mehr als die Hälfte aller Börsenunternehmen hat nach wie vor keine Frau in der obersten Management-Ebene. Das Traurigste daran: Die Börsenunternehmen sind gesetzlich verpflichtet, feste Zielgrößen für die Steigerung des Frauenanteils festzulegen. Die „Zielgröße Null“ – also null Frauen im Vorstand anzustreben – haben noch immer 37 Unternehmen für sich festgelegt. Von den restlichen 79 Unternehmen mit Frauen haben 68 Unternehmen jeweils nur eine einzige Frau im Vorstand.
Betrachtet man das durchschnittliche Veränderungstempo der vergangenen fünf Jahre, würde es hochgerechnet noch 26 Jahre dauern, bis in den Vorständen genauso viele Frauen wie Männer arbeiten. Auch im internationalen Vergleich hängt Deutschland hinterher. Vergleicht man den Frauenanteil der jeweils 30 größten Unternehmen, ist die USA mit 31,1 Prozent an der Spitze, gefolgt von Großbritannien mit 27, 4 Prozent und Schweden mit 27,1 Prozent. Deutschland kommt nur auf 18,2 Prozent. Die Frage, die sich aufdrängt: Findet in Deutschland wirklich ein Wandel statt, wie in den anderen westlichen Industrieländern, oder bleibt es oft bei einer „Alibi-Frau“?
Bleibt es bei der „Alibi-Frau“?
„Unternehmen sollten sich jetzt nicht zurücklehnen und hinter einer ,Alibi-Frau‘ verstecken“, sagen Wiebke Ankersen und Christian Berg, Geschäftsführer*innen der AllBright-Stiftung. „Es geht um eine Richtungsentscheidung. Wie auch bei der Digitalisierung braucht es hier einen Aufbruch, der die deutsche Wirtschaft voranbringt, und dazu braucht es einen deutlich höheren Frauenanteil in den Vorständen.“
„Unternehmen sollten sich jetzt nicht zurücklehnen und hinter einer ,Alibi-Frau‘ verstecken.“
Laut Internationaler Arbeitsorganisation lässt sich ab einem Anteil von mindestens 40 Prozent des jeweiligen Geschlechts von einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis sprechen. An der deutschen Börse ist das bei keinem der 30 großen DAX-Unternehmen der Fall. Allerdings könnten die deutsche Telekom und Daimler mit jeweils 38 Prozent ab Ende dieses Jahres in die Nähe des Grenzwertes kommen.
Wie geht es weiter?
Wie also können mehr Unternehmen, auch große DAX-Unternehmen, mehr Diversität und Gleichberechtigung in ihren Führungsebenen erreichen? Es könnte so einfach sein: Jedes Jahr werden rund 100 Vorstandspositionen in den 160 Börsenunternehmen neu besetzt. Jede dieser Positionen, die wieder mit einem Christian oder einem Thomas besetzt wird, ist eine vertane Chance.