Die Welt der Technik und Industrie ist immer noch stark männerdominiert. Wer hier als Frau aufsteigen will, muss die Spielregeln kennen und mit diesen virtuos umgehen.
„Ich musste mich daheim als Kind nicht für Puppen
interessieren, wenn ich Tracktorfahren, Technik und andere Umgebungen
spannender fand als das Puppenhaus. Und ich erinnere mich, dass ich mir damals
schon dachte, dass Kerlen interessantere Lebensperspektiven angeboten werden“,
erklärt die 59-Jährige Marianne Hertle, die es immer auf die Entscheidungsebene
gezogen hat. Heute ist sie technische Managerin beim Elektrotechnik-Unternehmen
Riempp.
„Heute hätte ich wahrscheinlich Ritalin bekommen“
Sie war in einem katholischen Dorf in
Baden-Württemberg aufgewachsen. Dort war es eher ungewöhnlich, mit den Jungs
unterwegs zu sein und schon als junges Mädchen die vielen Tageszeitungen und
den „Spiegel“ ihrer Eltern zu lesen. „Heute würde man mich mit Ritalin
ruhigstellen. Ich konnte einfach nicht still sitzen und war in der Schule
entsprechend schrecklich. Doch mein Abitur habe ich hingekriegt“, sagt die
energiegeladene Frau, die anschließend technische Betriebswirtschaft studierte.
Noch während des Studiums wurde sie ungeplant, aber nicht ungewollt, schwanger.
„Das waren sehr schöne Jahre, aber finanziell nicht immer einfach“, sagt die
Alleinerziehende im Nachhinein. Gott sei Dank habe sie ein gutes Immunsystem.
Keine Kumpelqualität
Und sie weiß auch warum: „Wäre ich ein Mann, käme
nach dem ersten Eindruck die Phase der Kumpelei, wo man gemeinsam Witze reißt
und etwas trinken gehen kann. Das hilft den Kerlen über eventuelle Anfangs- und
Einlernprobleme hinweg.“ Diese Kumpelei funktioniere zwischen den wenigsten
Frauen und Männern im Beruf, wenn sie sich noch kaum kennen. Nach vielen
gemeinsamen Arbeitsjahren schon, doch nicht am Anfang, ist Hertles Erfahrung.
Mit einem ihrer Vorstände geriet sie in einen
Zwist und kündigte drei Jahre später. Ob sich der Streit zwischen Männern
einfacher hätte lösen lassen? Kann gut sein. Denn vor allem, wenn die
Geschlechter unterschiedlich sind, verstehen sich Menschen schnell falsch. Doch
ihren Kopf durchsetzen wollen entscheidungsstarke Frauen genauso wie Männer.
Hinein in die Technik
Heute vertreibt sie für Friedrich Riempp ein
Produkt für Industrieunternehmen, mit dem sie Energie sparen können. „Das
emsyst 4.0 ist elektotechnisch eine Herausforderung für Laien. Es macht mir
Spaß, mich hineinzuknien, doch ich brauche viele praktische Detaileindrücke von
den Anwendungen, um schnell zu lernen“, erklärt Hertle ihren neuen
Arbeitsalltag. Deshalb ging und geht sie auf so viele Baustellen und
Unternehmensbesuche mit wie möglich. Ihr Arbeitgeber macht den
Elektronik-Service von Industrieunternehmen und spart mit dem Energiesystem
manchen Kunden 50 Prozent der Druckluftkosten in der Produktion ein.
In dieser Branche ist sie erst recht allein unter
Rüden. Kaum ein Industrieunternehmen hat eine Produktionsleiterin oder gar eine
Geschäftsführerin. Die Arbeit mit den Männern sei gut, doch sie sei eine große
Freundin gemischter Teams. Also mit möglichst gleich vielen Frauen wie Männern
am Tisch. „Der für Mann wie Frau anstrengende Teil, wenn man nur mit Männern
arbeitet, ist der Umgang mit Schwächen und Stärken“, analysiert sie.
Für Ausgleich sorgen
Für Hertle ist es entscheidend, für einen
Ausgleich im Leben zu sorgen: Sie kocht, konsumiert in der Freizeit keine
Medien, ist viel in der Natur, genießt Stille so oft es geht und geht vor allem
jeden Morgen um fünf Uhr joggen. Das sei nur für die Psychohygiene, sagt sie.
Das auf Profilieren getrimmte Denken in der
Managementebene passt immer weniger zu ihrer Denkweise. Insbesondere seit sie
2014 eine Ausbildung zur Hospizhelferin gemacht hat. Seither weiß sie nicht
mehr nur in der Theorie, wie stark Menschen sind und wirken, wenn sie alle
Schwächen zeigen. „In dieser verletzlichen Situation umgibt die Sterbenden eine
unglaublich mächtige und ehrbare Aura. Es ist das Größte, diesen Menschen
helfen zu dürfen“, sagt Hertle, die am Wochenende ihrem viertstündigen
Hospizdienst nachgeht.
Der Spaß daran, Dinge zu bewegen, ist unabhängig
vom Geschlecht. Nur die Art der Machtkultur und das gesellschaftliche Drumherum
ist anscheinend anders. Riempps Vertrieblerin und Produktmanagerin freut sich
darauf, wenn es künftig mehr gemischte Teams mit Männern und Frauen auf
Augenhöhe gibt.