Foto: Ernest Brillo/Unsplash

Will ich wirklich meine Herkunft entschlüsseln? Ich glaube, es ist an der Zeit!

Muss ich einen Gen-Test machen, um zu wissen, wer ich wirklich bin? Das fragt sich Anne Philippi diesen Monat in ihrer Kolumne „My Superficial Self“.

Gentest „just for fun“

„Mach es doch“. „Ich fand es super“. „No big deal“. Das sagen Leute um mich herum, die einen dieser neuen DNA-Tests wie „MyHeritage“ gemacht haben. Mit diesem Test kann man seine ethnische Herkunft ermitteln lassen und neue Verwandte finden, wenn man das möchte.

Die Verkaufszahlen solcher „Just for Fun“-Gentests explodieren gerade. Mehr als 26 Millionen Menschen weltweit haben den Test bisher gemacht. „The genetic genie is out of the bottle“, heißt es im „MIT Technoloy Review“. Warum auch nicht, der Test ist billig (um die 60 Euro) und zuverlässig, eine Art Tech-Kinder-Überraschungsei: Mal schauen, was drin ist, dann wieder weglegen. Warum sind wir derzeit so gierig nach einem Ergebnis, einem neuen Spiegel unseres Selbst? Unsere alten Sicherheiten zählen nicht mehr: Erziehung, Umfeld und eigener Wille. Klingt alles zu analog. Das waren doch immer unsere Bausteine, auf denen wir unser Menschenmodell gebaut haben. Jetzt aber reicht uns das nicht mehr, wir wollen mehr. Und ich will es auch, weil ich es eben erfahren kann.

Eigentlich bin pro Geheimnis, das war immer meine Haltung. Doch seit ich von dem Test gelesen habe, will ich wissen. Alles. Ich glaube ohnehin nicht mehr an echtes Verschlüsseln. Irgendjemand entschlüsselt, leaked, findet heraus. Und postet. Und so wird es auch mit dem Test sein. Irgendwann will ich wissen, woher meine Geheimnisse kommen. Und was an all den „Psychic“-Wahrsagereien der letzten Jahre in Amerika dran ist.

Und die Antworten haben nichts mit Psychologie und Kultur zu tun. Es geht um das Gen, mein Gen. Es gehört mir.

Wo gehöre ich wirklich hin?

Ich habe letztendlich nur eine Grundpanik, wenn es um den Test geht. Der andauernde Zweifel, bis hin eben zur Panik, ob ich überhaupt irgendwo hingehöre, könnte neu geschürt werden. So ein Test könnte mich zunächst empfindlich zurückwerfen. Ich müsste bei Null anfangen mit der Dazugehörigkeitsgefühlsarbeit. Denn es fällt mir jetzt schon extrem schwer zu glauben, dass ich an dem Ort, an dem ich lebe, wirklich zu Hause bin. Würde das Ergebnis eines solchen Tests mich dazu bringen, anderswo leben zu wollen? Ich bin der Typ, der sich in Hotelzimmern am wohlsten fühlt, zumindest drei Tage lang. Ich steigere mich über Nacht in Fantasien hinein, das Land, in dem ich gerade lebe, wieder zu verlassen. Meine Freund*innen und meine Familie haben es aufgegeben, das zu verstehen. Mir rutscht meine Identität sehr leicht weg.

Nach sechs Jahren in Los Angeles habe ich das, auch ohne Test, gemerkt. Ich sprach 20 Prozent Deutsch und 80 Prozent Englisch, fühlte ich mich in der Ferne überhaupt nicht deutscher und ich vermisste auch das berühmte Schwarzbrot nicht. Ich war eine andere Person, wenn ich Englisch sprach. Ich fühlte mich freier, mutiger, irrer, im positiven Sinn sogar emotionaler. Ich sagte die Dinge ohne Angst. Und das ist bis heute so, obwohl Englisch nicht meine Muttersprache ist. Es gibt Studien, die sagen, dass Menschen in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, unmoralischer, bedenkenloser denken, sprechen und letztendlich handeln. Sprache macht uns zu jemand anderem, aber vielleicht zu jemandem, die*den wir als Fantasie von uns selbst in uns tragen. Wäre das ein schönes Gefühl? Ohne Fantasien? Der Test könnte meine Befreiung bedeuten. Im Testergebnis würde dann Schwarz auf Weiß stehen, wer ich bin. Ein paar Tropfen Spucke bestätigen alles.

Kein Therapeut kann dieses „etwas“ knacken

Trotzdem, so ein Test kann ein echter „Game Changer” sein. Was ist, wenn plötzlich die halbe Familie doch aus Transsilvanien stammt? Oder Eltern nicht die Eltern sind? Aus „just for fun” kann also Sprengstoff für das eigene Leben werden. Ich habe mir ein paar Facebook-Gruppen angesehen, die sich nach dem “just for fun”-Test bildeten. Dort sammeln sich Leute, die es mit unerwarteten Ergebnissen zu tun bekamen. In diesen Gruppen tauschen sich Menschen aus, die nach so einem Test plötzlich noch drei Geschwister fanden oder über Nacht von ihrer italienischen Abstammung erfuhren. Viele hörten mit Mitte 50 zum ersten Mal davon. Und viele trugen lange das Gefühl mit sich, dass sie „etwas” in sich nicht verstehen. Und dieses „etwas“ konnte auch kein*e Therapeut*in knacken.

Dieses „etwas“ beschäftigt mich genauso. Ich trage es seit Jahrzehnten mit mir herum. Mein Name zum Beispiel. Er sagt, ich sei aus Mazedonien. „Philippi“ heißt korrekt übersetzt „die, die sich auf ihre militärische Macht verlassen“. Auf Mazedonisch. So präzise habe ich das erst jetzt herausgefunden. Doch schon vor Jahren habe ich Militärszenen in Mediationen gesehen. Nichts mit schießen, sondern erstechen. Vom Pferd aus kämpfen. Ich liebe Pferde. Ich liebe Pferde und ich liebe Männer auf Pferden: Mein größter Crush ist Peter O’Toole in „Lawrence von Arabien“. Seit langem habe ich Erlebnisse mit meinem „fremdländischen“ Namen.

In meinem Fall liegt die Nicht-Eindeutigkeit meiner Herkunft zunächst an der deutsch-französischen Grenzgegend, aus der ich komme. Ich wuchs in einem deutschen Haushalt mit französischem Mindset und Subtext auf, Teile meiner Familie stammen aus Frankreich. Unterschiedliche Menschen mit nationalen „Interpretationen“ kamen zu mir, seit ich denken kann. In Flugzeugen („Are you French?“), in Restaurants („You look American!“), auf Datingseiten („Are you Russian? Or at least East European?“) – was Mazedonien am nächsten kommt.

Dank an Jerry Seinfeld!

Dieses Gen-Rätselraten begann früh bei mir. Seit ich denken kann, trug meine Mutter einen Davidstern, obwohl wir römisch-katholisch sind. Meine Eltern wollten als junge Lehrer*innen in einen Kibbuz ziehen, als ich zwölf war – und ich begann Bücher über den Mossad zu wälzen, wieder so eine Fantasie übrigens. Damals dachte ich über all das nicht nach. Jetzt schon. Später, in Los Angeles, landete ich, scheinbar per Zufall, auf der Datingseite „J-Date“, eigentlich eine jüdische Datingseite, die aber auch Leute nutzen können, die sich für die jüdische Kultur interessieren. Ich war auf keiner Datingseite jemals so erfolgreich wie auf J-Date, nach längerem „Seinfeld”-und Larry-David-Studium hatte ich die Lösung. Ich strahlte scheinbar jede Menge „Shiksappeal” aus. Bei Seinfeld lernte ich, dass eine „Shiksa“ eine nicht-jüdische, meistens blonde Frau war, die sich in der jüdischen Welt wohlfühlte und durchaus als „Dating“-Material für die dritte Ehe nach der zweiten Scheidung durchgehen konnte.

Selten, und Dank an Jerry Seinfeld, fühlte ich mich richtiger, verstandener, aufgehobener. Komplett ohne DNA-Test. Es ist diese Community, es sind meine Freund*innen aus dieser Community, die mich in den letzten Jahren zu meinem Thema gebracht haben, sehr schnell, im Schleudersitz. Das Thema heißt: Wo bin ich zu Hause? Wo kann ich sagen, wer ich bin und wer ich sein will? Bei meinen Freund*innen aus der jüdischen Welt kann ich zum Beispiel heulen, wenn ich traurig bin. In anderen Communitys nicht. Und heißt das nun, dass ich dann wohl genau dort hingehöre? Es ist jetzt echt Zeit für diesen Test. Und ich glaube, es wird ein „big deal”.

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