Nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag in Wien fragt sich unsere Autorin: Wie lange soll sie die Vorurteile und das Misstrauen von Menschen, die sie wegen ihres Glaubens in eine Schublade stecken, noch ertragen?
Dienstagvormittag, ich sitze in meiner Küche in Köln. Das Licht der frühen Herbstsonne fällt durchs Fenster, ich habe mir einen Kaffee gemacht. Es könnte der Start in einen beschaulichen Morgen sein. Aber ich schaue auf mein Handy und lese mir wieder und wieder die Nachrichten durch, darüber, was in Wien geschehen ist.
Am Montagabend hatte ein Attentäter der radikalislamistischen Terrormiliz IS in der Wiener Innenstadt um sich geschossen und mindestens vier Menschen getötet. Mehr als 20 weitere Personen wurden verletzt. Nach wenigen Minuten hatten Polizist*innen den Attentäter erschossen.
Ressentiments
Neben meiner Anteilnahme für die Opfer und ihre Angehörigen beschäftigt mich eine Sache ganz besonders: In Artikeln zum Terroranschlag wird die Herkunft des Täters erwähnt. Ich finde das sehr bedenklich. Es beunruhigt mich, weil dadurch bei Leser*innen Ressentiments geweckt werden: „Ah, war ja klar, dass so ein Attentat von einem ,Ausländer‘ begangen worden ist.“ Anscheinend muss klargestellt werden, dass es sich in diesem Fall nicht um einen „Österreicher“ gehandelt hat, sondern um einen „Menschen mit Migrationshintergrund“.
Für einen Moment treten die alles dominierenden Themen Corona-Pandemie und US-Wahlen in den Hintergrund. Was für ein abscheuliches Geschehen, es schnürt mir den Hals zu. Denn ich weiß: Als muslimische, migrantische Frau bin ich nun wieder einmal in der Position, mich erklären zu müssen. Und zwar für etwas, das weder die Religion des Islam noch ich selbst verantworten können.
Ich werde nach solchen Anschlägen gefragt, wie es sein kann, dass mein Glaube Menschen dazu auffordert, andere Menschen zu töten. Wie ich „sowas“ unterstützen könne. Darüber wird dann sehr heftig debattiert. Um mir noch mal zu verdeutlichen, dass der Islam böse ist. Ich habe keine Antwort darauf, warum solche Taten passieren. Aber als ob es nicht schon genug wäre, dass Menschen diese Antworten von mir erwarten, werde ich auch öfter gefragt, ob ich zuhause einen Sprengstoffgürtel hätte. Das soll wohl witzig sein. Ist es aber nicht. Solche „Scherze“ sind einfach nur geschmacklos und verletzend.
„Bevor hier wieder falsches Wording ensteht: LIBERALE MUSLIME, die den ISLAM als Ihre Religion ansehen (die große Mehrheit) SIND KEINE ISLAMISTEN, und müssen auch nicht erklären WARUM ES DEN IS GIBT, dass wissen sie selbst nicht und sind selbst ZIVIL UND GEFÄHRDET“, schreibt die Journalistin Yasmine C. M‘Barek auf Twitter.
Unter Generalverdacht
Viele Menschen mit islamischem Hintergrund werden über einen Kamm geschert. Islamistische Terroranschläge haben dazu beigetragen, dass Muslim*innen auf der ganzen Welt unter Generalverdacht gestellt werden.
Es ist frustrierend, dass ich jedes Jahr aufs Neue zu Ramadan erklären soll, warum und weshalb ich faste. So zu fasten sei ja ungesund, aber Intervallfasten sei ok. Warum? Weil Intervallfasten gerade in Mode ist? Oft wird das Fasten mit einer Diät gleichgesetzt. Dass die Fastenkultur im Ramadan auch eine spirituelle Komponente beinhaltet, darüber wird oft nicht nachgedacht.
Es kränkt mich, dass der bloße Umstand, eine Muslima zu sein, bei einigen Menschen sofort die Alarmglocken läuten lässt. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass mir und anderen muslimischen Menschen gegenüber direkt und unverhohlen Angst und Misstrauen entgegengebracht werden. Nach Taten wie zum Beispiel in Nizza.
Ich falle auf – ob ich will oder nicht
Mich umhüllt immer eine bestimmte Art von Sichtbarkeit, die ich zu gerne abstreifen würde. Allein, dass ich eine Frau mit migrantischem Hintergrund bin, war in der Kleinstadt, in der ich aufwuchs, schon immer problematisch. Warum? Ich wurde zum Beispiel oft angestarrt, weil ich schwarze Haare und eine große Nase habe. Man hat mir immer das Gefühl vermittelt, dass ich nicht dorthin gehöre. Als ob ich ein fremdes Wesen sei.
„Ich will einfach nur ich sein. Unabhängig davon, woran ich glaube oder wo meine Wurzeln sind.“
Leider gab es dort, wo ich aufgewachsen bin, außer meiner Familie so gut wie keine migrantischen Menschen. Ich wollte nie wegen meines Aussehens oder meiner Religion auffallen – ich hatte aber keine Wahl. Ich möchte nicht darüber nachdenken, wie unendlich groß das Bedürfnis unserer Gesellschaft zu sein scheint, Menschen in eine Schublade zu stecken. Ich lande – sehr abwechslungsreich – entweder in der Migrant*innen- oder Muslim*a-Schublade. Ich will aber kein Label auf meiner Stirn tragen müssen. Ich will einfach nur ich sein. Unabhängig davon, woran ich glaube oder wo meine Wurzeln sind.
Oftmals habe ich den Eindruck, dass so gut wie jede*r Muslim*a als eine potenzielle Sicherheitsbedrohung für Europa gesehen wird. Aussagen wie „Dein Glaube tötet Menschen“ sind keine Seltenheit für mich. Ich höre sie oft. Ich höre so viele absurde Kommentare. Dass ich als Frau im Islam unterdrückt werde. Diese Kommentare zeigen mir: Es gibt noch so viel zu tun im Kampf gegen Islamismus.
Gegen Islamismus, Antisemitismus und Faschismus
Deshalb hat sich jetzt eine Gruppe von Frauen und queeren Menschen zusammengetan und einen Offenen Brief „gegen jeden Islamismus, Antisemitismus und Faschismus“ geschrieben. Ihre Forderung: Islamismus soll nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch bekämpft werden.
Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray schrieb dazu auf Twitter: „Wir brauchen einen differenzierten, antirassistischen Umgang mit den verschiedenen Formen von Islamismus und migrantischen faschistoiden Bewegungen, wie z.B. den ,Grauen Wölfen‘ oder etwa russischen, polnischen, kroatischen oder serbischen extrem rechten Bewegungen.“
Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, warnt davor, Muslim*innen und Nichtmuslim*innen als Feind*innen anzusehen, so wie es der politische Islam tue. Der Islam als Gegenentwurf zum Westen sei ein ebenso problematisches Narrativ. Denn jungen Muslim*innen werde ein Glaube gepredigt, der es ihnen kaum erlaube, sich mit Deutschland zu identifizieren. Meist bleibe ihnen nichts übrig, als auf Distanz zur Religion oder zur Gesellschaft zu gehen. Daher brauchen wir mehr Sensibilität, mehr Achtsamkeit. Damit in Zukunft irgendwann niemand mehr von mir als Muslima erwartet, mich wieder einmal für ein Verbrechen zu erklären, für das ich genau so wenig kann wie alle anderen Muslim*innen, denen allein wegen ihres Glaubens immer wieder mit Misstrauen und Hass begegnet wird.