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Aushalten und Wegatmen. Warum das beim Thema Schwangerschaftsabbruch schon lange nicht mehr funktioniert.

Junge, aufgeklärte Frauen fordern ihr Recht auf Gleichberechtigung und körperliche Selbstbestimmung ein. Die Abtreibungspolitik in Deutschland ist dabei ein Thema, welches nicht nur betroffene Frauen angeht, sondern jede, die mit den immer noch vorhandenen patriarchalischen Strukturen in Deutschland hadert.

 

Brigitte Otts Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Als vor fast genau zwei Jahren erstmals Abtreibungsgegner von der Initiative „40 Tage für das Leben“ mit ihrer sogenannten Mahnwache Position vor der Beratungsstelle von Pro Familia im Westend (Frankfurt) bezogen, dachte die Geschäftsführerin des hessischen Pro-Familia-Landesverband noch, dass sich das Problem aussitzen ließe. „Vielleicht muss man das einmal ertragen“ habe sie damals überlegt. Inzwischen weiß sie es besser. – Frankfurter Rundschau, Mittwoch, 27. Februar 2019.

Ich kann das gut verstehen. Erträglich sind die aktuellen Diskussionen um Abtreibungsstudien, Werbeverbote für Schwangerschaftsabbrüche und Belästigungen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen schon lange nicht mehr. Für junge, aufgeklärte Frauen, die ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung und Gleichberechtigung einfordern, sind sie eine gnadenlose Demütigung und – die Verwendung des Begriffs im Positiven – Wasser in den Mühlen feministischer Bewegungen. Warum diese Themen nun immer mehr aufpoppen? Weil es einfach gesagt nicht mehr hinnehmbar ist und endlich immer mehr Frauen beginnen ein System mit patriarchalischen Strukturen hinterfragen.

Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch sind im Strafgesetzbuch (StGB) zu finden. Jede Frau, die eine Schwangerschaft abbricht begeht eine Straftat. Das ist einfach so. Geschriebenes Recht. Nach § 218 StGB wird diejenige, die eine Schwangerschaft abbricht, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.
Jetzt kann ich schon leise das „Aber“ hören, denn der nachfolgende § 218a regelt die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Dafür muss sich die Frau zunächst, da ihr das der Gesetzgeber nicht eigenständig zutraut, über ihre Situation aufklären lassen. Dies kann sie bei anerkannten Beratungsstellen. Diese haben nach § 219 StGB die Aufgabe, das ungeborene Leben zu schützen und sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Der Abbruch an sich stellt zumindest laut Gesetz zunächst keine Option dar. Sollte Beratung nicht neutral sein?
Lässt sich die Frau anschließend bescheinigen, dass sie sich nicht hat überzeugen lassen, dass ein Kind in ihrer momentanen Situation (Ausbildung, Studium, Berufsanfängerin, Berufsaufsteigerin, Beginn einer Beziehung, Trennung) eine gute Idee ist, der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind, ist der Abbruch straffrei. Das „Aber“ hier wird von anderer Seite aus lauter: Straffrei bedeutet nicht, dass der Vorgang an sich keine Straftat ist.

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass Beratungsstellen wichtig sind und nicht abgeschafft werden dürfen. Ganz im Gegenteil. Es gibt Frauen, die im Fall einer ungeplanten Schwangerschaft dieses Angebot dringend benötigen, sei es weil sie sich sonst niemandem anvertrauen können, einen schwierigen familiären Background haben oder es einfach wollen. Und genau um dieses „Wollen“ geht es. Denn es gibt nun mal auch Frauen, die sich im Fall einer ungeplanten Schwangerschaft sicher sind, dass nur ein Abbruch in Frage kommt. Einer Frau in Abrede zu stellen, sie wüsste nicht welche Entscheidung sie damit trifft oder sie gar nicht in der Lage dazu sehen, eine Entscheidung über ihr zukünftiges Leben, über ihren Körper alleine und selbstbestimmt treffen zu können, ist nicht tragbar. Mit dem „Muss“ des Aufsuchens einer Beratungsstelle geschieht aber genau das.

Ich rätsle allerdings immer noch, auf welche verrückten Ideen Frauen so kommen könnten, den Abbruch nicht, wie von § 218a gefordert, von einer Ärztin/einem Arzt vornehmen zu lassen. Ach, Stopp! Stimmt, da war noch was. Es ist ja gar nicht so einfach in Deutschland eine Ärztin/einen Arzt zu finden, der einen Abbruch vornimmt. Warum? Nein, hier geht es nicht um die Unterversorgung mit Fachärzten in ländlichen Gebieten. Den Grund hierfür liefert das Gesetz. Und zwar der zurzeit am häufigsten verwendete Paragraph in der deutschen Medienlandschaft – § 219a StGB. Demnach ist es Ärztinnen und Ärzten nämlich verboten für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Werben – Werbung. Das erscheint erstmal verständlich.
Auch wenn hierzulande immer noch großflächig mit Zigaretten und Alkohol geworben werden darf, besteht weitestgehend Einigkeit (und eine ganz klein winzige Doppelmoral) darüber, dass beleuchtete Werbung an U-Bahn-Haltestellen, die einem Schwangerschaftsabbruch noch etwas Positives abgewinnen, dann doch etwas too much ist. Da muss ich gerade unpassend über letzt gesehene Zigarettenwerbung auf Pinterest schmunzeln: „I can talk about enjoyment. I´ve tasted it“ oder ebenfalls gut: „I smoke for only one reason. I don´t want to be like everybody else.“ Ja, das mit der Doppelmoral hatte ich ja schon erwähnt.

Nun wurde aber eine Gießener Ärztin zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche, die sie selbst in ihrer Praxis vornimmt, informiert hat. Information und Werbung. Definitionstechnisch gesehen eigentlich zwei klar abgegrenzte Begriffe. Im Fall des § 219a nicht. Wir würden aber nicht in Deutschland leben, wenn die Regierungskoalition nicht direkt auf Ungereimtheiten in der Gesetzgebung reagieren würde und so hat sie:

A wie von der SPD gefordert den § 219a StGB gestrichen
B wie von der CDU gefordert alles so gelassen, wie es seit dem Jahr 1933 (!) ist
C einen Zusatz beschlossen, dass zwar öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informiert, aber nicht über Methoden aufgeklärt werden darf

War mir die Grenze zwischen Information und Werbung klar, so ist sie zwischen Information und Aufklärung gerade verschwunden. Eine Ärztin/ein Arzt darf nun auf der eigenen Website informieren, dass sie/er grundsätzlich Abbrüche durchführt. Aber wie sie/er das macht bleibt zunächst sein Geheimnis. Das klingt sinnvoll und hat den netten Nebeneffekt, dass es unsere Gerichte entlasten wird. Diese werden nun nicht mehr unnötigerweise bemüht, da Ärztinnen und Ärzten nun endlich alles klar ist. So wie mir.
Uns Frauen wird aber noch mehr geholfen. Denn zusätzlich wird ab sofort eine zentrale Liste der Bundesärztekammer über Ärztinnen und Ärzte geführt, die Abbrüche vornehmen. Bleibt lediglich zu hoffen, dass es sich hierbei nicht um eine Excel-Tabelle handelt, zu der eine Mehrzahl von Mitarbeiter*innen Zugriff haben. Ich hatte solche Situationen schon in meiner beruflichen Laufbahn und was soll ich sagen. Lief nicht so super.

So. Die Groko hat sich schließlich geeinigt. Das kommt nicht häufig vor, ist aber trotzdem kein Grund zum Feiern. Auch die geplante Studie zur psychischen Belastung für Frauen durch Schwangerschaftsabbrüche, die ganz elegant mit einem Abwasch miterledigt wird, verbessert die Situation nicht. Der Gesundheitsminister hat dafür 5 Millionen Euro bewilligt bekommen.
Jens Spahn ist übrigens einer der wenigen Neuen im Bundeskabinett, bei dem auf die Anmerkung, dass er Gesundheitsminister ist, verzichtet werden kann. Wer wissen möchte, ob das gut oder schlecht ist – einfach mal „Jens Spahn und Frauen“ googeln. Nur so viel: Der Tagesspiegel titelte Anfang des Jahres „Sein Konzept ist der Tabubruch. Mit frechen Vorstößen schreckt Gesundheitsminister Jens Spahn die Funktionäre auf. Seine Provokationen sind genau kalkuliert.“ Da wurde mir ein bisschen schlecht.
Aber zurück zu dieser Zahl: 5 Millionen Euro für eine Studie, die die fundamentalistische, frauenfeindliche Abtreibungspolitik in Deutschland rechtfertigen soll. Ich freue mich jetzt schon auf die Ergebnisse. Mein Wissen und meine Vorstellungskraft reichen nicht aus, um zu erahnen, was bei einer solchen Studie das Fazit sein wird. Auch nicht, um zu sagen, was mit so viel Geld noch getan werden könnte. Ich weiß allerdings, dass es durchaus Themen gibt, bei denen so viel Geld besser investiert wäre: Altersarmut, Kinderarmut, Integration, Gleichberechtigung.

Mit diesen Themen könnten sich auch diejenigen befassen, die sich bald wieder vor Pro-Familia Beratungsstellen positionieren und Frauen ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung absprechen wollen. Dabei geht es bei den ganzen Diskussionen schon lange nicht mehr nur um den Schutz ungeborenen Lebens, sondern um die Frage, ob es hier nicht ganz gewaltig an der Gleichberechtigung und Unabhängigkeit von Frauen in Deutschland hinkt.
Erträglicher macht es das nicht.

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