Die Journalistin Julia Tieke war über Monate mit einem jungen Mann aus Syrien in Kontakt, der sich über den Landweg von der Türkei bis Deutschland durchschlug. Das bewegende Protokoll ihres Chats ist nun als Buch erschienen.
„Mein Akku ist gleich leer“
Faiz ist 1987 geboren und studierte Literatur in der syrischen Stadt Aleppo. In seiner Heimatstadt Manbidsch dokumentierte er als Medienaktivist Proteste und staatliche Repressionen gegen Aktivisten, gründete nach dem Rückzug des Regimes mit anderen Aktivisten ein Zentrum für Zivilgesellschaft und half, einen Sendemast für unabhängiges Radio zu betreiben.
Extremisten des „Islamischen Staats“ übernahmen Anfang 2014 dauerhaft die Kontrolle der Region. Sie drohten Faiz wegen seiner zivilgesellschaftlichen Arbeit mit Enthauptung und zwangen ihn so ins Exil. In der Türkei konnte er seine Arbeit nicht fortsetzen und entschloss sich schließlich zur Flucht nach Deutschland. Sein Smartphone hatte er, wie die meisten Flüchtlinge, immer dabei, und er chattete während seiner Flucht mit der deutschen Journalistin Julia Tieke, die er in der Türkei kennengelernt hatte. Sie spricht ihm immer wieder Mut zu während seiner Odyssee, während 40 Kilometer langer Fußmärsche, Demütigungen durch Sicherheitskräfte und tagelanger Gefängnisaufenthalte.
Julia Tieke ist seit 2007 Projektleiterin der „Wurfsendung“, einem Hörkunst-Format von Deutschlandradio Kultur. Seit 2009 erarbeitet sie Features, Hörspiele und freie Audio-Projekte zum Nahen Osten/Nordafrika. Bei einer Recherchereise für ihr aktuelles Feature „Syria FM. Begegnungen mit Radiomachern zwischen Berlin und Aleppo“ (Deutschlandradio Kultur 2015, nachzuhören hier) hatte sie Faiz in Gaziantep (Türkei) getroffen.
Im Mikrotext-Verlag ist der Chat von Faiz und Julia als Buch erschienen. Wir veröffentlichen einen Auszug.
Die Hütte
(Am Abend.)
Julia:
Hozan sagt, dass er mit dir in Kontakt ist.
Faiz:
Ja. Mach dir um mich keine Sorgen.
Julia:
Meine Freundin hat Kontakte in Serbien und Mazedonien, aber noch
keine Reaktion von ihnen.
Faiz:
Vielen Dank an dich und Hozan.
Julia:
Noch nicht. Erst wenn du hier bist. Wie
ist deine Gruppe – sind die Leute gut zueinander?
Faiz:
Ich habe in diesen 12 Tagen alles Schlechte gesehen. Ist für mich
kein Problem.
Julia:
Das klingt aber nach großen Problemen!
Faiz:
Kälte, dreckiges Wasser, Lügner, Menschenhändler, Mücken.
Julia:
Hast du irgendeinen Plan? War Griechenland besser?
Faiz:
In Griechenland war ich vor 15 Tagen. Der
Akku ist gleich leer.
Julia:
Ok.
Faiz:
Ich bin nach Mazedonien gekommen, um nach Serbien weiterzugehen und
so weiter.
Julia:
Gehst du jetzt zur Polizei?
Faiz:
Ich versuche, in ein Dorf zu kommen.
Julia:
Pass auf dich auf, aber wer bin ich, dir das zu sagen?! Wie kommst du
an Informationen zu den Grenzen?
Faiz:
Ich weiß nicht … Alle Informationen kommen hier von
Menschenhändlern, alles Lügner!
Julia:
Ja. Die sind sicher furchtbar.
Faiz:
Ich bin vor etwa 27 Tagen in der Türkei gestartet. Mach dir keine
Sorgen.
Julia:
Das ist schwierig.
Faiz:
Wir sind daran gewöhnt, überall Horror zu erleben. Am Ende werden
wir ankommen.
Julia:
Und wir werden eine große Party feiern. Auf
jeden Fall bist du nicht vergessen.
Faiz:
Ich liebe Geduld.
Julia:
Haha! Das ist gut. Ich bin nicht sehr geduldig.
Faiz:
Dir und Hozan vielen Dank, und mach dir keine Sorgen um mich. Wir
haben das gelernt.
Julia:
Keine Ursache.
Ja,
ihr habt viele Dinge gelernt, die niemand lernen müssen sollte. Aber
ich denke auch, dass du am Ende ankommen wirst. Ich meine das ernst,
mit dem Geld, wenn du welches brauchst. Es ist ja nur verdammtes
Geld.
Faiz:
:-@
Julia:
Beruhig dich
Faiz:
Meine Hütte spendet mehr Trost als deine Worte. Bitte sag das nie
wieder.
Julia:
Tröstlicher als meine Worte – hmmm. Ok.
Tut mir leid.
Faiz:
Ich meinte deinen letzten Satz.
Julia:
Ich weiß. Dein
Schlafplatz sieht nett aus.
Faiz:
Ok. Tut mir leid. Und vielen Dank an dich und Hozan.
Julia:
Sag nie wieder, dass es dir leid tut. Gute
Nacht. 🙂
Faiz:
🙂 Dir
auch eine gute Nacht.
Julia:
Ich muss los, bis bald. Pass auf dich auf.
Faiz:
Mach dir um mich keine Sorgen, und es tut mir leid, wenn ich dich
verletzt habe. Das
Haus da, auf dem Foto, habe ich selbst gebaut.
Bild: Miktrotext
Julia:
Ich sagte, sag nie wieder Entschuldigung. 🙂
Faiz:
🙂 Ich
lade Hozan und dich ein, in meinem Haus Süßigkeiten zu essen. Zum
Opferfest!
Julia:
Ja, wir kommen bald.
Faiz:
Ok. Aber es gibt hier große Mücken.
Julia:
Egal. Wir bringen Mücken-Killer mit.
Faiz:
Ok. Ich warte auf euch.
Julia:
Weiß nicht, du könntest viele Stiche bekommen, bis wir da sind. Wir
treffen uns einfach auf halbem Weg.
Faiz:
Hab ich ja schon. Mein Gesicht ist voller Stiche. Aber heute ist es
kalt, da gibt es nachts keine Moskitos.
(Später
am Abend.)
Julia:
Ich bin jetzt im Theater.
Faiz:
Toll.
Julia:
Tut mir leid, bis bald!
Faiz:
Ich mag Theater!
Julia:
Frier nicht zu sehr.
Faiz:
Vielen Dank nochmal.
Julia:
Keine Entschuldigung, kein Danke!! Bleib in Verbindung.
Faiz:
Ok.
Aus: „Mein Akku ist gleich leer. Ein Chat von der Flucht.“, mikrotext Verlag, Kindle Edition, circa 50 Seiten auf dem Smartphone, 1,99 Euro.
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