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Bin ich Dornröschen?

Eigentlich hatte der Feminismus doch schon gesiegt.
Die Welt schien ja wie von selbst gerechter zu werden.

 

Diese Sätze schreibt Kristina
Maroldt* in ihrem Artikel ‚Koalition gegen Frauen‘. Ich verschlucke mich
mal wieder an meinem Frühstücks-Cappuccino.

Bin ich Dornröschen?

Hab ich länger geschlafen als gedacht? Wie kommt es, dass ich das nicht bemerkt habe?

Ich
huste etwas, trinke noch einen Schluck und schaue über meine
Frühstückslektüre nachsinnend aus dem Fenster. An dem Satz, dass wir in verschiedenen Welten leben, ist doch mehr dran als ich dachte. Den
Eindruck, dass der Feminismus schon gesiegt hat und wir die alten Muster
überwunden haben, hatte ich wahrlich noch nie. Wie kam Frau Maroldt auf
diesen Gedanken? Und muss ich Donald Trump und Recep Erdogan jetzt
dankbar sein, dass sie sie zum Umdenken bewogen haben?


Aber sie ist ja nicht allein – es gibt viele, die jetzt staunend vor
den weltweiten Entwicklungen stehen. Sie sind schockiert von den
sexistischen und frauenverachtenden Aussagen des EU Abgeordneten Korwin-Mikke: Weil Frauen schwächer, kleiner und weniger intelligent sind, müssen sie weniger verdienen.“, von Donald Trump, der über die TV-Moderatorin Rosie O“Donnell sagte: „Rosie
ist ekelhaft – innen und außen. Wenn du sie anschaust, ist sie eine
Gammlerin. Wie hat sie es überhaupt ins Fernsehen geschafft? Wenn „The View“ mir gehörte, würde ich Rosie feuern. Ich würde ihr direkt in ihr
fettes, hässliches Gesicht schauen und sagen „Rosie, du bist gefeuert.‘
Wir sind alle ein bisschen pummelig, aber Rosie ist noch schlimmer als
die meisten von uns. Aber es ist nicht ihre Pummeligkeit – Rosie ist
eine sehr unattraktive Person, innen und außen.“.
Sie wundern sich
über die Aussagen des türkischen Präsidenten Recep Erdogan, der die
Gleichstellung von Frau und Mann als unnatürlich und „gegen die Natur“
ablehnt und Frauen vor allem als Mütter mit mindestens drei Kindern
sehen möchte. Und sie sind verblüfft, dass gewählte deutsche Politiker
wie Björn Höcke von der AfD sich wünschen, dass

Deutschland lieber nach Männlichkeit als nach Gleichstellung streben solle

und die Frauenquote mit dem Satz „… schädliche, teure, steuerfinanzierte
Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen
Geschlechterordnung dienen, zu beenden…“ ablehnt. Erschütternd nehmen
sie die Beleidigungen wahr, die als Shitstorm – inklusive
Vergewaltigungsfantasien – über Claudia Neumann hereinbrachen, nachdem
sie als erste Frau ein EM-Fußballspiel im ZDF kommentiert.

Ich für meinen Teil bin nicht erstaunt. Persönliche Erlebnisse und die
Aussagen einiger mächtigen Männer der letzten Jahre legen nun wirklich
nicht den Gedanken nahe, dass wir Frauen beruflich auf Augenhöhe
angekommen sind und Chancengleichheit herrscht. Oder wie soll ich es
verstehen wenn Esko Kiesi, ein Audi Manager von sich gibt: „Das Aussehen
eines Autos hängt stark von den Rädern und der Aufhängung ab. Bei einer
Frau sind es die Schuhe.“, “Technische Jobs können Frauen ohne die
Hilfe eines Mannes ohnehin nicht bewältigen” und “Weigert sich eine
Frau, zu bügeln und sauberzumachen, wird der Beziehung bald die Luft
ausgehen.”

Oder wenn Gerhard Cromme, 2008, seiner Zeit Chef des Aufsichtsrats von Siemens und ThyssenKrupp bei einem Vortrag für 200 Frauen erklärt: „Wissen Sie, meine Damen, ein Aufsichtsrat ist kein Kaffeekränzchen.“

Unmissverständlich fand ich auch Kevin Roberts, 2016, Verwaltungsratchef von Saatchi & Saatchi mit seiner Aussage:

„Frauen haben keine ›vertikalen Ambitionen, sondern Ambitionen, glücklich zu sein“

und Clemens Börsig, 2001, damals Finanzvorstand der Deutschen Bank: „Frauen
sollten nicht nur vertikal, sondern auch ›horizontal‹ Ambitionen
entwickeln“.

Ja, wie sollte ich da jemals denken können, dass die Welt wie von selbst
gerechter geworden sein soll? Weil tatsächlich einige aufgrund ihrer
Entgleisungen Konsequenzen zu tragen hatten? Es stimmt, früher blieben
solche Äußerungen folgenlos. In diesen Fällen beruhten die Folgen aber
doch nicht primär auf der Einstellung der Manager in dieser Thematik,
sondern darauf, dass sie den Fehler begangen hatten, diese öffentlich
kundzutun. Es ist doch keineswegs so, dass diese Männer jemals anders
gedacht hätten, oder dass ihre Haltung bezüglich Frauen ihren Konzernen,
ihrer Umgebung und dem Vorstand nicht bekannt gewesen wäre. Denn wie
man zu Chancengleichheit und Wertschätzung von Frauen im Beruf steht,
welche Kräfte man fördert und befördert, wird im täglichen Verhalten und
in allen Entscheidungen sichtbar. Sie wurden ‚abgestraft‘, weil durch
sie offenkundig wurde, nach welchen Kriterien und Werten in diesen
Konzernen entschieden wird.

Und unter diesen Haltungen leiden keineswegs nur Frauen. Was solche Manager
von ihren männlichen Mitarbeitern erwarten und wie in ihren Augen
erfolgreiche Führung aussieht, ist auch für viele Männer ein Greuel.
Auch sie werden in Rollen und Muster gepresst die ihre Wahlfreiheit im
Leben einschränken. Denn wenn Männlichkeit bedeutet ein harter Knochen,
Verdiener und Ernährer, Macher und jederzeit stark zu sein, fällt ‚Mann‘
schnell durch das Raster.

Für viele Menschen wäre es ein großer Gewinn an Freiheit, wenn diese
Vorurteile der Vergangenheit angehören würden. Leider sind diese
sexistischen Äußerungen nur die Spitze des Eisbergs. und an vielen
Entscheidungspositionen treffen wir auf ähnliche Haltungen.

Durch die gesellschaftlichen Weltmeere dümpeln noch eine Menge ähnlicher
Rollenzuschreibungen und Haltungen die vielen Frauen im Berufsleben
tagtäglich begegnen.

Denn ich bekomme noch eine weitere Gelegenheit mich zu verschlucken. Am
selben Tag berichtet die Journalistin Nadine Funk* über den Kampf einer
Frau um Lohngerechtigkeit. Edeltraud Walla bekommt 1.200 EUR (in Worten:
eintausendzweihundert!) weniger Lohn als ihr Kollege, der zudem
geringer qualifiziert ist. Eine sinnvolle Erklärung bekam sie im
Gegenzug auf ihre Anfrage nicht. Sie klagte bis zum
Bundesverfassungsgericht, wurde aber im Juni 2016 nach zwei Jahren ohne
Begründung abgewiesen. Schon einmal war ihr ähnliches passiert. Im Jahr
1984 verdiente sie bei gleicher Arbeit ebenfalls weniger als ein
Kollege. Damals waren es 500 Mark und es gab sogar eine Begründung. Der
zu dieser Zeit ledige männliche Kollege würde irgendwann einmal eine
Familie ernähren müssen. Daraufhin wechselte sie den Beruf – was
offenbar nicht wirklich erfolgreich war.

Und ganz ehrlich: diese Strategie wird wohl in nur wenigen Berufsfeldern
funktionieren. Laut dem Statistischen Bundesamt liegt der
durchschnittliche Bruttolohn von Frauen 22 % unter dem der Männer. Das
geringere Einkommen hat große gesellschaftliche Bedeutung. Denn weniger
Geld bedeutet weniger Einfluss, weniger Entscheidungshoheit, weniger
Relevanz, weniger gesellschaftliche Macht, weniger
Entfaltungsmöglichkeiten.

Selbst dort, wo man sich die Aufdeckung von gesellschaftlichen Missständen auf
 die Fahnen geschrieben hat und mit der Kunst Veränderungen schaffen
will, greifen die althergebrachten patriarchalen Muster von
unterschiedlicher Bewertung der Arbeit und Entlohnung.

„So stammt gerade mal ein Viertel der in Galerien ausgestellten Werke aus
dem Œuvre einer Künstlerin. In deutschen Kunstmuseen liegt dieser Anteil
sogar nur bei geschätzten zehn bis 15 Prozent. 85 Prozent der Kino- und
Fernsehfilme werden von Männern inszeniert, obwohl 42 Prozent der
Absolventinnen und Absolventen im Fach Regie Frauen sind. 73 Prozent der
in Kulturorchestern Beschäftigten sind männlich, obwohl 51,5 Prozent
der Absolventinnen und Absolventen im Fach Orchestermusik Frauen sind.
An künstlerischen Hochschulen liegt der Anteil der Professorinnen bei
nur 25,5 Prozent, obwohl über 50 Prozent der Studierenden weiblich sind.
Und spartenübergreifend gilt: Frauen verdienen deutlich weniger als
Männer und sind seltener in Führungs- und Leitungspositionen
vertreten.“* (Monika Grütters, Politik&Kultur Nr. 4/2016, S. 1)

Und aus unserem Alltag: erzählte uns Männerheldinnen doch kürzlich die
Schauspielerin eines Landestheaters in Baden-Württemberg, dass
herausgekommen sei, dass alle Frauen des Ensembles weniger auf dem
Gehaltszettel stehen haben, als ihre männlichen Kollegen. Dass sie sich
mit dieser Erfahrung nahtlos in die Riege der großen Hollywoodstars
einreihen, ist sicher nur ein schwacher Trost. Ein sehr viel positiveres
Signal setzten ihre Schauspielkollegen.

Die Schauspielkollegen beschlossen auf die anstehende Gehaltserhöhungen zu
verzichten, bis die Frauen ihnen gleichgestellt sind.
Chapeau und Hochachtung!

Bestätigen und ergänzen kann ich das mit zwei ’netten‘ Beispiele aus meinem beruflichen Alltag.

Vor einigen Jahren plauderte der Vorstandsvorsitzende einer Bank auf meiner
Vernissage freundlich mit mir. „Ihre Bilder sind wirklich großartig.
aber wissen Sie, ich befürworte dann doch die Ankäufe von ihrem
männlichen Kollegen. Wir haben schließlich auch soziale Verantwortung
und die Männer müssen ja ihre Familie ernähren.“ Kurz habe ich erwogen
ihm mitzuteilen, das besagter Kollege eine Frau hat, die wesentlich mehr
verdient als mein Mann. Leider brauchte ich einige Sekunden zu lang um
das Gehörte soweit zu verarbeiten, dass ich wieder imstande war zu
atmen, meine Emotionen im Griff zu haben und mit einem gelassenen
Lächeln einen verständlichen Satz zu formulieren. Da war er mit seinem
perlenden Sektglas und gewinnendem Lächeln schon zum nächsten Smalltalk
weitergeschritten.

In die Zeit fällt ein ähnliches Erlebnis. Bei der Präsentation von
Entwürfen in einer renommierten Textilfirma ließ sich alles gut an. Der
Produktmanager (Alter 60 +) erwog den Kauf einiger Designs. Flankiert
von seinen zwei jungen Assistentinnen sprach er jovial väterlich mit mir
über die Branche und auch die Firma, bei der mein Mann arbeitete. Kalt
erwischte er mich dann allerdings mit der Frage:

„Verdient ihr Mann eigentlich nicht genug, dass Sie das hier machen müssen?“

In den folgenden Jahren habe ich sehr viele ausgezeichnete Antworten und
Reaktionen auf diese Frage gefunden. Leider hat er keine davon je zu
hören bekommen. Seine Bemerkung verschlug mir die Sprache. Peinlich war
die Situation allerdings nur uns Frauen: Den Assistentinnen, die nicht
mehr wussten wohin sie schauen sollten und mir, die ich nicht wusste, ob
ich meine Sachen einfach zusammenraffen und einen rauschenden Abgang
hinlegen oder doch noch auf einen Verkauf spekulieren sollte.

Die Fassungs- und Sprachlosigkeit angesichts solcher Dreistigkeit habe ich
seither überwunden. Man wächst ja mit seinen Erfahrungen. Da gibt es
allerdings noch einen klitzekleinen Haken. Souveräner zu reagieren fühlt
sich zwar sehr viel besser an, leider ist das Ergebnis dennoch kein
anderes. Denn trotz gelassen angemessener Reaktion, wird der
Entscheidungsträger sich nicht ändern.

Wo solche Männer sitzen, hat ‚Frau‘ keine Chance. Der befriedigendere ‚Abgang‘ ist eben ein solcher.

Meist sind die Vorgänge weit subtiler. Denn in den seltensten Fällen wird die
Einstellung so unverschämt deutlich formuliert wie oben beschrieben.
Sehr viel öfter stößt man als ‚Frau‘ an Barrieren, die man in
Gesprächen, der Zusammenarbeit, bei der Übertragung von
Verantwortlichkeiten und Bewerbungen zwar unterschwellig wahrnimmt, aber
nicht benennen kann, ohne sich in eine ungeheuer schwache Position zu
manövrieren. Denn die Gefahr, dass man sofort in die Schublade der
‚Frauen, die sich zum Opfer stilisieren‘ eingeordnet wird, weil sie
nicht weiterkommen, ist groß. Dafür ist die Wahrscheinlichkeit die
stattfindende (gefühlte) Diskriminierung beweisen zu können gering. Die
Strukturen und Methoden sind fein und die Netzwerke und Seilschaften
dicht.

Einen wunderbaren Einblick gibt das Interview von Inge Kutter auf Zeitonline mit dem Karriereberater Martin Wehrle.
Er macht nicht nur sehr deutlich, dass das Berufsleben und die
Karrierechancen von Frauen für Männer ein Skandal wären, sondern sagt
ganz klar:

„Wir beurteilen Verhalten nicht an sich, sondern nach dem Geschlecht. Deswegen haben Frauen es so schwer.“

Besonders
eindrücklich sind seine Beispiele aus der Praxis: Wie das von dem
Mittelständler, der gerne mehr Frauen in Führungspositionen bringen
wollte, noch nie eine weibliche Assistentin hatte und sich wunderte,
dass sich kaum Frauen bei ihm bewerben. Tja, die sortierte seine
Sekretärin nämlich aus, weil sie wusste, dass er: „… eine florierende
Aufzucht männlicher Alphatiere betrieb.“ wie Wehrle das beschreibt.
„Wenn solche Herren Zigarre rauchend in ihren Runden sitzen und über
Frauenförderung reden, ist das, als sprächen Alkoholiker über ein
Alkoholverbot.“

Welchen Anteil haben wir Frauen daran?

Selbstverständlich sind wir Frauen ein Teil dieses Systems und erhalten es mit aufrecht.
Indem wir vor Verantwortung zurückschrecken, unsicher sind über unsere
Fähigkeiten und Kompetenzen, uns zurückziehen anstatt die Dinge
freundlich und klar anzusprechen, uns viel zu sehr anpassen als unser
Ding zu machen – aber vor allem indem wir die unterschiedlichen
Lebensentwürfe anderer Frauen kritisieren und abwerten.

Wohin sind wir unterwegs?

In meinem Berufsleben habe ich mit vielen Männern und Frauen auf Augenhöhe
arbeiten dürfen, für die das Geschlecht keine Rolle gespielt hat. Auch
wenn die ‚andere‘ Seite nie weg war und gerade wieder etwas lauter wird –
es gibt viele die sich für eine Gesellschaft einsetzen, in der Männer
und Frauen gleichberechtigt miteinander leben und arbeiten können, in
der sie dieselben Entwicklungschancen haben und ihr Potenzial entfalten
können. Profitieren würden alle von dieser Entwicklung. Denn jede
Ungerechtigkeit hat Auswirkungen auf beide Seiten.

Mein Wunsch: Dass alle Frauen und Männer es in unklaren Situationen wagen
ihr Unbehagen wahrzunehmen, anzusprechen und gemeinsam nach Lösung
suchen.

Nachtrag

Heute hat mich die Nachricht erreicht, dass die männlichen Schauspieler des
Landestheaters die Gehaltserhöhung doch angenommen haben. Und das sehe
ich nicht als Handlung die gegen die Kolleginnen gerichtet ist. Ich kann
das sehr gut verstehen! In einer Branche in der das Geld zum Leben kaum
reicht, wäre eine Ablehnung ziemlicher Wahnsinn. Die Lösung liegt
sicher nicht darin, dass die einen mit wenig Gehalt für die mit noch
weniger Gehalt verzichten. Sondern darin, dass die Entscheider sich
bewegen müssen – im Sinne der Gleichberechtigung und grundsätzlich was
die desaströsen Gehälter und Honorare dieser Branche betrifft.

* Kristina Maroldt ‚Koalition gegen Frauen‘ Brigitte 3/2017

Artikel zuerst erschienen auf: www.maennerheldinnen.com

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