Bisexuelle Menschen sehen sich oft mit unzutreffenden Zuschreibungen, Vorurteilen, Stereotypen oder gar Fetischisierung konfrontiert. Unsere Autorin schreibt über fehlende Zugehörigkeit, den Spagat zwischen Sicherheit und Sichtbarkeit – und ihren Weg zu Selbstakzeptanz.
Ich erinnere mich noch genau an das Gespräch. Ich war 13, mit meinen Eltern auf dem Weg in den Urlaub, als meine Mutter fragte, ob ich schon in einen Jungen aus der Klasse verliebt sei. Fast automatisch ergänzte ich: „Oder ein Mädchen!“ Ein kurzer Moment Stille, dann ein zustimmendes Nicken: „Oder ein Mädchen, genau.“ Damit war mein bisexuelles Coming-out erledigt – ganz leger, selbstbewusst und nebenbei auf der Rückbank.
Ich wusste, wer ich war und wen ich lieben wollte (damals: Sarah Paulson in American Horror Story). Begriffe wie „queer“, „Comphet“ oder „Bi Wife Energy“ kannte ich nicht. Ich war einfach queer, ohne das Wort dafür zu kennen. Queer fühlen war wie Wasser trinken: selbstverständlich, normal, lebensnotwendig. Über zehn Jahre später wirkt das fast lachhaft einfach.
The world’s messiest bisexual
Mit 13 wusste ich ziemlich genau, was ich wollte. Mit 17 kamen die ersten Zweifel, Anfang 20 setzte der Druck ein. Je mehr ich in queeren Räumen ankam, je mehr ich mich mit Menschen umgab, die – wie ich – nach einem sicheren Ort suchten, desto größer wurde meine Angst: Was, wenn ich gar nicht queer genug bin? Während andere schon ihre queeren Meilensteine gesammelt hatten, steckte ich noch in einer toxischen Beziehung mit meinem ersten Freund fest, der weder von meiner Queerness noch von emotionaler Intelligenz oder Zahnseide etwas wissen wollte.
Ich fing an, feministisch zu denken, Beziehungs- und Rollenmuster zu hinterfragen. Schnell wurde klar: Männer müssen besser werden – das bare Minimum reicht einfach nicht aus. Die Herausforderung, Feminismus und Paarbeziehungen mit cis Männern irgendwie unter einen Hut zu bringen, ist oft zermürbend und fühlt sich manchmal an wie ein Fulltime-Job ohne Bezahlung. Also kündigte ich – und trennte mich von meinem Freund.
Es wäre schön gewesen, „bi by birth, lesbian by choice“ zu leben und Männer kategorisch aus dem Dating-Pool zu streichen – einige bisexuelle FLINTA machen das und wirken damit ziemlich zufrieden. Für mich fühlte sich das aber nicht richtig an, zu eng, zu wenig ich. Das Lesbian Masterdoc – die Anti-Bibel des Comphet – war zwar augenöffnend, aber beantwortete meine Fragen nicht abschließend. Warum fühle ich mich überhaupt zu Männern hingezogen? Tue ich das wirklich? Bin ich vielleicht doch lesbisch? Oder einfach nur „the world’s messiest bisexual“? Keine dieser Fragen ließ sich eindeutig klären.
Mittlerweile bin ich Mitte 20 und meine Bisexualität ist fluide. Wie die meisten aktuellen Definitionen umfasst sie Menschen unterschiedlicher Geschlechter – nicht nur cis Männer und cis Frauen. Ich bin polyamorös und führe zwei Beziehungen – eine mit einem Mann, eine mit einer Frau. Ich bin immer noch bisexuell, aber so einfach wie mit 13 ist das alles nicht mehr. Was damals wie die größte Hürde queerer Existenzen galt (das Coming-out vor der Familie), war wahrscheinlich das Einfachste an meiner Reise zu queerer Selbstakzeptanz. Was danach kam, war deutlich kniffliger: das Hineinwachsen in die eigene Queerness und die ständige Auseinandersetzung mit Stereotypen, die einem als bisexuelle Person auf Schritt und Tritt begegnen.
Stereotype to go: Weil ein Klischee selten allein kommt
Schon bevor Heartstopper und Co. queere Sichtbarkeit auf die Streaming-Agenda setzten, gab es bisexuelle Figuren in großen Hollywood-Produktionen – nur leider meist als wandelnde Klischees. Besonders weibliche bisexuelle Charaktere wurden problematisch porträtiert: So ist Catherine Tramell in „Basic Instinct“ das Paradebeispiel für die bisexuelle Femme Fatale. Sie ist schön, manipulativ, sexuell unersättlich und gefährlich – ihre Bisexualität wird im Film zur dramaturgischen Waffe, um sie noch undurchschaubarer und bedrohlicher zu machen. Gleichgeschlechtliches Begehren wird hier als Synonym für moralische Flexibilität und kriminelle Energie inszeniert. Die sapphischen Liebesszenen? Viel männliche Fantasie, wenig Charakterentwicklung.
Auch im Serienbereich sieht es nicht besser aus: Piper Chapman in „Orange Is the New Black“ pendelt zwischen ihrem Verlobten Larry und ihrer Ex Alex und wird dabei konsequent als „verwirrt“ oder „bi curious“ abgestempelt. Ihre Anziehung zu Frauen taucht in Ausnahmesituationen oder in der Jugend auf, das Label „bisexuell“ wird gemieden wie ein Schimpfwort.
Das Ergebnis: Bisexuelle Figuren erscheinen wankelmütig, untreu, irgendwie immer auf der Suche und nie wirklich angekommen, sie haschen nach männlicher Bestätigung und Aufmerksamkeit. Für Männer ist Bisexualität angeblich nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Schwulsein, für Frauen eine Ausprobierphase vor dem endgültigen Ankommen in der Hetero-Ehe.
Mit der Zeit wurde mir klar, wie schwer das Label „bisexuell“ wiegt – mit all den Vorurteilen und Stereotypen, die mitschwingen, wenn man nicht monosexuell lebt, sich also romantisch oder sexuell nicht nur zu einem Geschlecht hingezogen fühlt. Egal ob in queeren Kreisen oder außerhalb: Fragende Blicke, nett gemeinte Kommentare und das Gefühl, immer ein bisschen deplatziert zu sein.
Bi und belastet: Warum die mentale Gesundheit oft auf der Strecke bleibt
Meine Erfahrungen sind dabei alles andere als ein Einzelfall – im Gegenteil: Vielen bisexuellen Menschen geht es ähnlich. Studien zeigen, dass bisexuelle Personen deutlich häufiger von Depressionen, Angststörungen, Suizidgedanken und anderen psychischen Erkrankungen betroffen sind als heterosexuelle oder homosexuelle Menschen.
Die Gründe dafür sind vielschichtig. Ein zentrales Thema ist „internalisierte Biphobie”, also das Verinnerlichen negativer Klischees und Vorurteile über die eigene Sexualität. Hinzu kommen Unsichtbarkeit und Invalidation: Aussagen wie „Du bist doch jetzt mit einem Mann/einer Frau zusammen – also bist du doch nicht mehr bi?“ stellen nicht nur die eigene Identität infrage, sondern sorgen auch für dauerhaften Stress, Selbstzweifel und Scham.
Ein weiterer Faktor ist soziale Isolation. Es gibt nur wenige bi-spezifische Räume, in denen offen über eigene Erfahrungen gesprochen werden kann. Zwischen heteronormativen Strukturen und monosexuell geprägten queeren Spaces bleibt wenig Platz für gelebte Bisexualität – was auch dazu führt, dass bisexuelle Menschen häufiger ungeoutet bleiben.
Auch im Dating-Kontext und innerhalb von Beziehungen ist Bi-Feindlichkeit keine Seltenheit: Misstrauen, Stigmatisierung oder Fetischisierung sind immer noch ein großes Problem. Von der obligatorischen Frage nach dem Dreier bis zu Sprüchen wie „Du verlässt mich doch eh für Geschlecht X“ – das sind keine Ausnahmen, sondern Muster, die viele bisexuelle Menschen immer wieder erleben.
Auch im Dating-Kontext und innerhalb von Beziehungen ist Bi-Feindlichkeit keine Seltenheit: Misstrauen, Stigmatisierung oder Fetischisierung sind immer noch ein großes Problem. Von der obligatorischen Frage nach dem Dreier bis zu Sprüchen wie „Du verlässt mich doch eh für Geschlecht X“ – das sind keine Ausnahmen, sondern Muster, die viele bisexuelle Menschen immer wieder erleben.
Ist Unsichtbarkeit ein Privileg?
Ich will nicht meckern. Mir ist bewusst, dass mir als bisexuelle Person bestimmte Privilegien zuteilwerden, die andere queere Personen nicht haben. Ich kann im Inkognitomodus durch den Alltag gehen. Mit meinem Freund an der Hand liest mich die Welt als hetero – ich habe ein sogenanntes Passing Privilege, was mich vor offen queerfeindlicher Diskriminierung und Gewalt schützt. Institutionelle Barrieren sind kaum existent, Wohnungssuchen verlaufen unkompliziert, Makler*innen sind freundlich.
Passing Privilege schützt vor bestimmten Gefahren, aber es bringt auch Unsichtbarkeit und das Risiko von Bi-erasure mit sich – also dem Ausradieren der eigenen Identität. Viele Bisexuelle erleben genau diese Ambivalenz: Die Umwelt liest uns je nach Partnerin als hetero oder homosexuell und erkennt unsere Identität nicht an. Das kann dazu führen, dass wir uns weder in der einen noch in der anderen Welt wirklich zugehörig fühlen. Was auf den ersten Blick wie ein Vorteil wirkt, ist oft auch ein innerer Spagat – zwischen Sicherheit und Sichtbarkeit, zwischen Schutz und dem Gefühl, nicht ganz dazuzugehören.
Dabei ist aber auch klar: Sichtbarkeit hat ihren Preis – und der ist manchmal ziemlich laut. Vor ein paar Wochen saß ich mit meiner Freundin auf einer Parkbank, als plötzlich ein Auto langsam an uns vorbeifuhr. Die Fenster gingen runter, ein paar Typen lehnten sich raus und brüllten im Chor: „LESBEN!“ Ein kurzer Moment, aber er hallt nach. Sichtbar zu sein bedeutet eben auch, zur Zielscheibe zu werden. Und ganz ehrlich: Hätte es sich besser angefühlt, wenn sie „BISEXUELLE!“ gerufen hätten? Nein. Natürlich nicht.
Der Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung geht immer auch mit einer Befreiung der anderen einher. Wir müssen Kämpfe solidarisch und intersektional denken. Sichtbarkeit ist nie nur individuell, sondern immer auch kollektiver Widerstand gegen die Zuschreibungen und Schubladen, die uns allen auferlegt werden.
Trotzdem bi
Wenn ich heute gefragt werde, wie ich liebe, dann sage ich, dass ich mich in Köpfe verliebe, in Lachen, in die Art, wie jemand umarmt, spricht, seiner*ihrer Passion nachgeht. Ich liebe unterschiedliche Menschen und ihre Eigenheiten. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle.
Was ich mir wünsche, ist Frieden zwischen Bi-Sein und dem Rest der Welt. Zwischen Zuschreibungen und dem, was Menschen wirklich fühlen. Ein Anfang wäre gemacht, wenn wir es schaffen würden, die Selbstdefinition anderer einfach mal stehen zu lassen – ohne zu relativieren, ohne mit einem „aber“ im Hinterkopf.
Sexualität ist kein Vertrag, den man mit der ersten Beziehung unterschreibt. Sie ist Erinnerung, Lust, Bewegung, Irritation, Begegnung. Bisexualität ist real – auch wenn du sie nicht sehen kannst.
Dieser Text erschien zuerst in unserem Voices Newsletter, für den du dich hier anmelden kannst.