Es ist nicht akzeptabel, dass Frauen ihrer Größe wegen ausgegrenzt werden, sagt Lydia Maurer. Sie hat ein Bademodenlabel gegründet, das auf die individuellen Bedürfnisse von Frauen eingeht.
„Standardgrößen“, „Übergrößen“ – sind das nicht Unwörter?
Lydia Maurer mag Wörter wie „Übergrößen“ oder „Plus Size“ nicht. Die Deutsch-Kolumbianerin hat ihren Job als Chefdesignerin bei Paco Rabanne gekündigt, um ihr eigenes Bademodenlabel zu gründen. „Ich habe während meiner Arbeit in Paris persönlich einen Mangel an Rücksicht der meist männlichen Modedesigner gegenüber der natürlichen weiblichen Figur erlebt“, sagt sie über ihre Motivation, etwas in der Modewelt zu verändern. Ihr Label Phylyda soll den Bereich der Bademode, bei dem Frauen oft besonders kritisch mit sich selbst sind, positiv besetzen und Frauen das Gefühl nehmen, das etwas mit ihren Körpern nicht stimmt. Die Trennung von „Standardgrößen“ und „Übergrößen“ findet Lydia nicht nur unrealistisch, sondern sogar gefährlich, weil sie Frauen trennt anstatt sie zusammen zu bringen.
Wir haben mit der Gründerin über ihr Label, Probleme in der Modeindustrie und Körperbilder gesprochen.
Wieso hängt Plus-Size-Mode eigentlich in einer anderen Ecke? Quelle: Phylyda
Oftmals wird Mode in „normale Größen“ und „Übergrößen“ eingeteilt. Du bedienst mit deinem Label aber das ganze Größenspektrum. Möchtest du kurz erklären, wieso du dich so entschieden hast?
„Diese Trennung ist meiner Meinung nach einfach nicht realistisch! Was ist mit Frauen, die oben schmal und unten breit sind, oder anders herum? Es ist so wichtig, dass wir Designer Frauen endlich mit ihren eigenen Körpern
versöhnen. Das heißt, dass nicht sie sich verändern müssen, sondern das Design und das Angebot an Mode. Selbstverwirklichung ist sehr schwer, wenn man unzufrieden mit sich selbst ist und leider vermitteln die Mode und Medien Frauen ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Es war mir wichtig, Frauen in all ihrer Verschiedenheit gleich gut zu bedienen, um hier endlich einen Veränderungsprozess einzuleiten. Es ist nicht in Ordnung, dass Frauen immer wegen ihrer Maße auseinander dividiert werden und dass Frauen, die
‘Übergrößen’ tragen, nicht die Wahl haben, gut gefertigte, nachhaltig produzierte Mode zu kaufen und zu tragen. Ich will Frauen helfen, sich ihr Selbstbewusstsein zurückzuholen und ihnen vermitteln, dass es gut ist, so wie sie sind.“
Phylyda setzt auf hochwertige Stoffe und eine ethisch vertretbare Produktion. Quelle: Phylyda
Sollte es in Zukunft überhaupt noch getrennte Abteilungen für Plus-Size-Mode geben?
„Ich kann einsehen, dass es vom Lagerbestand her für Läden leichter ist, weniger Größen anzubieten, aber diese Größentrennung hat verheerende psychische Wirkungen auf Mädchen und Frauen; Auswirkungen, die wir vermeiden könnten. Dies wäre sicherlich einfacher, wenn ‘Plus-Size’-Marken genauso viel Wert auf Qualität und Design legen würden wie andere Marken. Momentan hat man noch das Gefühl, dass das Angebot sehr disparat ist. Wenn sich Frauen weiterhin ihrer Maße wegen diskriminiert fühlen, dann wachsen Frauen nicht zusammen, sondern es werden künstliche Trennlinien geschaffen.
Also ja, ich wünschte mir, dass es zukünftig keine getrennte Abteilungen mehr gäbe, damit Freundinnen und Schwestern, Mütter und Töchter in demselben Laden oder derselben Abteilung hochwertige Mode einkaufen können.“
„Designs sollten sich Frauenkörpern anpassen, nicht andersherum.“ Quelle: Julia Marie Werner
Welches Problem gibt es in der Frauenmode – besonders wenn es um Unterwäsche oder Bademode geht? Und welchen Lösungsansatz verfolgst du mit Phylyda?
„Wenn es aber um Bademoden geht, stehen zwei Drittel aller Frauen vor einem Problem: die angebotenen Bikinisets nehmen keine Rücksicht darauf, dass Frauen häufig unterschiedliche Größenbedürfnissse hinsichtlich Ober- und Unterteil haben. Außerdem gibt es kein qualitativ und ästhetisch gleichwertiges
Angebot für Frauen, die zwischen den ‚Standardgrößen‘ – ich mag diese Ausdrücke übrigens überhaupt nicht – und den ‚Übergrößen‘ liegen! Nehmen wir an, ich brauche eine Größe 80 E oder F, habe aber kleine Hüften, also eine Größe 36. Wo kaufe ich ein Bikiniset? Keine Marke bietet ordentliche BH-Größen mit einem festen Unterband an. Stattdessen findet man ab einer
bestimmten BH-Größe nur noch verstaubte Einteiler, wo eine 80 E direkt einer
Konfektionsgröße 42 entspricht. Außerdem sind Frauen ab einer Größe 44 häufig darauf angewiesen, auf Fast-Fashion-Marken zurückzugreifen, da gut durchdachte, schön verarbeitete sowie verantwortlich hergestellte Teile der High-End-Marken nur in kleinen Größen zu haben sind. Zwei Drittel aller Frauen werden somit außer Acht gelassen. Ich finde es inakzeptabel, dass
Frauen ihrer Größe wegen ausgegrenzt werden.“
Bei der Auswahl der Models war Lydia wichtig, die Vielfalt von Frauen zu zeigen. Quelle: Phylyda
Was inspiriert dich am meisten bei deiner Arbeit für Phylyda?
„In Paris habe ich über zehn Jahre in der Luxus-Mode gearbeitet und an mir selbst gemerkt, welchen schädlichen Effekt das Modemarketing auf das Selbstwert- und Körpergefühl von Frauen hat. Ich habe es mir deshalb zur Mission gemacht, mit meiner Marke und meiner Erfahrung als Designerin Frauen auf ihrem Weg zur Selbstakzeptanz, ja zur Selbstliebe, zu begleiten.
Was mich am meisten inspiriert, ist, wenn Kundinnen hierzu ein positives Feedback geben und sich durch Phylyda bestärkt fühlen.“
Ich bin schwer verliebt in eure Lookbook-Bilder, die auf diese Art ja wirklich neu sind. Wie habt ihr die Models ausgewählt? Und was war dir für das Shooting besonders wichtig?
„Das Lookbook-Shooting war ganz spontan, weil ich alle Frauen erst ganz kurz vor dem Shooting angesprochen hatte. Es war mir wichtig, dass die Frauen sich gegenseitig ergänzen und damit die Vielfalt deutlich machen.
Außerdem gab es noch ein Shooting mit Melanie von Trust the Girls. Wir hatten große Lust, ein Body-Positivity-Shooting zusammen zu machen, mit verschiedenen Frauen, die – genau wie wir – anderen Frauen Mut machen wollen und keine Probleme damit haben, unretuschiert im Bikini fotografiert zu werden. Das war anfangs nicht einfach. Aber wir hatten ein immenses Glück, dass diese tollen Powerfrauen zugesagt haben. Wichtig war uns, dass die Frauen verschiedene Persönlichkeiten und Aspekte sowie natürlich auch körperliche Verschiedenheit aufweisen.“
Besonders bei Bademode gibt es eine Marktlücke für gute Designs, die allen Größen passen. Quelle: Julia Marie Werner
Inwieweit spielt eine faire und nachhaltige Produktion für euch eine Rolle?
„Das war für mich ein zentraler Punkt, als ich Phylyda gegründet habe. Ich habe immer im Luxus-Sektor gearbeitet und in den Häusern, in denen ich gearbeitet habe, wurden unsere Teile stets in sehr gut organisierten Fabriken produziert. Für Phylyda habe ich mir dasselbe gewünscht. Unsere Produkte werden deshalb alle in Europa, nämlich in Fabriken in Italien und Portugal, hergestellt. Fabriken, in denen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine faire Bezahlung und
ein geregeltes Arbeitsleben haben. Auch bei Zutaten und Stoffen ist es mir wichtig, die Umwelt und die Gesundheit der Trägerinnen, sowie der Personen in der Zulieferkette, nicht mit Schadstoffen in Kontakt zu bringen. Alle Materialien sind deswegen Öko-Tex-zertifiziert.“
Was wünschst du dir für die Zukunft der Modewelt?
„Mehr Respekt, Verantwortlichkeit und Einfühlungsvermögen. Die Modeindustrie ist von enormer Bedeutung und sie ist auch verantwortlich für große Umweltprobleme. Wenige der Verantwortlichen denken dabei auch an die schädlichen sozialen und psychologischen Wirkungen der Modekommunikation und -vermarktung, die dringend reformiert werden müssen.“
Freudinnen sollten gemeinsam in der gleichen Abteilung einkaufen können. Quelle: Julia Marie Werner
Du hast deinen Job als Creative Director bei Paco Rabanne aufgegeben, um dein eigenes Label zu gründen. Willst du uns kurz erklären, wie es zu deiner Entscheidung kam?
„Damals wusste ich nur eines: Ich wollte in dieser Industrie, so wie sie sich mir darstellte, nicht mehr arbeiten. Es schien mir einfach nicht mehr vertretbar, diesen schädlichen und frauenfeindlichen Schlankheits- und Proportionswahn zu verbreiten und zu unterstützen. Bei Vorbereitungen zu meiner letzten
Show wurde mir dies kristallklar. Ich hörte viele hässliche, menschenverachtende Kommentare den Models gegenüber und so wuchs bei mir die Einsicht, etwas verändern zu müssen. Das ging natürlich nicht zusammen mit einer so stark auf alte Frauenbilder und alte Schönheitsideale fixierten Modeindustrie. Es war an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen und eine Firma zu gründen, in der ich Frauen so ansprechen kann, wie
sie es meiner Meinung nach verdient haben. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich dann die Firma gegründet habe und ich habe es bis jetzt nicht bereut.“
Neue Labels haben es oft nicht einfach – welche Erfahrungen machst du gerade?
„Oh, das ist absolut wahr. Wobei ich sagen muss, dass kleine Nischenmarken wie Phylyda flexibler sind und mehr auf Kunden eingehen können. Trotz allem braucht es Zeit, um eine Marke zu etablieren und Zeit ist Geld. Deshalb bin ich zurzeit auf der Suche nach Investoren, Investorinnen oder Business Angels, die diese Mission, die Markenidee und das notwendige Wachstum unterstützen.
Wichtig ist natürlich auch ein gutes Team, um alle Aufgaben, die sich stellen, erledigen zu können.“
Phylyda soll Frauen zu mehr Selbstliebe verhelfen. Quelle: Julia Marie Werner
Hattest du während der Gründungsphase auch Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war? Wie überwindet man solche Phasen?
„Die Zweifel kamen immer wieder. Besonders gezweifelt habe ich an meinen eigenen Fähigkeiten wegen der Qualitätsansprüche, die ich mir selber in den Kopf gesetzt hatte. Diese hohen Ansprüche kommen natürlich aus meiner
Vergangenheit als Designerin im Luxusbereich. Ich will und werde da natürlich keine Abstriche machen. Andererseits muss man mit weniger Ressourcen auskommen und deshalb sehr viel effizienter arbeiten. Sich das bewusst zu machen, ist eine tägliche Aufgabe! Es ist wichtig, fair mit sich selbst zu sein und Etappensiege zu feiern. Dabei hilft es, immer wieder mal von der Makro- zur Mikrovision der Situation zu wechseln, um sich den Optimismus und die
positive Einstellung zu bewahren.“
Kannst du aus den ersten Monaten schon ein Fazit ziehen? Würdest du alles noch einmal genauso machen?
„Kooperation ist alles! Ich würde mehr Hilfe suchen, als ich es anfangs getan habe.“
Lydia Maurer gab ihren Job bei Paco Rabanne auf, um ihr eigenes Label zu gründen. Quelle: Phylyda
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