Der Kinofilm „Crossing: Auf der Suche nach Tekla” von Regisseur Levan Akin macht die Herausforderungen und die große Solidarität innerhalb der trans Community spürbar und bricht mit den Erwartungen der Zuschauer*innen. Unsere Autorin Mona Siegers traf sich mit Levan Akin zum Gespräch.
Viele queere Menschen kennen das Gefühl, dass sie von ihrer Familie verureilt oder im Stich gelassen werden. Der Film „Crossing: Auf der Suche nach Tekla“ erzählt mehr als das. Er stellt die Frage: Was passiert, wenn deine Familie nach langer Zeit endlich wieder versucht, zu dir zurückzufinden? – Queere Geschichten müssen weder grausam sein noch bestehen sie ausschließlich aus der Coming-Out-Thematik. Regisseur und Drehbuchautor Levan Akin zeigt ein neue Seite der Verbundenheit zwischen queeren Menschen und ihrer Familie. „Crossing“ ist progressiv trans. Im Fokus stehen Solidarität, Verständnis und Familie.
Trans sein ist ein integraler Teil der Geschichte, steht aber nicht im Fokus. Das Ergebnis ist ein poetischer Roadmovie – und zugleich etwas, wovon das LGBTIQ+ Kino sehr viel mehr braucht. Levan Akin ist schwedischer Filmemacher georgischer Herkunft. 2019 erschien sein Film „Als wir tanzten“, der von Kritiker*innen gefeiert wurde.
Basiert „Crossing“ auf einer wahren Geschichte? Erzähle uns über den Rechercheprozess und deine Inspiration für den Film.
Levan Akin: „Der Film an sich basiert nicht direkt auf einer wahren Geschichte. Aber als ich in Georgien war und wir meinen Film ,Als wir tanzten‘ drehten, hörte ich eine Geschichte über einen Großvater, der seine Enkelin unterstützte. Sie wurde quasi aus ihrem Zuhause in ihrem Heimatdorf rausgeworfen und lebte dann in Tbilisi. Ihr Großvater kam sie regelmäßig besuchen und war generell sehr präsent in ihrem Leben, ,obwohl’ sie trans war.
Er wurde für die Nachrichten interviewt und sie haben ihm extrem transfeindliche Fragen gestellt. Sie fragten: ,Warum unterstützt du sie?’ Und er sagte nur: „Sie ist meine Enkelin.“ Ich fand das unglaublich schön und bestärkend, denn zu dieser Zeit gab es viele Diskussion in Georgien. Es ging immer um die alte Generation gegen die neue Generation.
Ich wollte Positivbeispiele von alten Menschen und Verwandten zeigen, die eben auch unterstützend sind. Sie müssen nicht intolerant sein. Sie entscheiden sich dazu. Man kann sich nicht verstecken hinter Sätzen wie ,Es ist eine Generationensache‘ oder ,Ach komm, er kommt aus einer anderen Zeit’. Ja, sie sind aus einer anderen Zeit, aber sie leben doch jetzt und hier. Das alles war Teil des Ursprungs und der Idee für diesen Film.“
Insgesamt würde ich deinen Film als sehr progressiv trans beschreiben, aber nicht als einen Film darüber, trans zu sein. Wir schauen im Film eher von außen auf die trans Community und Charaktere. Ihr trans-Sein gehört zu der Geschichte, steht aber nicht im Fokus. Würdest du hier zustimmen?
„Ja, 100 Prozent. Es war gar nicht von Anfang an klar, dass Tekla eine trans Person sein würde. Ich wollte vor allem eine Geschichte aus der Perspektive eines*einer Verwandten oder Familienangehörigen einer LGBTIQ+ Person erzählen. Und ich wollte eine Geschichte über patriarchale Normen erzählen und darüber, wie das Patriarchat unser Leben prägt und schwer macht. Wir alle fallen ihm zum Opfer – auch ich.
Ich wollte zeigen, wie der Queer Struggle (Anm. der Redaktion: kollektiver Kampf von LGBTQ+ Personen gegen Diskriminierung, Unterdrückung und für Gleichberechtigung und Anerkennung in der Gesellschaft) sich irgendwie auch auf die Familien auswirkt – vor allem auch auf die Frauen in den Familien.
„Ich wollte zeigen, wie der Queer Struggle, von dem wir alle ein Teil sind, sich irgendwie auch auf unsere Familie auswirkt – vor allem auf die Frauen in unserer Familie.“
Würdest du sagen, wenn es einen Bösewicht in diesem Film gäbe, dann wäre es das Patriarchat?
„Vielleicht. Es gibt ein bestimmtes Narrativ bei Filmen mit vergleichbarer Thematik. Ich will mit den Erwartungen an diese Filme spielen. Dieses herkömmliche Narrativ interessiert mich nämlich nicht. In ,Crossing’ gibt es keine Darstellungen von direkter Feindseligkeit gegenüber trans Personen. Es gibt kein Deadnaming, keine transfeindlichen Beleidigungen, kein Misgendering (was auf natürliche Weise durch die georgische und türkische Sprache passiert, da es hier keine gegenderten Personalpronomen gibt).
Für mich als Filmemacher ist es wichtig, dass man, wenn man den Film schaut, spüren kann, dass er sich in der realen Welt abspielt. Es ist keine Fantasiewelt, ich möchte keine Illusion kreieren. Man versteht es durch die Geschichten, die die Charaktere erzählen. Und natürlich durch Teklas Geschichte und all das, was sie durchmacht.
Die Menschen der trans Community in Istanbul sind sehr marginalisiert und das spürt man auch. Aber ich zeige es nicht durch Szenen mit direkter aggressiver Feindseligkeit. Denn wie schon gesagt, dahin möchte ich nicht. Ich würde mich damit als Filmemacher niemals wohlfühlen.“
Also gab es nie derartige Szenen, auch nicht in frühen Versionen des Drehbuchs?
„Nicht wirklich. Es gab eine Szene in einer sehr frühen Version, in der die Zuschauer*innen Tekla auf der Beerdigung ihrer Mutter treffen und sie sehr schlimm von den Leuten aus dem Dorf behandelt wird. Aber die habe ich sehr schnell gestrichen. Denn ich wusste: Das ist es nicht. Ich kann keine solche Szene zeigen. Man sieht es doch zwischen den Szenen, zwischen den Zeilen. Weißt du, was ich meine? Es wird darüber geredet und sie erkennen es an. Es existiert im Kontext der Geschichte.
In ,Als wir tanzten’ habe ich es ähnlich gemacht. Die Charaktere im Film reden über einen Tänzer, der das Ensemble verlassen musste, weil man herausgefunden hatte, dass er schwul war. Sie sprechen über die Gewalt, aber ich zeige sie nicht. Wir haben diese gewaltvollen, aggressiven, brutalen Szenen doch alle bereits gesehen. Unglücklicherweise tragen wir diesen Ballast.“
Also gibt es nicht wirklich einen Grund, explizit diese Dinge zu zeigen?
„Ich finde nicht. Ich denke, dass Bilder, die wir in Filmen oder in der Kunst sehen, uns stark beeinflussen und auch verändern, wie wir auf die Welt schauen. Wir sind so geprägt durch das, was wir täglich sehen. Wenn man nun Narrative schafft, die anders sind, glaube ich, dass die Menschen sich irgendwann auch anders verhalten.
„Wenn man Narrative schafft, die anders sind, glaube ich, dass die Menschen sich irgendwann auch anders verhalten.“
Ich würde mir hingegen wünschen, dass vielleicht ein paar Menschen, die diesen Film sehen, ihr Telefon nehmen und eine Person aus ihrer Familie anrufen, nur um zu sagen, dass sie sie lieben.“
Wenn queere Personen in einer Geschichte vorkommen, passiert normalerweise immer etwas Schlimmes.
„Ich weiß. Außer vielleicht in ein paar Pedro Almodovár-Filmen aus den frühen 2000ern. Dort sind sie einfach Charaktere im Film, was unglaublich erfrischend ist. Aber sonst stimme ich dir zu. Es gibt nicht viel.
Dabei fällt mir ein: Hast du Veneno gesehen, die spanische Serie (2020)? Sie ist wundervoll. Es geht um eine berühmte trans Frau, die ein Star im Spanien der 90er ist – und um ihre Lebensgeschichte. Es gibt vielleicht ein paar triggernde Momente, aber die Art, auf die es gemacht wurde, ist ganz anders. Alle Hauptcharaktere sind trans und viele von ihnen spielen eine Version von sich selbst. Es ist eine der besseren Serien, die ich in den letzten Jahren gesehen habe.“
Danke für den Tipp! Wir sehen ja Evrim im Film durch den Prozess einer offiziellen Namens- und Geschlechtsänderung gehen. Für Deutschland ist das sehr aktuell, denn gerade dieses Jahr wurde das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. Warum hast du dich entschieden, dieses Thema aufzugreifen und Evrim auf diese Weise in den Film einzuführen?
„Ich wollte, dass die Szenen mit Evrim sich so spezifisch wie möglich anfühlen. Deswegen habe ich viel Zeit während meiner Recherche in Istanbul mit NGOs verbracht. Durch sie traf ich eine Frau, die Jura studierte und Aktivistin ist. Sie ging gerade durch den Prozess, ihren Ausweis ändern zu lassen und sie fragte mich, ob ich sie zu einem ihrer Termine begleiten wolle.
Der Arzt schaute uns nicht einmal an und alles war seltsam und furchtbar. Der ganze Prozess war auch so bürokratisch. Ich hätte einen ganzen Film über diesen Tag in dem Krankenhaus machen können: Man muss in jede Abteilung gehen und quasi ,genehmigt’ werden. Es war total demütigend, erniedrigend und einfach nur schrecklich. Deswegen wollte ich es im Film haben. Es war eine gute Art der Figureneinführung: Das ist Evrim. Das ist, wo sie steht. Hier ist die Situation, in der sie sich gerade befindet.“
Evrim als Charakter fühlt sich sowohl sehr stark als auch real an. Und sie ist nicht der einzige trans Charakter. Natürlich gibt es noch Tekla und viele weitere trans Frauen in der Besetzung, die wir in der queeren Nachbarschaft in Istanbul treffen. Die meisten Schauspieler*innen waren Amateur*innen, richtig?
„Ja, absolut. Deniz Dumanli (Evrim) war noch nie in einem Film und auch die restliche Besetzung bestand aus unerfahrenen Darsteller*innen. Mzia Arabuli (Lia) arbeitet im Theater, nur sie hat Schauspielerfahrung. Und die Person, die für den Großteil der Besetzung zuständig war – auch für alle trans Charaktere – ist ebenfalls trans; sie verfügte über ein riesiges Netzwerk und hat einen fantastischen Job gemacht.“
Konnten die Schauspieler*innen Einfluss nehmen auf Entscheidungen innerhalb der Szenen?
„Ja, sowohl während des Castings als auch in den Szenen. Wir hatten auch viele trans Personen hinter der Kamera, was sehr dabei geholfen hat, den Ton richtig zu treffen.
Nicht nur die trans, sondern die queere Community insgesamt in der Türkei nennt sich Lubunya. Die Lubunya haben ihren eigenen Slang und ihre eigenen Wörter und die Charaktere sprechen im Film tatsächlich Lubunya.
Neulich hatten wir ein Screening in Berlin, wo viele Menschen aus der Istanbul-Community waren, die mittlerweile in Berlin leben. Sie waren sehr glücklich, diese Worte zu hören und lobten die Authenzität. Das war natürlich absolut den Menschen zu verdanken, die am Film gearbeitet haben und die Sprache kennen. Also ja. Sie hatten einen unglaublich großen Einfluss.“
Als du in anderen Interviews über Istanbul gesprochen hast, sagtest du, dass „Crossing“ auf eine Art und Weise ein Liebesbrief an Istanbul sei. Ich persönlich war noch nie in Istanbul, aber während ich den Film schaute, fühlte ich mich sofort hineingezogen zu dieser Stadt. Kannst du ein bisschen davon erzählen, wie du diese Energie so einfangen konntest?
„Das Ding ist, Istanbul ist so divers, du kannst einen Film machen und 50 verschiedene Versionen von Istanbul zeigen. Du kannst einen Film drehen, in dem Istanbul komplett anders als in meinem Film aussieht, denn es gibt so viele verschiedene Gebiete und Nachbarschaften. Die Region, in der ich gefilmt habe, das sind die Straßen, in denen die Community lebt. Ich wollte, dass der Film so authentisch wie möglich zeigt, wo Lia und Achi tatsächlich auf ihrer Suche nach Tekla landen würden.
Es war schwierig, in Istanbul zu filmen. Wir mussten das Gedränge und das Treiben der Menschen in Istanbul nachstellen. Ich bin glücklich, dass wir es geschafft haben, zu zeigen, wie es wirklich ist, in Istanbul anzukommen. Darauf ist das gesamte Team sehr stolz – dass wir Istanbul auf diese Weise einfangen konnten.“
Deine Charaktere sprechen Georgisch, Türkisch, Englisch und auch Lubunya. An Stellen im Film können sie nicht miteinander sprechen oder tun sich schwer damit, aber scheinen trotzdem diese Barrieren zu durchbrechen, um zu verstehen und zu helfen. War das deine Intention?
Ich finde es aufregend, diese Barrieren zu haben, aber eben auch zu zeigen, wie du diese Barrieren durchbrichst, um einer anderen Person zu helfen. Ich liebe die Szenen im Film, in denen Lia eine Gruppe von Frauen in ihrem Haus besucht und sie versuchen miteinander zu sprechen. Irgendwie schaffen sie es, sich zu verständigen, was sehr lustig ist, wie ich finde. Wir können auf so viele unterschiedliche Weisen kommunizieren und es ist faszinierend, das auch zu zeigen.“
„Ich liebe Charaktere, die versuchen, Dinge besser zu machen, wenn sie in einer schwierigen Situation sind.“
Möchtest du mit dem Film also auch zeigen, wie wir soziale Barrieren aufbrechen können?
„Definitiv. Achi versucht, mutig zu sein. Auch Evrim beweist großen Mut. In einer Szene betritt sie eine Polizeistation und fühlt sich zunächst verloren. Doch dann gewinnt sie ihr Selbstbewusstsein zurück, als sie merkt, dass die beiden Männer, mit denen sie spricht, keine Ahnung haben. Diese Szenen machen mich glücklich und ich fühle mich bestärkt, wenn ich sie sehe.
Ich liebe Charaktere, die in schwierigen Situationen versuchen, Dinge zu verbessern. Wie Achi, der mitten in der Nacht auf die Straße geht und Passanten nach einem Job fragt. Das ist einfach berührend.“
Abschließend noch die Frage: Welche Message oder welches Gefühl möchtest du durch den Film vermitteln – für cis und trans Menschen?
„Vielleicht möchte ich Menschen dazu bringen, noch einmal mehr nachzudenken, denn das Leben ist kurz, wir alle haben nur ein Leben und wir haben nur ein paar Menschen um uns herum, für die wir wirklich da sein sollten. Verschwende nicht dein Leben, verschwende nicht deine Zeit. Ich glaube, das ist etwas, worüber ich viel nachdenke. Denn es gilt für jeden Kontext.
Und uns allen wünsche ich, dass wir uns alle lieben für diejenigen, die wir sind. Es klingt banal, aber ich finde, es ist wichtig, uns daran zu erinnern und uns gegenseitig zu akzeptieren.“