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Warum der schnelle Erfolg als selbstständige Online-„Mompreneur“ eine Illusion ist

Mutter, Online-Unternehmerin und Bloggerin – selbstständig. Meine Arbeitszeit liegt weit über 30 Stunden pro Woche. Aber mein Verdienst liegt weit unter der Hälfte eines Teilzeitjob-Gehalts. Ich fühle mich – gelinde gesagt – frustriert.

 

Seit sechs Jahren haarscharf am Burnout vorbei

Seit sechs Jahren bin ich Mompreneur. Anfangs versuchte ich mein Glück als Yogalehrerin, begann dann, tagsüber zu bloggen, gründete eine kleine Manufaktur mit Online-Shop und betreue nebenher kleine Kunden als Werbetexterin. Ich habe dem allgemeinen Konsens „wenn du dich über alle Maßen anstrengst, disziplinierst und fokussierst, deiner Leidenschaft folgst und dich immer weiterbildest, wirst du automatisch Erfolg haben“, geglaubt. Ich habe so fest dran geglaubt, dass ich seit sechs Jahren immerzu haarscharf am Burnout vorbeischramme.

Ich habe dem allgemeinen Versprechen der vielen Social-Media-Berater, „im Internet kann jede Mutter mit der richtigen Idee und genügend Fleiß mit einem Blog oder Online-Shop ihren Lebensunterhalt verdienen“, blind vertraut. Es hörte sich so gut an! Und jetzt? Ich arbeite so hart und so fleißig wie nie zuvor, folge beständig meiner Leidenschaft, bin fokussiert, diszipliniert, bilde mich beständig weiter, habe seit eineinhalb Jahren einen Coach und verdiene trotzdem fast nichts! 

Ich fühle mich belogen! 

Doch eines nach dem anderen. Als meine Tochter 18 Monate alt war,
begann ich, meinen Traum in die Tat umzusetzen und als Yogalehrerin zu arbeiten. 
Die Bedingungen waren scheinbar perfekt:

Wir lebten in der Hauptstadt. Der Yogahype war ziemlich weit
oben Richtung High Peak. Meine Osteopathin stellte mir ihre wunderschönen
Räumlichkeiten fünf Häuser weiter zur Verfügung. Anfangs plante ich, zwei Abendstunden
á 90 Minuten zu geben – später sollten es mehr Termine werden. Ich hatte eine Menge
Freundinnen und Bekannte, die mich unterstützten und die ersten Stunden füllten.

Der Unterricht lief gut, ich lebte richtig darin auf und war
überglücklich, mein Yogawissen weitergeben zu können – nur leider kamen viel, viel weniger Interessierte als gedacht! Also legte ich jetzt erst richtig los: Ich verteilte viele
hundert Flyer im Viertel, baute eine schöne Internetseite auf, entwickelte jede
Woche neue Themen für die Yogastunden und schickte
selbstgeschriebene Inspirationsartikel dazu an die Yoginis. Ich ging auf jeden
Wunsch der Teilnehmerinnen ein, verschob die Stunden bei Bedarf ein wenig nach hinten oder
nach vorne, telefonierte viel hin und her, machte finanzielle Zugeständnisse – kurz
gesagt: Ich gab alles, wozu ich die Kraft hatte.

Nach ein paar Monaten mit vollem Einsatz war
der anfängliche Drive einer
Hysterie gewichen. Ich war gestresster als während meiner 60-Stunden-Woche in
der Werbeagentur aus meinem früheren Leben! Und das wegen Baby plus zweimal 90 Minuten Yoga und dem unverzichtbaren Online-Kundenpflege-Programm!

Eines Tages rannte ich buchstäblich gegen die Wand

Ich kümmerte mich um die acht bis zehn Stunden die Woche, um dieses
kleine bisschen Yogaunterricht zu organisieren und verdiente damit so um und bei 150 Euro im Monat
nach Abzug der Raummiete. Mein Mann war mir ein Dorn im Auge geworden, mein
Kind schien einfach nicht genug von mir zu bekommen, mein kleines Yogastudio
schien nicht interessant genug zu sein für meine Zielgruppe…je mehr ich all
die Tipps und Ratschläge für selbstständige Mütter und Yogalehrer versuchte
umzusetzen, desto gestresster wurde ich und es half kein klitzekleines bisschen! 

Migräne und Neurodermitis flippten total in und auf mir aus,
ich wurde immer fahriger, bis ich
eines Tages so unter Strom stand, dass ich mich in
der räumlichen Einschätzung vertat und mit dem Kopf volle Lotte gegen den
Türrahmen sprang. Peng! Arnica. Kühlpad. Krankenhaus. Röntgen. Schwester zur Hilfe holen. Mein Mann, selbst selbstständig, war mitten in der Kundenakquise-Phase und zu nix zu gebrauchen. Ich gab auf.

Neuer Start, neues Glück? 

Zwei Jahre später nahm ich in neuer Umgebung wieder Anlauf und
versuchte es noch mal. Es kam eine kleine, feine Gruppe zusammen und
wir hatten wunderbare Yogastunden – doch dafür mehr als 
‘n Appel und ‘n Ei zu
bezahlen, wollten einige Damen nicht. Die waren zwar ihre Schlafstörungen wie
durch ein Wunder los und fühlten sich rundum wunderbar, es gefiel ihnen super
gut, aber mehr als 10 Euro für 90 Minuten Personal Yoga + Tee + ein bis zwei Stunden Seelsorge
vor- und hinterher – nein, da könnten sie ja für das gleiche Geld ins Fitnessstudio
gehen. Verstehste? 

Ungläubig aber ratlos gab ich es erneut auf.

Egal wie viel ich mich anstrengte – es wurde nicht besser

Ich war deprimiert. Alles, was ich wollte, war doch, schönes Yoga zu unterrichten. Ich wollte mir eine
Zukunft aufbauen. War bereit, alles an Kraft und Zeit zu investieren, das mir zur Verfügung stand. Ich wollte Geld verdienen. Und unabhängig und selbstständig sein!

Liegt im Bloggen die Lösung?

In meiner Verzweiflung begann ich, einen Blog zu schreiben.
Eine Art Magazin für schöne, aber einfache Selbstmachprojekte aller Art. Und auch hier bekam ich tolle Resonanz. Und eine stabile Leserschaft. Aber es kamen insgesamt viel zu wenig
Leser, als dass es auch nur im Ansatz ein wirtschaftliches Projekt hätte werden können. Ich las 1000 Ratgeberblogs dazu, schaute 800 Webinare, setzte viele
viele Tipps um, bloggte regelmäßig, versuchte mich wieder und noch mehr in SEO,
erprobte Plattformen wie die BrigitteMom-Blogliste, Instagram, Pinterest,
HandmadeKultur, Facebook….auch hier investierte ich über Jahre viel, viel
Leidenschaft und Herzblut und Ideen.

Wenn ich nicht am Rechner saß, kreisten meine
Gedanken immerzu um die Frage: Was kann oder muss ich noch
tun, damit ich mit meiner Arbeit endlich ausreichend eigenes Geld verdiene? Die Antwort lautete überall: noch mehr machen! Noch mehr von diesem und noch mehr von jenem. Morgens in aller Herrgottsfrühe aufstehen, abends erst nach Mitternacht ins Bett gehen, unterwegs mit dem Handy arbeiten, Experte für die verschiedenen Social-Media-Plattformen werden, und für SEO und für Bildbearbeitung, und Netzwerken und und und…

Ich habe überhaupt keine Ahnung wie ich 100.000 Leser
monatlich auf meine Seite bekommen soll – und selbst wenn ich es schaffe – was dann?

Gleichzeitig mit dem Blog hatte ich begonnen, eine Manufaktur aufzubauen und die handgefertigten Produkte online zu vertreiben. Ich versuchte noch mehr auf Facebook, ging noch tiefer in die SEO-Thematik, stand auf
Designmärkten, machte so viel PR-Arbeit, bis ich in den einschlägigen Fach-Zeitschriften gezeigt wurde und verkaufte immer noch viel zu wenig.

Die beste Qualität ist kein Garant für neue Kunden

Alle Materialien sind aus bester Qualität.
Ich produziere sozial und fair und meine Preise sind ein Witz gemessen am
Mindestlohn. Aber ich schaffte es mit meinem Budget und meinem bisherigen Einsatz nicht,
genügend Kunden zu gewinnen, als dass ich spruchreifen Gewinn machen würde.

Mittlerweile war die Verzweiflung und Enttäuschung mein zweites Gesicht geworden. Ich gehe alle meine
Projekte mit 150 Prozent Leidenschaft und Engagement an. Habe alle Tipps und
Ratschläge umgesetzt, die in meiner Macht standen. Ich habe durchgehend
positive Resonanz erhalten, kann aber keinen finanziellen Erfolg verbuchen. Und ich spreche hier nicht von der Selfmade-Millionärin, sondern vom üblichen Lohn für einen alltäglichen Teilzeitjob!

Ich arbeite mindestens 20 Stunden die Woche am Rechner (meistens wesentlich mehr),
mindestens 10 Stunden zusätzlich produziere und unterrichte ich (meistens wesentlich mehr), denken und grübeln, forschen und scannen tue ich 24/7. 

Ich kann keine Zeitung lesen, ohne ununterbrochen auf der Suche nach neuen
Ideen zu sein. Ich kann nicht in den Urlaub fahren, neue Leute kennenlernen, auf
Veranstaltungen gehen, U-Bahn fahren, beim Zahnarzt sitzen oder bei Rewe in der
Schlange stehen, ohne ununterbrochen meine Umgebung zu untersuchen nach neuen Impulsen,
die meinen Projekten noch fehlen.

Auf die Zukunft hoffen

Ich lese begeistert auf Netzwerk- und Berater-Seiten wie Mompreneurs die Geschäftsberichte
der anderen Frauen. Und frage mich, wieso klappt das bei denen und bei mir
nicht? Was mache ich noch falsch? Was habe ich bisher vergessen oder übersehen?
Und dann auf einmal sehe ich den Satz, den ich beim Scannen übersehen habe: „Noch wirft es keine großen Gewinne ab, aber ich stehe ja noch am Anfang
und sehe zuversichtlich in die Zukunft….“ – so oder so ähnlich steht es da
bei so vielen! 

Und sie alle tummeln sich genau wie ich auf diesen Seiten,
scannen und suchen händeringend nach dem ultimativen Zauberspruch, der ihrem
Onlinehandel, ihrem Online-Beratungsangebot, Ihrem Startup oder was weiß ich
den Kick geben, damit sie endlich davon leben können.

Wir nennen uns stolz und hoffnungsvoll Mompreneure,
Busymoms, Selbstständige. Wir jonglieren wie verrückt die Bälle: Business, Kind,
Partnerschaft, Gesundheit, Haushalt, Erfolgswunsch und Schuldgefühle in der
Hoffnung und dem festen Glauben, es zu schaffen, wenn wir uns nur doll genug
anstrengen.

Verdienen tun die anderen – an uns

Wir sitzen meist alleine am Schreibtisch, klauen uns überall
ein bisschen Extra-Zeit, um noch mehr der vielen, vielen Aufgaben endlich zu
erledigen. Wir sind beschäftigt bis zur Schnappatmung, haben tolle Ideen, super
Angebote und wunderschöne Onlineauftritte – aber verdienen tun die anderen an
uns. Die, die uns den Erfolg versprechen, wenn wir ihr Know-How einkaufen.

Die, die uns versprechen, dass wir mit dem Bloggen unser
Geld verdienen können. 

Die, die uns versprechen, dass wir mit einer Email-Liste automatisch Geld
verdienen werden. 

Die, die uns versprechen, dass wir mit Ebooks und Online-Workshops passiv Geld
verdienen können. 

Die, die uns versprechen, dass wir nur ausreichend wertvolle Freebees
verschenken müssen, dann würden die Kunden schon für anderes bezahlen. 

Die, die angeblich DEN Trick wissen und mir jeden Tag zahlreich auf
Facebook vorgeschlagen werden.

Die, die sich alle gegenseitig widersprechen: Keywords sind das Wichtigste –
Keywords sind Quatsch mit Soße. Instagram ist der Renner – Pinterest ist das
Wahre. Fotos müssen professionell sein – Fotos kann man auch nebenbei mit dem Handy schießen. 

Und und und….

Doch jetzt mal ehrlich: Wenn alle Mompreneurs, die einen kleinen Online-Shop oder Coaching, oder Ernährungsberatung oder Social
Media-Marketing-Beratung betreiben das beste SEO aller Zeiten machen, können ja
trotzdem immer nur 10 davon sich auf der 1. Google-Seite tummeln! Mehr Platz
ist nicht. 

Und irgendwann sind auch alle super starken Keywords
abgenudelt.  Das heißt dann, dass
man zusätzlich zum Shop mit allem Drum und Dran die beste Email-Liste braucht
(und auch dann wieder nur eine von ganz vielen besten Emaillisten ist!), tolle
Newsletter mit super Freebees stundenlang entwickelt und verschickt (und auch
diesen Kniff werden die anderen 99 versuchen), Ebooks schreibt und für 2,50€
anbietet , netzwerkt, on- wie offline präsent ist und und und… 

Lange Rede
kurzer Sinn: Zu behaupten, dass das alleine mit der begrenzten Zeit eines Tages
und der Kraft eines einzelnen Menschens zu schaffen ist – mit Kind & CO –  ist Quatsch mit Soße! 

So einfach ist es nicht!

Wie soll eine Mutter – nur mit dem
nötigen Quäntchen an Kompetenz, Organisation und Disziplin bewaffnet – all diese Fachabteilungen alleine bedienen können – neben all dem anderen?

Und wenn wir es nicht schaffen, dann waren wir nicht
fleißig genug? Haben uns nicht genug diszipliniert? Zusammengerissen?
Fokussiert? Waren zu naiv? Oder gar ungeeignet?

Ich habe das Gefühl, dass der versprochene Erfolg, der in
dem Projekt Online-Mompreneur steckt, eine ganz fürchterlich perfide Ausnutzung
unserer tiefen Sehnsucht nach Anerkennung und Selbstwirksamkeit im
Familienleben ist! 

Es ist eine dieser fiesen Lügen, die uns Frauen seit einigen
Jahren aufgetischt wird und viele von uns sich wie verrückt anstrengen lässt – und die
Realität total aus den Augen verlieren lässt.

Es ist viel komplexer, als es scheint!

Meiner Erfahrung nach gibt es keinen Trick, keinen
Zauberspruch und keine einfache schnelle Lösung, um im Dschungel der Online-Angebote Erfolg zu haben. Es gibt so viele Dinge, die bedient und gelöst werden müssen,
es muss auf so vielen Tanzflächen gerockt werden, es gibt so unendlich viel zu
tun – wenn man dafür nicht ganz viel Knowhow oder Zeit oder Kapital in der Handtasche hat, um die Spezialisten und/oder Google Adwords einzukaufen, wird
das selten mehr als ein individuell schönes, aber finanziell betrachtet unglaublich frustrierendes, kräftezehrendes Unterfangen
sein, das auch nach zwei bis fünf Jahren noch kaum Erfolg, kaum Geld und keine Rente erwirtschaftet.

Bin ich eine Versagerin?

Jaha, ich habe in meinem Lebenslauf all meine Tätigkeiten stehen!

Jaha, ich habe vor allem in den letzten sechs Jahren unfassbar
viel gelernt in unglaublich vielen Bereichen.

Jaha, ich bin jetzt sicherlich in ganz vielen Bereichen ein
echtes Allround-Talent.

Aber jaha, die letzten Jahre waren geprägt von vielen neuen
Falten, vielen schlaflosen Nächten, vielen Sorgen, vielen Tränen, vielen
Coachingterminen, viel Gebrülle, noch mehr Gejammer, vielen Telefonminuten, viel
Trüffelschokolade und noch mehr Ostfriesentee, vielen Osteopathie-Sitzungen und
vielen, vielen verzweifelten Stunden.

Und jaha, finanziellen Gewinn habe ich keinen gemacht!

Lohnt es sich trotzdem?

Wenn du nur begrenzte Zeit neben der Familie für deine beruflichen Aktivitäten hast und Geld verdienen möchtest- such dir lieber einen festen Job und probier dich erst einmal privat online aus, bevor du alles auf eine Karte setzt.

Das Online-Business ist vor allem eines: komplex und riesengroß.

Viele wollen etwas vom Kuchen abhaben. 

So einfach, wie es klingt und wirkt und an vielen Stellen versprochen wird, ist es nicht. 

Es gehört sehr viel mehr dazu, als einfach nur dabei zu sein und nette Sachen anzubieten.

Es kostet sehr viel Zeit und sehr viel Einsatz und sehr viel Geduld, bis es etwas werden könnte. 

Es gibt keine Zaubertricks!

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