Als ich im Mai 2017 auf meiner Facebookseite das obige Foto mit einem kurzen Text veröffentlichte, ahnte ich nicht, welche Welle es schlagen würde. Dieser Post hat – mit Abstand – die beste Reichweite seit Start meiner Seite erzielt und fast 800 Reaktionen in Form von Likes, Kommentaren oder Shares bekommen.
Mein Mut, mich mit einer Momentaufnahme aus der Zeit meiner Erschöpfungsdepression so verletzlich zu zeigen und von meinen dunklen Momenten zu erzählen wurde „belohnt“: durch die zahlreichen Reaktionen sah ich einmal mehr, wie sehr das Thema vielen unter den Nägeln brennt und dass offensichtlich darüber gesprochen werden muss. Seit Start meines Blogs in 2016 bin ich um die Themen Erschöpfung, Burnout und Depressionen bei Mamas eher gekreist, als sie direkt adressiert zu haben. Ich bin Schritte darauf zu gegangen und bin aber auch immer Schritte zurück getreten. Warum?
Weil es Themen sind, die nicht nur sehr heikel sin, sondern einem ganz schön Angst einjagen können.
Auch mir, immer noch. Denn ich weiß, wie lebensbedrohlich diese Erkrankungen für Betroffene sein und auch deren Angehörigen mächtig Angst machen können. Ich weiß auch, welches Stigma psychischen Erkrankungen immer noch anhaftet. Und ich weiß, wie bescheiden sich eine Depression anfühlt: Wenn einem nichts mehr Freude bereitet, nicht einmal mehr die eigenen Kinder. Wenn schon einfachste Aufgaben wie Haare waschen die größte Mühe bereiten.
Wenn man sich wünscht, einfach nicht mehr da zu sein
Die Sehnsucht, einfach zu verschwinden. Nichts mehr machen zu müssen. Wenn alles einfach nur noch anstrengend ist. Wäsche waschen. Einkaufen. Spazierengehen. Die Kinder versorgen. Sie auszulasten, ihnen Essen zuzubereiten und vor allem: abends die Geduld und die Nerven zu behalten, wenn sie vor dem Schlafen obligatorisch noch einmal aufdrehen, sich einen Spaß daraus machen, vor Zahnbürste und Waschlappen wegzulaufen oder noch ein weiteres Buch lesen wollen – obwohl Mama einfach nur noch Ruhe braucht.
Alles Dinge, die für Eltern eigentlich völlig selbstverständlich sind. Die in einer Depression aber zu einer übermächtigen, kaum zu bewältigenden Herausforderung werden können.
Depressionen und Burnout sind ein heikles Thema, schrieb ich oben, denn diese Erkrankungen können tödlich verlaufen: sie bergen das (unterschätzte?) Risiko des Suizids, der Selbsttötung.
Der Suizid einer jungen Mutter im entfernten Bekanntenkreis war bei mir damals der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Die Nachricht bekam ich während eines Workshops, brach vor der Gruppe zusammen, wurde glücklicherweise von dieser aufgefangen, weinte viele Tränen, fuhr etwas stabilisiert nach Hause, rauschte Tage später in den Beerdigungszug hinein …
und merkte selbst: Da stimmt was nicht mit mir.
Die Depression kam schleichend
Nicht, dass ich das nicht schon vorher gewusst hatte: Die Pflege meines schwerkranken Schwiegervaters, ein junges Unternehmen im Aufbau, der Mann beruflich viel unterwegs, mein Kleinkind zu Hause, die (emotional sehr aufwühlende) Ausbildung zur Krisenbegleiterin, meine Dozentenstelle. Ich rannte sehenden Auges in mein eigenes Verderben. Fuhr mit 200 Sachen auf der linken Spur der Autobahn, als mir der Reifen platzte. Ich kam mit ein paar Knochenbrüchen und einem Totalschaden davon. Und mit einem gehörigen Schreck: Ich hatte dem Tod ins Auge geblickt. Meinem eigenen. Diese Erkenntnis traf mich, als ich bemerkte, wie ich mich übermäßig mit dieser Frau, die sich das Leben genommen hatte, solidarisierte. Ich fragte mich fragte und nachempfinden konnte: „Wie schlecht muss es Dir gegangen sein, dass Du Deine Familie hier zurück gelassen hast?“
Über den Tod wird nicht gern gesprochen bei uns. Über Suizid erst recht nicht. Er jagt den Leuten eine Scheiß-Angst ein, ich glaube, das ist der Grund, warum das Thema so tabuisiert wird. Bei öffentlichkeitswirksamen Suiziden, beispielsweise von Prominenten oder am Ende spektakulärer Suchaktionen nach Vermissten, berichten Zeitungen oft mit dem Hinweis: „Für gewöhnlich berichten wir nicht über Suizide, da die Berichterstattung eine hohe
Nachahmerquote hat.“ Man nennt das den Werther-Effekt, denn Goethe entfachte schon damals einen Skandal mit der Veröffentlichung seines melancholischen Meisterwerks.
Die gute Nachricht ist: Die Zahl der Suizide hat sich seit 1980 um mehr als ein Drittel reduziert, was unter anderem auf eine verstärkte Aufklärung zurückzuführen ist und daher schneller interveniert werden kann, wenn eine Person im Zuge einer schweren Krise über einen Suizid nachdenkt. Doch durch Suizid sterben nach wie vor mehr Menschen als durch Verkehrsunfälle und Drogen zusammen – wenn man sich das vor Augen führt und dann auch noch weiß, dass gerade Depressionen oft gut behandelbar sind, dann sind die rund 10.000 Suizidopfer im Jahr ein Skandal. Ein Thema, über das dringend gesprochen werden muss. Weil es Vorsorge- und Hilfsmaßnahmen gibt, um die Zahl der Betroffenen noch weiter zu senken – und die müssen ausgebaut werden.
Depressionen: Das Schweigen brechen!
Es ist wichtig, weiterhin das Schweigen zu brechen. Mit dem Tabu und Stigma Schluss zu machen, das Depressionen und Burnout immer noch anhaftet.
Damit Betroffene schnelleren Zugang zu Hilfsangeboten finden. Und damit Nicht-Betroffene über die Krankheit informiert sind und die richtigen Maßnahmen ergreifen können, wenn sie merken, dass einer ihrer Lieben Hilfe braucht.
Nach meinem Zusammenbruch musste ich meine Helfer vom Krankenbett aus selbst instruieren, wie sie mir helfen konnten. Keiner wusste so recht, was zu tun ist mit mir und nicht alle Fachleute glänzten mit ihren Fähigkeiten. Vorsorge ist besser als Nachsorge, mein absolutes Credo. Nur: wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, greifen die Vorsorgemaßnahmen nicht mehr. Da lässt sich kein Netz mehr aufbauen, da ist vielleicht Verdienstausfall, sodass eine Haushaltshilfe oder Babysitter kaum mehr finanziert werden können, da fehlt die Kraft, gesund zu kochen und um sich überhaupt aus dem Bett zu bewegen. Anrufe bei Krankenkassen oder Therapeuten können zur Mammutaufgabe werden, ganz zu Schweigen von den Papierbergen.
Da müssen andere einspringen, um zu helfen. Das ist ein Notfall, wie ein Crash auf der Autobahn.
Das Unfall- Szenario einen Schritt weitergedacht: Vielleicht wurden andere Personen durch den geplatzten Reifen in Gefahr gebracht. Ein Aufgebot an Rettungs- und Einsatzkräften, Bergungsfahrzeugen, die Unfallstelle weitläufig abgesperrt, Stau und Umleitungen. Vielleicht weitere Unfälle, verursacht durch abgelenkte Fahrer. Vielleicht Knochenbrüche, Prellungen, innere Verletzungen, ein Schleudertrauma.
Verletzungen, die vielleicht schnell heilen und man kommt mit einem Schreck davon. Man wird wetterfühlig an den Narben oder ist bewegungseingeschränkt. Vielleicht trägt man auch lebenslang die Folgen des Unfalls.
In jedem Fall verändert es das Leben – ein großer Einschnitt!
Es hat nicht alles seinen Sinn im Leben! Du kannst nur zusehen, was Du
daraus machst.
Falls Du gerade in einer scheinbar ausweglosen Situation steckst, möchte ich Dich ermutigen, Hilfe zu holen (und auch einzufordern!) und zwar so lange, bis du die für dich richtige bekommst!
Wenn du keine Person (Familie, Freunde oder Hausarzt) hast, die du ins
Vertrauen ziehen kannst oder dich einfach schämst, dann findest du heutzutage online erste Anlaufstellen. Auch anonym.
Bei den Freunden für’s Leben findest Du außerdem umfangreiche Infos zur Hilfe und Selbsthilfe bei Depressionen und Suizidgedanken sowohl für Betroffene als auch für Angehörige.
Wenn du noch nicht zu einem Therapeuten gehen möchtest, dann gibt es einige psychologisch begleitete Online-Angebote, die günstig, teilweise kostenlos, angeboten werden. Verschiedene Krankenkassen bieten eine Kostenübernahme an oder arbeiten mit Kursanbietern zusammen.
- Selfapy – Übungen, Gespräche und Videos
- Moodgym – ein kostenloses Online-Training der AOK
- Techniker Krankenkasse – der Depressionscoach der Techniker
Novego – online-basiertes, therapeutisches Unterstützungsprogramm
Deprexis24 – Hilfe rund um die Uhr - Veovita – psychotherapeutische Versorgung für Versicherte der DAK
Bedenke dabei bitte, dass es sich bei den Online-Angeboten vornehmlich um
eine Therapieunterstützung für Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen handelt. Den Besuch beim Psychotherapeuten oder Psychiater können die Programme nicht ersetzen.
Wenn Du selbst gerade in einer dunklen Zeit steckst, dann möchte ich dich
ermutigen, diesen ersten Schritt zu tun:
Lass dir helfen!
Ich weiß, wie schwer das ist, ich fühle mit dir, aber bitte gib nicht auf und denk dran: auf Regen folgt Sonnenschein. Alles Liebe für dich und pass gut auf dich auf.
#LassDirHelfen
#DasSchweigenBrechen
Text: Isabell Falconer
Isabel Falconer arbeitet als freie Autorin und Fotografin. Die Sportwissenschaftlerin war lange als Beraterin für Mamas in Krisen tätig. Nach einer schweren Erschöpfungsdepression entschied sie sich 2016, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen, um mehr Bewusstsein zu schaffen. Sie lebt mit ihrer Familie in Köln.