Foto: Miftha Bahardeen

Wie psychische Erkrankungen durch Mode entstigmatisiert werden sollen

Mit ihrer Mode erzählt Martina Offeh die Geschichten von Menschen, die wegen ihrer psychischen Erkrankungen stigmatisiert werden. Wie passen Mode und gesellschaftliches Engagement zusammen? Unsere Autorin hat die Modemanagerin in ihrem Studio in Hamburg getroffen.

Martina Offehs Karriere begann mit einer Enttäuschung. Sie war 18, und hatte nach dem Abitur einen klaren Plan: mit ihrer besten Freundin nach New York reisen, um als Au-pair zu arbeiten. Doch ihre Einreise wurde abgelehnt und plötzlich war ihre Zukunft ungewiss: „Zum ersten Mal habe ich mich gefragt, wer ich sein möchte. Das war der erste Moment, in dem Mode eine Vision für mich wurde.“ Martina begann Mode-Textil-Management zu studieren. Nach ihrem Studium arbeitete sie einige Jahre im Retail-Management als Teamleiterin; lernte, wie man ein Unternehmen führt und ein Team leitet, und gründete 2019 ihr eigenes Label Ashes and Soil. Die Idee dahinter: Mit Mode die Geschichten von psychisch erkrankten Menschen erzählen und so mit Vorurteilen brechen.

Mit dem Stigma brechen

Die Idee für das Label kam Martina während einer Reise in Ghana. Dort lernte sie Rick Wolthusen von On the Move e.V. kennen. On the Move ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die auf Entstigmatisierungsarbeit von psychischen Krankheiten in vielen Ländern spezialisiert ist und Schulungen anbietet, um psychisch kranke Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Rick war es, der Martina erklärte, welchen Folgen Menschen mit psychischen Erkrankungen in vielen afrikanischen Ländern ausgesetzt sind. Sie werden diskriminiert, ausgegrenzt, eingesperrt und gefoltert. „Ich war so schockiert und habe mich geschämt, da ich kaum etwas darüber wusste“, sagt Martina. Teile der Erlöse ihrer Kollektionen gehen nun in das Ausbildungsprogramm von On the Move. Auch wenn Martina die Idee zu ihrem Label in Afrika begegnet ist: Unwissenheit über und Stigmatisierung von psychischen Krankheiten ist auch in Deutschland ein großes Problem. Mit ihrer ersten Kollektion „Introspection“ erzählt Martina die Geschichten von acht Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen stigmatisiert werden und auf Ablehnung stoßen.

,,Sprechen wir über Mode, verbinden wir diese mit Prestige, Schönheit und Anerkennung. Mir fehlt aber ganz oft die Persönlichkeit.“

Martina Offeh
Foto: Oğuz Kaya

Mit Kleidern Geschichten erzählen

Lederfransen, Puffärmel, spitze Reverskragen, übergroße Sicherheitsklammern – Martina verarbeitet in ihren Entwürfen, wie diese acht Menschen auf sie wirkten, ihre Stimmen, Gesichter und ihre Geschichten. Und Martina lässt sie auch selber sprechen: Über einen QR-Code gelangen Kund*innen zu Inhalten, die sie mit dem Thema psychische Erkrankungen in Kontakt bringen und Berührungsängste nehmen sollen – all das dort, wo man am wenigsten damit rechnet: Beim Kauf eines Kleidungsstücks.

In all ihren Designs arbeitet Martina westafrikanische Elemente ein. Wie den Kente-Stoff, ein ghanaischer, aufwändig gewebter Stoff, welcher früher nur von Königen getragen werden durfte. „Ich habe westafrikanische Wurzeln und mir ist es sehr wichtig, authentische und nachvollziehbare Geschichten zu erzählen.“

Neben ihrer Selbstständigkeit arbeitet Martina als Solution Consultant bei Apple und ist Mitbegründerin von Future of Ghana Germany ( FoGG). Ziel der Organisation ist es, ein Netzwerk für Afro-Deutsche zu bauen, um sich untereinander auszutauschen, Räume zu schaffen und Bildung zu fördern.

Faire und umweltbewusste Produktion

Das Thema Solidarität ist Martina auch bei den Produktionsbedingungen ihrer Kollektionen wichtig: Ashes and Soil garantiert eine faire Bezahlung in der gesamten Lieferkette. Martina arbeitet mit dem Jungdesigner Musa Simone zusammen, der die Kollektionen in ihrem Hamburger Studio entwirft. Um die Fahrtrouten zu kürzen und die dabei entstehenden CO2-Emissionen auf ein Minimum zu reduzieren, hat Martina sich dazu entschieden, hauptsächlich mit europäischen Hersteller*innen, vor allem aus der Türkei, zusammenzuarbeiten. „So haben wir die Möglichkeit, die Produktionsstandards unserer Partner*innen zu überprüfen.“ Um Überproduktion zu vermeiden, fertigt Martina nur auf Anfrage an und hat sich komplett vom hektischen Modekalender gelöst. Martina will ihre eigenen Geschichten erzählen, unabhängig von Saisons und Trends – es sind die Geschichten von Menschen, die sonst in unserer Gesellschaft oft überhört werden.

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