Foto: SPD Saar | Flickr | CC BY-ND 2.0

Die SPD-Führung 2017: Willkommen im Herrenclub

Katarina Barley wird neue Bundesfamilienministerin – ihren Platz als Generalsekretärin nimmt ein Mann ein. SPD-Mitglied Elisa machen die aktuellen Personalentscheidungen wütend: denn die SPD bleibt an der Spitze ein Club älterer Herren.

 

Die Personal-Rochade der SPD

So fühlt sich der gesellschaftliche Backlash also an. In der eigenen Partei. Vorbei die Träume von einer Partei, die für den gesellschaftlichen Fortschritt kämpft. Vorbei der Traum, dass die Partei vielleicht in diesem Jahr endlich versteht, dass soziale Gerechtigkeit insbesondere Gerechtigkeit für den weiblichen Teil der Bevölkerung meint. Was die Parteiführung davon hält, hat sie gestern gezeigt. Das Ausmaß dessen, was gestern passiert ist, ist jedoch für die Wenigsten erkennbar.

Innerhalb von zehn Tagen hat ein kleines Grüppchen alter Genossen aus Niedersachen und NRW die Frauen der engeren Parteiführung, die wenigstens ein bisschen Macht inne hatten, wegrasiert. Abgesägt. Kaltgestellt. Von Geschlechtergerechtigkeit muss mir in dieser SPD niemand mehr etwas erzählen. Dürfen überhaupt noch Frauen im Leitungsbereich des Parteivorstands arbeiten? Also außer Sekretärinnen, meine ich. Und wo ist eigentlich die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen?

Der gestrige Tag war aus meiner Sicht einfach nur würdelos. Für die Partei, für die Sozialdemokratie, für uns alle, die wir dieses System durch Schweigen oder Mitmachen am Leben halten. Da hat ein Mensch Krebs und tritt deshalb von allen politischen Ämtern zurück. Personalien sind in so einem Moment nachrangig. Warum kann eine Partei da nicht wenigstens zwei Tage inne halten? Sich auf das Wesentliche konzentrieren? Wohl überlegte und demokratisch legitimierte Entscheidungen treffen?

Die Bedeutung von Katarina Barley

Manuela Schwesig ist nur das Allerbeste zu wünschen. Trotz der traurigen Umstände: eine weitere Ministerpräsidentin. Davon kann es nie genug geben.
Und jetzt zur Causa Katarina Barley. Es ist eine Unverschämtheit, dass Martin Schulz die beste Generalsekretärin, die diese Partei – seit ich mich erinnern kann – hatte, einfach so weglobt. Aus dem Parteivorstand, aus dem Bundestagswahlkampf. Katarina hat in der kurzen Zeit, in der sie im Amt war, das Willy-Brandt-Haus ordentlich umgekrempelt, modernisiert, zu einem besseren Ort gemacht. Katarina war eine Person, die dich als einfaches Mitglied mit dem Namen (!) anspricht, wenn du ihr wieder begegnest. Katarina war der frische Wind, den diese Partei so unglaublich nötig hat. Katarina war die Zukunft der Sozialdemokratie.

Wer die 17.000 Neueintritte nur Martin Schulz zuschreibt, der macht die Leistung von Katarina unsichtbar. Wer einmal mit ihr gesprochen hat und beobachten konnte, wie sie mit Mitgliedsanträgen bewaffnet über die Empfänge und parlamentarischen Abende der Berliner Politrepublik tanzt, der weiß, dass es auch ihr Verdienst ist. Der oder die weiß, was die Partei ihr zu verdanken hat. Wer das weiß oder gesehen hat, ist mindestens genauso fassungslos, rasend und wütend wie ich.

Drei – oder eigentlich zwei verlorene Landtagswahlen gehen nicht auf ihr Konto. Die Fehler hat der Kanzlerkandidat gemacht, Hannelore Kraft oder all die Männer in leitenden Parteifunktionen, die ihn beraten und immer alles besser wissen. Parteitage und Programme nach hinten schieben, schlechte Kampagnen entwickeln (und sich danach trotzdem ins Morgenmagazin stellen und Blödsinn reden) und generell nicht wissen ,was die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eigentlich brauchen.

Die Netzwerke der Männer haben gewonnen

Katarina ist nun Bundesfamilienministerin. Für 116 Tage. Politisch ist alles gelaufen, bis zur Bundestagswahl wird nichts mehr passieren. Es ist das kleinste Ministerium. Ganz abgesehen davon: Katarinas Schwerpunkt war nie die Frauen- und Familienpolitik. Martin und der Herrenclub werden sich gedacht haben: ,Die ist ne Frau, die kann das Gender-Gedöns.‘ Daher ist es auch nicht als Erfolg zu verkaufen oder nur im Entferntesten positiv zu sehen, was da gestern gelaufen ist. Ganz im Gegenteil. Die Netzwerke der (alten) Männer haben heute gewonnen. Das Willy-Brandt-Haus und die SPD ist wieder fest in Männerhand und repräsentiert keinerlei Diversität mehr – Generalsekretär, Parteivorsitzender, Kanzlerkandidat, Bundespräsident, Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Außenminister. Alles weiße Männer, ungefähr gleich alt. Alle aus Niedersachsen oder NRW. Alle schon lange über irgendwelche Old-Boys-Netzwerke miteinander verbandelt. Das ist die Seite der Politik, die ich zum Kotzen finde. Wirklich richtig zum Kotzen.

Ich bin 31 Jahre alt, komme aus dem Osten und meine Eltern haben mir vorgelebt, dass Frauen und Männer in dieser Gesellschaft gleichberechtigt sind. Ich fühle mich durch diese Riege an alten Säcken (#SorryNotSorry) jedoch weder repräsentiert, noch wahr- oder ernstgenommen. Und das darf in einer Partei, die sich noch als Volkspartei definiert, einfach nicht passieren. Aber gegen diesen innerparteilichen Sexismus – der heute wieder seine hässliche Fratze gezeigt hat – kämpfen ich und einige andere tapfere Genossinnen schon mindestens seit 2009 an. Und geändert hat sich: nichts. Eine kompetente Frau wird gegen den Mann ausgetauscht, der die Bundestagswahl 2009 mit dem historischen Tiefststand von 23 Prozent so richtig in den Sand gesetzt hat. Damals und heute sieht keiner irgendeine Verantwortung bei Hubertus Heil und er bekommt die SPD auf dem Silbertablett serviert. Katarina muss gehen, bevor sie wirklich eine Chance hatte. Das nennt man Sexismus. Ganz simpel, ganz einfach: Sexismus.

Ja wo ist sie denn, die Vielfalt?

Martin Schulz, Hubertus Heil, Justin Trudeau, Emmanuel Macron, Bernie Sanders, Jeremy Corbyn. Im politischen Betrieb läuft etwas richtig schief, wenn immer nur Männer an die Spitze kommen. Und da habe ich noch nicht damit angefangen, dass wir kaum Menschen mit Migrationsgeschichte an der Spitze haben. Oder Menschen aus Ostdeutschland.

Jeden Tag sehe ich all die tollen Frauen in der Partei vor mir. Die, die Welt verändern wollen. Die noch Träume haben. Und Ideen. Die für die Sozialdemokratie brennen. Die wieder und wieder enttäuscht werden. Was für eine Verschwendung. Was für eine Ungerechtigkeit. 

Wie es jetzt für mich weitergeht? Der Entfremdungsprozess von einer Partei, die mir mal so viel bedeutet hat, schreitet weiter voran. Kann ich mir gerade vorstellen Wahlkampf für die SPD zu machen? Eher nicht. Aber ich habe auch keine Lust, diesen regressiven Typen und Brogressives, die sich selbst viel zu wichtig nehmen, das Spielfeld zu überlassen.

Protipp – gegen Merkel kann man nur mit einer Frau gewinnen. Und ihr habt grad alle bekannten Gesichter abgesägt und weggelobt, die wir hatten. Cheers!

Titelbild: SPD Saar | Flickr | CC BY-ND 2.0

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