Jeden Tag schwankend zwischen Verzweiflung, Euphorie und Versagensängsten – Wiebke hat sich als freie Journalistin selbstständig gemacht und berichtet von einer emotionalen Achterbahnfahrt.
Die neue Freiheit der Selbstständigkeit: Fluch oder Segen?
Ich wär gern eine eierlegende Wollmilchsau. Ich bin eine eierlegende Wollmilchsau. Ich
muss mich entscheiden. Ich kann mich nicht entscheiden.
Ungefähr das ging täglich in mir vor, als ich beschloss, freiberuflich als Journalistin
zu arbeiten. Wochenlang. Monatelang. Immer zwischen höchster Euphorie und größten Versagensängsten schwankend. Denn die neugewonnene Freiheit ist Fluch und Segenzugleich.
Sich den Tag frei einteilen, sich Themen suchen, sich für Themen begeistern, all das kann etwas ganz Tolles sein. Aber es kann auch sehr schwer sein. Dabei ist das Ungetüm Selbstorganisation, das wunderbare „Selfmanagement“, für mich das weitaus geringere Problem. Listen, Zettelwirtschaft, Wecker und Reminder schaffen gute Strukturen und sind altbewährte Mittel im Kampf gegen den inneren Schweinehund.
In welche Richtung soll die Reise gehen?
Der Start in die Freiberuflichkeit fühlte sich wie Schwimmen in einem See an. Anfangs ist
es der Sprung ins kalte Wasser – und zwar ohne den Zeh vorher reinzuhalten. Man weiß nicht, was auf einen zukommen wird. Es kann alles oder nichts passieren. Mein Sprung war kein eleganter Köpper, keine Arschbombe mit Anlauf, aber zum Glück auch kein Bauchklatscher. Es war eher ein vorsichtiges Hinabgleiten, Stück für Stück, sich erst einmal an die Wassertemperatur gewöhnen. Ein Puffer aus Ersparnissen bildete eine bequeme Luftmatratze, auf der ich mich treiben lassen konnte. Die ersten Meter begleiteten mich liebe Menschen und sorgten mit kleineren Aufträgen dafür, dass die Matratze nicht allzu schnell an Luft verlor.
Doch nach einigen Wochen reichten mir die kleinen Aufträge nicht mehr. Ich wollte mehr. Mich vom alten Ufer lösen und neue Ufer kennenlernen. Ich wollte mich freischwimmen.
Aber in welche Richtung sollte ich schwimmen? Bei einem See gibt es nur vier Himmelsrichtungen – und schon die sind drei zu viel für mich. Unendliche Möglichkeiten hingegen bietet der Journalismus. Ich musste mir ganz genau überlegen, in welche Richtung die Reise gehen sollte, wo ich bei meiner Arbeit Schwerpunkte setzen wollte.
Dafür muss man seine Interessen kennen, seine Fähigkeiten, seine Schwächen – kurz: sich selbst. Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele? Dabei kam ich mehr als einmal ganz schön ins Straucheln. Ich strampelte, ich japste nach Luft, das Ufer in weiter Ferne. Manchmal schien es mir, das Ufer niemals erreichen zu können. Ich dachte, ich wäre in der falschen Richtung
unterwegs. Wer anfängt, freiberuflich zu arbeiten, braucht vor allem Ausdauer und Geduld.
Regelmäßige Auftraggeber helfen, zu entspannen
Und eine kleine Luftmatratze kann auch nicht schaden. Um zwischendurch einmal innehalten zu können, um die Aussicht zu genießen oder vielleicht auch, um die Richtung zu
ändern. Hilfreich kann dabei sein, sich gleich zu Beginn zwei bis drei Auftraggeber zu
suchen, die einen regelmäßig beschäftigen. Ein regelmäßiges Einkommen – und seien es nur ein paar hundert Euro im Monat – ist eine perfekte Basis. Das bezahlt die Miete und ermöglicht eine gewisse Entspannung, um sich auf neue Projekte/neue Ufer einzulassen. Mir gefällt es, dass meine Luftmatratze immer genug aufgeblasen ist, dass ich mich sicher fühle.
Weil ich aber nicht immer auf der Mitte des Sees herumdümpeln möchte, arbeite ich gerade
an einer richtigen Schwimmhilfe, an einer Art Businessplan, die Schwimmflügel des Schreiberlings. Dort notiere ich, welche Schwerpunkte ich mir setzen möchte, welche Auftraggeber dabei möglich wären und wie und mit welchen Themen ich diese kontaktieren kann. Dabei gehe ich sehr strukturiert vor, mache mir Gedanken, wie ich Schritt für Schritt vorgehen kann und welche Ziele ich erreichen möchte.
Es muss nicht morgen passieren, aber auf Dauer möchte ich mir mit meiner Textagentur einen Namen machen. Ich möchte in Zukunft über und für starke Kinder, starke Frauen, starke Menschen schreiben. Wenn das nicht mal eine Richtung ist. Ich kann das Ufer sehen.
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