Freundschaften verändern sich, wenn wir Kinder bekommen. Aber ist das schlimm?
Die Was-sich-ändert-wenn-Du-Kinder-hast-Liste
Claudia Weingärtner schreibt ihren einjährigen Zwillingen jeden Donnerstag auf ihrem Blog „Zwillimuddi“ einen Brief. Wir freuen uns, dass sie diesen auch bei uns veröffentlicht:
Liebe Elli, lieber Theo,
diese Woche hatte ich eine heftige Auseinandersetzung mit der Mama Eures Kumpels Ferdi. Es ging um die Briefe an Euch, meinen Blog, wie viel man von sich preisgibt und was lieber nicht. Die Diskussion endete versöhnlich, wir umarmten und küssten uns zum Abschied. Trotzdem ging mir das Gespräch so nahe, dass ich anschließend kurz darüber nachdachte, diese Sache mit dem Bloggen einfach komplett sein zu lassen: Bei irgendwem eckt man ja doch immer an – egal, ob es ums Stillen geht oder um Flüchtlinge, um Kitakram oder die Liebe.
Aber als ich im Sommer anfing, Euch diese Briefe zu schreiben, habe ich schließlich bewusst die Blog-Plattform gewählt: Weil ich mir sonst höchstwahrscheinlich nicht jede Woche die Mühe machen würde, meine Gedanken in einigermaßen lesbarer Form aufzuschreiben. Dass das nicht allen gefallen würde, war mir schon klar, im Vordergrund stand und steht aber ja mein Plan, Euch eines Tages ein Buch mit den gesammelten Werken zu überreichen. Natürlich wird es auch Texte enthalten, die NICHT Hinz und Kunz mitlesen können – und natürlich habe ich durchaus meine Grenzen in Sachen Privatsphäre, die ich Euch ja bereits erläuterte.
Also weiter im Text: Anstatt jetzt den Kopf in den Sand zu stecken und gar nichts mehr zu sagen, möchte ich Euch heute ein paar Sätze zum Thema Freundschaft aufschreiben. Denn dieses Thema beschäftigte mich nicht nur nach diesem Streit wieder intensiv, sondern auch letzte Woche bei unserem Besuch in meiner Heimat und immer wieder in den vergangenen Monaten: Vermutlich gehört dieser Punkt auf der Was-sich-ändert-wenn-Du-Kinder-hast-Liste unter die Top 3 – mindestens.
Freundschaften verändern sich – ist das schlimm?
Ja: Der Freundeskreis verändert sich, wenn man plötzlich Mama ist. Aber ist das schlimm? Ist es okay, wenn Freunde nicht nur kommen, sondern auch gehen? Macht das Elternsein sensibler, Löcher in das eigentlich doch ziemlich dicke Fell? Oder wird man automatisch ein oberflächlicher Mensch, wenn man plötzlich selbst diese dem Klischee mehr als entsprechenden Muddi-Smalltalk-Gespräche auf dem Spielplatz führt?
Um diese Fragen zu beantworten, habe ich meinen Freundeskreis gedanklich mal etwas geclustert. Das Ergebnis ist nicht als Rangordnung gemeint und vermischt sich natürlich teilweise. Aber grob lassen sich die lieben Freunde aus heutiger (Muddi-)Sicht ganz gut in sechs Gruppen einteilen. Zunächst wären da drei ziemlich unproblematische:
Die besten
Das sind die, die seit Jahrzehnten da sind – egal wo sie sind. Wenn Ihr telefoniert, manchmal stundenlang, spürt man nichts von den 800 Kilometern, die Euch trennen. Ihr könnt einfach ALLES besprechen, peinlich gibt’s nicht. Wenn Ihr sie seht, ist jede einzelne Minute Balsam für die Seele. Wenn Ihr Euch wieder trennen müsst, fühlt sich das an wie Liebeskummer. Aber sie sind ja trotzdem da. Mit den einen verbindet Euch dieses imaginäre Band, das noch stärker ist, seitdem Ihr beide Mama seid, und das es unter Garantie auch in 50 Jahren noch geben wird.
Mit den anderen eine intensive, gemeinsame Zeit. Eine Zeit in einer gemeinsamen Wohnung zum Beispiel, vielleicht sogar im Ausland. Ihr gingt tanzen, trinken, feiern, verbrachtet aber auch ganze Wochenenden mit Bücherstapeln im Bett. Insider, Wörter, die nur Ihr beide versteht und über die Ihr Euch in jeder Lebenslage einfach nur schlapp lacht: Flöz, Hotz, Mogge, Kotte.
Die ältesten
Das sind die, die Ihr noch länger kennt. Die, mit denen Ihr teils im Sandkasten schon gebuddelt habt oder in der Spielgruppe wart. Die, die vielleicht ebenfalls weit weg sind, aber mit denen es nie komisch ist, auch wenn man sie mal wieder gefühlte 100 Jahre nicht gesehen hat. Die, die einfach alle Partner an Eurer Seite erlebt haben, nachts mit Euch über Freibad-Zäune kletterten und vor der Polizei davon rannten. Die, bei denen der Kuchen immer gleich lecker schmeckt, egal, ob Ihr gerade im Süßstoff-Diät-Wahn seid oder nicht. Wenn Ihr eines Tages auch noch zeitgleich Eltern werdet, seid Ihr Euch nah wie nie. Wenn nicht, bleiben immer noch die Teenie-Urlaube, die Ihr zusammen verbrachtet, und die Dienstagabende, an denen Ihr „Sex and the City“ schautet. Wenn Ihr mal nicht kamt, waren die anderen sauer – und sagten das auch. Diese ältesten Freunde, das sind die, die sowieso immer 100 Prozent ehrlich zu Euch sind, darauf ist Verlass.
Die neuen
Das sind die, die in den vergangenen Jahren dazu kamen, vielleicht in der neuen Stadt. Die, die Ihr erst immer zufällig in anderen Ländern traft, bis Ihr plötzlich zufällig in dieselbe Straße in Prenzlauer Berg zieht. Mit denen Ihr verrückte Dinge im Berliner Nachtleben unternahmt, mit denen Ihr Geheimnisse teilt. Mit denen es einfach immer so schön unkompliziert ist. Die Freundinnen, die schon lange viel mehr als nur Kolleginnen sind. Mit denen Ihr Plätzchen backt oder Pasta esst. Die, mit denen Ihr Euch spontan auf dem Balkon betrinkt, als würde es keinen Morgen geben, und dabei Zeug redet, bei dem selbst Dr. Sommer rot würde oder die, mit denen Ihr im Skiurlaub siedlert. Die, mit denen Ihr eine wunderschöne Datsche am See teilt, obwohl Ihr doch eigentlich nie schrebergärtnern wolltet. Die, die Ihr zu Paten Eurer Kinder macht, weil es bei jedem Treffen so schön und vertraut ist, dass Ihr Euch alle fragt, wieso Ihr Euch nicht viel öfter seht. Überhaupt diejenigen, die ebenfalls Kinder haben: Wie wunderbar es ist, wenn alle durcheinander wuseln wie in einer Großfamilie von 1905. Wenn man Sätze anfängt, und den, äh, „Warte kurz, behalte den Gedanken“, roten Faden, „Elli, komm da runter“, also wenn man den roten Faden, „Theo, lass das bitte“, wenn man den roten Faden ver-, „Mist, hast Du mal ein Feuchttuch?“, was war mit dem roten Faden? Ach egal.
Tja, und dann ist da noch eine zweite Gruppe. Freunde, mit denen es ein bisschen anders ist, die aber ebenso dazu gehören:
Die kinderlosen
Diese Gruppe lässt sich wohl am wenigsten pauschalisieren, denn natürlich sind auch unter den besten, ältesten und neuen Freunden Nicht-Eltern, die bezaubernd mit Kindern umgehen, Verständnis für jeden Pups haben und unfassbar empathisch sind. Aber es gibt eben auch die, die irgendwie eine andere Sprache sprechen – was ebenfalls total okay ist: Ihr versteht diese Sprache schließlich so gut, weil Ihr sie ja selbst jahrelang als selbstverständlich empfandet: „Kaffee auf’m Spielplatz? Ach nee du, ich muss auch eh gleich wieder los…“ „Wie, Euer Babyphone reicht nicht bis zur Kneipe an der Ecke?“ „Lasst die Kinder doch im Auto, wenn wir beim Italiener sind, die schlafen doch!“ Ab und zu denkt Ihr Dinge, für die Ihr Euch mitunter selbst steinigen könntet: Wartet mal ab, wenn IHR erstmal Kinder habt. Oder: Ihr Armen. Was Euch da entgeht, weil Ihr den Kinder-Zug habt abfahren lassen. Umso mehr fühlt Ihr mit denen, die exakt das nicht bewusst tun, sondern bei denen es einfach (noch) nicht klappt/geklappt hat. Manchmal aber beneidet Ihr sie alle, wenn sie Partyfotos und Bilder vom zweisamen Wellnessurlaub posten. Seid gern mit ihnen zusammen, weil das so nach Leben schmeckt. Und liebt sie für ihre Spontaneität, ihre Freiheit, ihre Räusche.
Die, die einfach anders ticken
Das sind die, die andere Parteien wählen als Ihr, die, die nur mit dem Kopf schütteln, wenn Ihr Euch mal wieder Bun-Bo-nam-Bo mit Rindfleisch für 4,50 Euro in der verschmockten Vietnamesen-Bude ums Eck holt. Die, die nicht nur über (Gammel-)Fleisch-Konsum und Auto-Abgase mit Euch diskutieren, sondern vielleicht auch über Datenschutz und Privatsphäre im Internet. Die, die einfach andere Wertvorstellungen haben, die, mit denen es vielleicht jahrelang harmonisch war, und dann mal kracht, krachen muss. Die, mit denen es vielleicht genau deshalb so schön und spannend ist und nicht langweilig wird, weil es Reibung gibt. Die, mit denen Ihr Traditionen pflegt, wie einen gemeinsamen Jahresausklang am 30. Dezember. Die, mit denen Ihr trotz aller Meinungsverschiedenheiten noch 38 Sommerurlaube machen wollt, weil Ihr zusammen so sein könnt, wie Ihr wollt. Echt, Individuen, jeder Einzelne.
Die, die keine mehr sind
Das sind die, die mal Nachbarn waren und jetzt nicht mehr; die, die mal Freunde waren und jetzt nicht mehr. Irgendwie sind sie immer noch in Euren Herzen, obwohl seit langem Funkstille herrscht. Auch Ihr habt Urlaube zusammen verbracht. Auch Ihr habt zusammen gefeiert. Und wie: Fete, geile Fete! Obwohl sie sich in ähnlichen Lebensphasen befinden, kommt Ihr einfach nicht mehr auf einen Nenner. Vielleicht hättet Ihr alle mehr um die Freundschaft kämpfen können. Vielleicht ist es aber auch okay, wie es ist; vielleicht findet Ihr Euren Frieden damit, dass Freunde nicht nur kommen, sondern auch gehen. Vielleicht muss das sogar so sein, damit Raum für wieder neue ist?
Wenn ich an all das denke, was Euch in Eurem Leben so bevorsteht, scheint diese These einfach bloß logisch: Dass wir Eltern gerade (wie unsere Eltern früher vermutlich ebenfalls) herumspinnen, wer von Euch eines Tages mal wen im Freundeskreis heiraten wird, ist ja Unfug. Eure Schulfreunde werden viele Kindergartenfreunde ablösen, in Ausbildung oder Studium, später im Job kommen wieder neue dazu.
War das nicht schon immer so, dass der Freundeskreis eine große Variable im Leben und keine starre Säule ist? Vermutlich ja – es fällt mir nur gerade auf wie nie zuvor.
Ich will Euch gar nichts raten, was dieses Thema betrifft, Eure Freunde werdet Ihr Euch schon selbst aussuchen, vermutlich werden uns nicht immer alle gefallen. Wünschen aber will ich Euch etwas: dass Ihr von all diesen aufgezählten Gruppen ein paar um Euch herum habt. Denn vermutlich ist es die gesunde, bunte Mischung, die einen erfüllt – so geht es mir jedenfalls.
Ich liebe Euch!
Eure Zwillimuddi
P.S.: Eine Gruppe habe ich bewusst außen vor gelassen: Familienmitglieder, die ebenfalls Freunde sein können und sogar noch eine Stufe über den besten stehen. Dass Ihr beide Euch nicht nur gute Geschwister, sondern Freunde, Verbündete, engste Vertraute sein könnt, so wie Eure tolle Tante und ich es sind: Das wünsche ich Euch am allermeisten.
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