Sie erfahren Gewalt im Krieg und sind auch nach ihrer Flucht in Deutschland nicht immer sicher. Geschlechtsspezifische Gewalt ist auch in Unterkünften für geflüchtete Frauen ein tägliches Problem. Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte hat mit uns über Lösungen gesprochen.
Die Standards für Gewaltschutz sind nicht einheitlich
Asylsuchende Menschen in Deutschland leben in vielen Fällen zunächst in großen Unterkünften auf engem Raum. Kriegstraumata, aber auch der Stress, der in den Erstaufnahmezentren durch Enge und unsichere Perspektiven entsteht, führen oft zu Spannungen im Zusammenleben. Wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, treffe die Gewalt dann oft Schwächere, erzählt die Juristin Heike Rabe, die beim Deutschen Institut für Menschenrechte Expertin für „Geschlechtsspezifische Gewalt und Zugang zum Recht“ ist. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was getan werden kann, damit Frauen besser vor Gewalt geschützt sind – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und ihrer Herkunft.
Sind
Erstaufnahmezentren für geflüchtete Frauen sichere Orte?
„Wenn viele Menschen sich auf engem Raum
befinden, kann es häufiger Probleme im sozialen Frieden geben – und oft trifft
es dann Schwächere, also Frauen und Kinder, Lesben und Schwule und
Trans*Personen. Frauen in Unterkünften berichten von geschlechtsspezifischer
Gewalt, die von verschiedenen Personengruppen ausgehen kann, sowohl
Beziehungspartner, Mitbewohner, aber auch Personal in den Unterkünften. Die
Situation in den Unterkünften ist jedoch schwer beurteilbar, weil die
Übergriffe bislang nicht systematisch erhoben werden und es zudem keine bundes-
oder landesweiten Normen gibt, wie sichere Unterkünfte aussehen könnten.“
Arbeiten
die Länder an Lösungen, um Gewalt besser zu verhindern?
„Unser Institut hat zuletzt vor einem Jahr
Daten erhoben, seitdem gab es in den Ländern eine sehr dynamische Entwicklung
und die Landesministerien bemühen sich darum, Gewaltschutzkonzepte vorzulegen,
um Frauen und Kinder besser zu schützen. Jetzt ist es wichtig, darauf zu achten,
dass diese Konzepte nicht nur Empfehlungscharakter haben. Sie müssen
verbindlich ausgestaltet werden, umgesetzt und auch regelmäßig überprüft
werden. Die Vorgaben, die jetzt erarbeitet werden, setzen die Standards für
die nächsten Jahre. Daher ist es so wichtig, dass sie funktionieren.“
Vor
welchen Problemen stehen Menschen, die in Flüchtlingsunterkünften Gewalt
erfahren?
„Zunächst einmal müssen die betroffenen
Personen wissen, wie sie sich Unterstützung holen können, wie diese dann konkret
aussieht und was ihre Rechte, aber auch aufenthaltsrechtlichen Grenzen sind. Wenn
eine asylsuchende Frau zum Beispiel denkt, dass eine Anzeige sich negativ auf
ihren eigenen Asylantrag auswirkt, geht sie diesen Schritt eventuell erst gar
nicht. Oder aber sie will den Täter schützen, weil sie auch hier fürchtet, er
könne deswegen kein Asyl bekommen. Ein weiteres Problem ist die
Residenzpflicht: Ohne Erlaubnis dürfen Asylsuchende ihren Aufenthaltsort, was
eine Stadt oder auch ein Landkreis sein kann, nicht verlassen. Es reicht aber
nicht aus, wenn die Personen nur innerhalb der Unterkunft getrennt werden. Eine
Frau, die beispielsweise in ein Frauenhaus gehen möchte, müsste dafür erst eine
Genehmigung einholen. Diese ausländerrechtlichen Hürden macht es für Frauen, die
in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, schwieriger, Schutz zu suchen.“
Wie
ließe sich das ändern?
„Die EU-Aufnahmerichtlinie in deutsches
Recht umzusetzen ist überfällig. Die Richtlinie enthält Mindestnormen für die
Unterbringung und Versorgung Schutzsuchender und fordert zum Beispiel,
geschlechtsspezifische Aspekte bei der Unterbringung zu berücksichtigen und
auch Maßnahmen zu ergreifen, um geschlechtsbezogene Gewalt einschließlich
sexueller Übergriffe und Belästigungen in Unterkünften zu verhindern. Einige
Länder richten jetzt schon Räume für besonders schutzbedürftige Menschen oder
eigene Unterkünfte ein, so etwas müsste es dann überall geben. Parallel muss ausländerrechtlich
ermöglicht werden, dass Menschen schnell eine andere Unterkunft beziehen
können, wenn sie Gewalt ausgesetzt waren.“
Nach
den Übergriffen in Köln hat vor allem die Reform des Sexualstrafrechts neue
Aufmerksamkeit bekommen. Wie beurteilen Sie den aktuellen Referentenentwurf und
wie trägt er dazu bei, sexualisierte Gewalt zu verhindern?
„Auch der aktuelle Referentenentwurf aus dem Ministerium von Heiko Maas setzt die Istanbul-Konvention nicht um, die verlangt, dass der ausdrückliche Wille
gegen eine sexuelle Handlung für eine Strafbarkeit ausreichen muss. In diese
Richtung entwickeln sich in europäischen Ländern zunehmend das Sexualstrafrecht
und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall ,M.C.
gegen Bulgarien’ hat das sehr klar gemacht. Es spricht nichts dagegen, dass das ,Nein heißt Nein’ sich auch in der deutschen Gesetzgebung wiederfindet. Die Gesetzgebung
eines Landes spiegelt auch immer gesellschaftliche Überzeugungen wider. Es ist
zu hoffen, dass die aktuelle Diskussion über geschlechtsspezifische Gewalt
erweitert wird und dazu beiträgt, dass der Gewaltschutz in Unterkünften für
Geflüchtete jetzt weiter verbessert wird, denn Ziel muss sein, alle Menschen unabhängig
von ihrem Wohnort gleichermaßen vor Gewalt zu schützen.“
Heike
Rabe ist Volljuristin und seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Deutschen Institut für Menschenrechte. Sie leitete von 2009 bis 2013 das
Projekt „Zwangsarbeit heute“ und bearbeitet seit Anfang 2014 den
Schwerpunkt Zugang zum Recht und geschlechtsspezifische Gewalt. Vor ihrer
Beschäftigung am Institut war sie mehrere Jahre in der Evaluation von
Praxisprojekten und Gesetzen zu den Themen häusliche Gewalt, Prostitution und
Menschenhandel tätig.
(Foto-Credit Heike Rabe: DIMR/S. Pietschmann)
Titelbild: Metropolico.org – Flickr – CC BY-SA 2.0
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